Reinheitsgebot

Reinheitsgebot

Das Blog zum Bier

Die Epiphanie des ersten Schlucks

Bier ist unvergleichlich. Es ist ein kalmierendes, poetisches und zugleich ein dialogisches, produktives Getränk. Es fällt aus unserer Zeit des Kontroll- und Optimierungswahns. Gut so.

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Ror Wolf sagte mir mal, dass er den Jazzkornettisten Bix Beiderbecke, der Klänge, Melodien und Improvisationen jenseits aller halbwegs beschreibbaren Tonwelten ins Werk setzte, liebe. „Ich verehre Bix Beiderbecke nicht, ich liebe ihn“, sagte er. Mir ist schon klar, dass Ror eine Metonymie benutzte, trotzdem stutzte ich. Musik lieben, sei sie von Bix Beiderbecke, sei sie von Beethoven, sei sie von Van Halen? Ein Land lieben, einen Kontinent, die Welt lieben? Ist nicht der klarste und wahrste Satz, den ein Bundespräsident jemals sprach, jene Sentenz von Gustav Heinemann, die in einer systemisch bedingt delirierenden Welt offenbar vollkommen in Vergessenheit geriet? „Ich liebe nicht den Staat, sondern ich liebe meine Frau.“

Liebe ist interpersonal. Bindet sich das Gefühl der Liebe an Entäußerungen, an Objekte, an Objektivationen jeder Art, mutiert sie zum Fetisch. Sie versteinert. Sie wird zum Zwang, zum Eifer, und sie erblindet, sie wird fanatisch. Die Verwuseltheit, die Kontingenz der Wirklichkeit nimmt sie nicht mehr wahr. Sie wird zum Agens, sie hat das Subjