Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Und trotzdem bin ich eine gute Mutter

| 20 Lesermeinungen

Ein Morgen Anfang Oktober am Berliner Südkreuz: Es ist kurz nach halb sechs und saukalt. Gerade bin ich aus der S-Bahn gestiegen, die Rolltreppe runtergefahren, nun stehe ich frierend und müde am Gleis. Gleich kommt mein Zug. Neben mir steht mein Koffer. Er platzt aus allen Nähten und ist so schwer, dass ich am Flughafen Übergewicht zahlen müsste. Gut drei Stunden Bahnfahrt liegen vor mir. Es geht schnurstracks Richtung Süden. Wenn ich am Ziel bin, werde ich mir ein Taxi nehmen und in mein Büro fahren. Es ist ein neues Büro. Ich fange einen neuen Job an.

Beruflich ist es ein Aufstieg. Ich übernehme eine Abteilung bei einem DAX-Konzern. Aufgabe und Unternehmen sind spannend, und meine Stelle ist gut bezahlt. So gut, dass mein Mann beruflich kürzertreten wird – oder besser gesagt – kürzertreten muss. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Mein Büro ist fast 500 Kilometer von unserem Zuhause in Berlin entfernt. Montags pendele ich gen Süden. Donnerstagsabends steige ich wieder in den Zug und komme zurück. Freitags dann Homeoffice. Wochenende. Montag dasselbe Spiel von vorn. Ich hasse pendeln. Mein Mann und ich sind schon vor den Kindern jedes Wochenende zwischen Berlin und Westniedersachsen hin und her gefahren. Zweieinhalb harte Jahre waren das. Aufgelöst dann durch die Geburt unseres ersten Kindes. 

Jetzt habe ich zwei Kinder und pendele wieder. Mein Mann hat seine Stunden reduziert und kümmert sich unter der Woche um die beiden. Leni (4) geht noch in den Kindergarten, Paul (6) wurde im Sommer eingeschult. Mein Mann bringt die beiden morgens auf den Weg und fährt dann zur Arbeit nach Berlin-Mitte.

Auch wenn ich gern noch mehr für meine Kinder da wäre: Ich bin für sie da.
Auch wenn ich gern noch mehr für meine Kinder da wäre: Ich bin für sie da.

Das klingt alles ok, und das ist es im Grunde auch. Aber ich habe trotzdem ein mulmiges Gefühl. Schließlich bin ich die Mutter. Manchmal ist mir, als vernachlässigte ich meine Kinder zugunsten meiner Karriere. Ich habe Jura studiert, zwei Staatsexamen absolviert und wurde promoviert. Das war anstrengend. Ich habe mein Studium durch Nebenjobs vollständig selbst finanziert und mir das alles hart erarbeitet. Die neue Stelle habe ich nicht durch Beziehungen bekommen, sondern weil ich gut bin in dem, was ich tue. Ich habe mir das verdient. Außerdem sichert mein Einkommen unserer Familie einen Lebensstandard, den mein Mann in seinem Beruf nur schwer erwirtschaften könnte. 

Auf der anderen Seite schaue ich mir meine Freundinnen an. Wir sechs haben uns im Studium kennengelernt. Alle haben gute Abschlüsse gemacht. Einige sind in die Justiz gegangen oder arbeiten wie ich für ein großes Unternehmen. Alle haben Familien gegründet. Und alle haben sich hintangestellt. Trotz zum Teil besserer Ausbildung haben sie ihren Männern den Vortritt gelassen. Sie haben ihre Stunden reduziert und sind in Teilzeit gegangen. Kinder statt Karriere, wenn man es drastisch ausdrücken will. Ich bin in unserem Kreis die Ausnahme. Wir – mein Mann und ich – sind die Ausnahme. Wie so oft.

Und nur um das klar zustellen: Ich fühle mich nicht überlegen oder besonders emanzipiert, weil wir uns für diesen Weg entschieden haben. Es war unsere gemeinsame Entscheidung. Ich entspreche sicher nicht dem Bild eines „karrieregeilen“ Menschen. Gleichzeitig ist mein Mann auch keine Glucke, dessen größte Erfüllung ein Bastelnachmittag mit seinen Kindern ist. Es hat sich bei uns einfach so ergeben.

Eher fühle ich mich manchmal als schlechte Mutter. Wenn ich in einem Meeting unserem Vorstand erläutere, welche Folgen ein geändertes EU-Gesetz für das Unternehmen hat, und zur selben Zeit mein Mann mit unserem fiebrigen Paul in Berlin sitzt. Müsste ich nicht Händchen halten, Fußwickel und Wärmflaschen machen und meinen Sohn mit Tee und Fiebersaft versorgen? Ich bin seine Mutter. Müsste ich nicht für ihn da sein? Häufig ist da dieses permanent schlechte Gewissen. Gegenüber den Kindern, aber auch gegenüber meinem Mann.

Sein Chef fragte ihn einmal, warum er zu Hause bleibe und nicht seine Frau. Das sei doch schließlich normal. Mein Mann bleibt in solchen Situationen gelassen. Wenn sein Chef ihm so viel bezahle, wie seine Frau bekomme, könne man über alles reden, war seine Antwort. Das Thema war dann schnell vom Tisch. Trotzdem: Wenn mich Donnerstagsabend die Kinder mit einem erleichterten „Mama!“ begrüßten, hätte ich weinen können. Gleichzeitig war ich todunglücklich, wenn ich mich montags in aller Herrgottsfrühe aus der Wohnung schlich, während noch alle schliefen. 

Gut fünf Jahre ist es nun her, dass ich an dem kalten Oktobermorgen am Berliner Südkreuz in den Zug gestiegen bin. Die Pendelsituation haben wir in der Zwischenzeit aufgelöst. Nach knapp einem Jahr sind wir mit Sack und Pack nach Süddeutschland gezogen. Mein Mann hat seinen Job gekündigt, mein Sohn die Schule gewechselt, meine Tochter die Kita. Auch das waren keine leichten Entscheidungen. Die Pendelzeit hat ihre Spuren hinterlassen. Vor allem bei Leni, die inzwischen neun Jahre alt ist. Noch immer tut sie sich schwer, wenn ich mal für ein paar Tage wegfahre. Als hätte sie Angst, es könnte sich wieder ein Dauerzustand einstellen.  

Haben wir diesen Schritt bereut? Ich meine, nein. Mein Mann hat sich neue Aufgaben gesucht und kann aus dem Homeoffice arbeiten. Unsere Kinder haben neue Freunde gefunden und sind bestens integriert. Ich bin die Karriereleiter weiter hinaufgeklettert und übernehme im Frühjahr eine zusätzliche Abteilung. Natürlich bringt das auch neue Herausforderungen für das Familienleben. Und auch diesen werden wir uns gemeinsam stellen.

Unsere Familie ist in dieser Konstellation zusammengewachsen. Für unsere Kinder ist es normal, dass ich früh ins Büro gehe und manchmal erst spät am Abend nach Hause komme, ihr Vater für das Abendessen sorgt und mit ihnen die Hausaufgaben macht. Ich bin trotzdem eine gute Mutter. Zu beiden Kindern habe ich ein tiefes, inniges Verhältnis. Trotz meines fordernden Jobs mache ich mit beiden so viel wie möglich. Sie bekommen ein modernes Weltbild vorgelebt, in dem ihre Mutter eine Chefin ist und viel Verantwortung hat und ihr Vater nachmittags zu Hause ist, wenn sie aus der Schule kommen. Ihr Vater ist Elternvertreter und damit als einer von wenigen Männern in den üblichen Eltern-Chats vertreten, ihre Mutter ist für die Finanzen zuständig und macht die Steuererklärung.

Auch nach außen sind wir bei unserer Rollenverteilung ganz klar. Mein Mann kommuniziert offen, dass ich voll arbeite und er mehr Kinder und Haushalt managt. Über dieses Selbstverständnis bin ich froh. Ich habe über die Jahre gelernt, meine Rolle anzunehmen. Paul und Leni haben das voll akzeptiert. Für sie ist es das Normalste der Welt, wenn ihre Mama viel arbeitet und manchmal spät aus dem Büro nach Hause kommt. Beide fallen mir aber auch in die Arme, wenn ich zur Tür reinkomme. Ich könnte kaum glücklicher sein.

Gerade sitze ich wieder in einem Zug. Aber diesmal nicht, um zu pendeln. Ich treffe mich am Wochenende mit meinen Studienfreundinnen. Wir haben lange gebraucht, um den Termin zu finden. Ich freue mich riesig darauf. Wir haben das ganze Wochenende für uns und werden über die guten alten Zeiten sprechen, über unsere Kinder, unsere Ehemänner und über unsere Jobs. Wenn meine Freundinnen sich dann über ihre Männer beschweren, erkenne ich mich in diesen wieder. Ich kann oft die andere Seite besser verstehen, als die meiner Freundinnen. Ich lausche dann den Diskussionen, ob im Rahmen der eigenen Teilzeitbeschäftigung eher der Freitag oder der Montag freigenommen werden sollte und wie man den freien Tag dann am besten für sich nutzen kann. Ich bin kurz neidisch und stelle mir vor, wie ich diese Zeit nutzen würde.  Das fühlt sich komisch an. Aber nicht selten bin ich auch froh über den Perspektivwechsel, in dem ich immer wieder Bestätigung finde.


20 Lesermeinungen

  1. StephanVoigt sagt:

    Und anders herum...
    werden Väter in den selben Konstellationen (Mann verdient mehr als die Frau und macht Karriere) in aller Regel als Ewiggestrige dargestellt, die zu wenig Verantwortung für die Kinder übernehmen und die Frauen in tradierte Rollen zwingen. Danke für Ihre Geschichte, sie ist das beste Beispiel dafür, dass die individuellen Konstellationen ausschlaggebend sein sollten, wie sich Familien in den Rollenverteilungen aufstellen. Dabei sollte auch niemand ein schlechtes Gewissen haben, weder die Mutter, die Haupternährerin ist, noch die, die zuhause bleibt (für Väter gilt das natürlich gleichfalls). Allerdings scheint es Frauen schwerer zu fallen, die beruflich bedingte Distanz zu den Kindern auszuhalten. Ich würde dabei von biologischer Veranlagung reden und das Männlein und Weiblein eben doch nicht gleich sind, es sei mir verziehen. Viel Erfolg bei Ihrer Karriere und alles Gute für die Familie!

  2. unabo sagt:

    gheees
    und ich hab schon gedacht, mein leben wär eintönig. aber bei diesem bericht, bei dem sich mir die nackenhaare sträuben, wird mir klar, dass ich ganz und gar kein abziehbild von irgendwas bin.
    ein hoch auf die menschliche psyche, die auch in diskussionen über einen freien montag oder freitag erfüllung finden kann. solche banalen lebensentwürfe hat uns also der wohlstand gebracht. chapeau!
    kann man der autorin ja nur wünschen, dass wirklich mal was existenzielles in ihrem leben einbricht.

  3. SuperNobelschroeder sagt:

    Und trotzdem bin ich eine gute Mutter...
    …Nein, sind Sie nicht. Sie schreiben es doch selbst:

    „Die Pendelzeit hat ihre Spuren hinterlassen. Vor allem bei Leni, die inzwischen neun Jahre alt ist. Noch immer tut sie sich schwer, wenn ich mal für ein paar Tage wegfahre. Als hätte sie Angst, es könnte sich wieder ein Dauerzustand einstellen.“

    Es ist anscheinend nicht so, als hätte sie Angst (damit unterstellen Sie ja, dass sie keine Angst habe), sondern offentsichtlich passt wirklich etwas nicht.

    Karriere machen in bestimmten Maßen – ok. Aber bestimmte Jobs sind eben nichts für Menschen mit Familie. Ob Mann oder Frau ist dabei wurscht. WENN man sich für Kinder entscheidet, DANN muss man für sie da sein.
    Wegen des Jobs weit weg ziehen (es sei denn, man würde sonst arbeitslos), ist grundsätzlich schwierig, wenn man Kinder hat.

    Man entscheide sich und bleibe dabei. Bei Ihrem Lebensweg (chapeaux, dass Sie das geschafft haben) sind Kinder ehrlicherweise nicht drin.

    • KrisNL sagt:

      Was ein Blödsinn,
      Ihr letzter Satz. Schämen sollten Sie sich für das Kommentar.

    • SDG30001 sagt:

      Kinder nicht drin bei Abteilungsleiterjob?
      Schlimm, was sie da schreiben. Gesinnung wie diese verhindert Gleichberechtigung und dass es normal ist, eine Familie zu haben und zu arbeiten.

  4. Tomfoer sagt:

    Die wirkliche Gleichberechtigung
    Respekt vor der Leistung der Protagonistin, kann ich nur sagen. Tauscht man/frau die entsprechenden Wörter aus, so wäre das die Geschichte eines erfolgreichen Familienvaters, der gerne im Gedächtnis als guter Papa bleiben möchte und auch als guter Versorger gelten will. Dabei aber neben vielen anderen Dingen auch für ein Leben in Wohlstand und Sicherheit geschätzt werden will. Die wahre Emanzipation besteht nun in meinen Augen darin, dass die Rollen ohne Aufregung oder Erklärung wie selbstverständlich getauscht werden können.

  5. rstwend sagt:

    Alles gut. Und jetzt...
    … muss Frau nur noch aufhören, sich dafür zu rechtfertigen oder zu entschuldigen.
    Und Gratulation dazu, einen richtigen Mann gefunden zu haben. Ein starker Mann kann gut mit einer starken Frau leben.
    Da können aber nur wenige mitreden. 😉

    Chapeau für beide.

  6. HalbergRassy sagt:

    Falsch
    Sie bringen Familie und Beruf nicht unter einen Hut. Sie haben bloß bis die Rollen vertauscht. Familie und Beruf unter einen Hut bringen die Familien, in denen beide Eltern in Vollzeit arbeiten.

    • artur2020 sagt:

      So ein Quatsch!
      „Nur Paare, die beide Vollzeit arbeiten, bringen Beruf und Familie unter einen Hut“…. Die Paare outsourcen notgedrungen einen Großteil des eigentlichen Familienlebens/der Kinderbetreuung, andernfalls konnten nicht beide Vollzeit arbeiten…

  7. vonVogelsang sagt:

    Alles nichts ohne pädagogische Bildung
    Ich empfehle wirklich dringend jedem, vor allem werden und Seienden Eltern, Jesper Juul zu lesen. Einer der renommiertesten Kinderpsychologen der Welt erläutert, warum z.B Kindergarten für Eltern da sind und nicht für Kinder. Alles andere ist die Ideologie unserer regierenden Klasse, die meint, möglichst viele Frauen sollten arbeiten wie in der sozialistischen Planwirtschaft und Kinder müssten möglichst schon von Geburt an fremdbetreut werden, und zwar am besten 50 Stunden pro Woche. Dabei kommen dann zwei steuerzahlende Eltern heraus, die es auch für den Lebensunterhalt braucht, da sich in Deutschland kein Mensch mit den extremen öffentlichen Belastungen, allen voran den hohen Steuern, Energiepreisen, Baupreisen, Mietpreisen und Lebensmittelpreisen einen normalen Lebensstandard nur mit einem Verdiener leisten kann. So ist die Ampel, die von allen hochgelobt wird als staatstragend und verantwortlich so eine Heuchelei.

  8. PiaEber sagt:

    Titel eingeben
    vielleicht auch eher kulturell bedingt, dass Väter weniger emotional sind über die zeitliche/ räumliche Trennung durch die Arbeit? Dass Frauen eher ein schlechtes Gewissen gemacht wird, Männer diese Gefühle nicht haben sollten?
    In unserer Familie freuen wir uns beide riesig auf die Nachmittage und Wochenenden mit den Kindern… ich (Frau) vermisse die Kinder meist nicht wenn ich arbeite, und freue mich sehr wenn Feierabend ist. wir haben akfuell getauschte Rollen, ich hatte 3 Jahre Elternzeit, nun macht mein Mann 1,5 Jahre Elternzeit. langfristig arbeiten wir zu gleichen teilen in 70%Teilzeit

  9. Jammerle sagt:

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    Und wozu der ganze Stress?

    Mein Gott. Arbeiten, arbeiten über alles. Zumindest in Deutschland. Und alles mega stressig. Wenig fun, alles durchgetaktet, alles geregelt. Jede freie Minunte muss begründet werden? Aber klar, dafür gibt es auch ne schicke Hütte und nen Porsche. Der wurde gar nicht erwähnt? Darf den der Mann auch fahren? Ein modernes Schema F Leben. Mit viel viel Arbeit, zwangsläufig, denn die Einkommen sind schlecht verteilt in Deutschland. Wer sich etwas leisten will, der muss auch sehr viel dafür einsetzen. Wofür? Für den Aktienkurs, das Ebitda, irgendwelche Quartalszahlen, oder Kostenoptimierungsprojekte? Weiterhin FF.

  10. joxg sagt:

    Danke und viel Glück
    Danke für den schönen Beitrag und viel Glück dir und deiner Familie (ein Sie fände ich bei diesem prrsönlichem Artikel unangebracht ☺️)

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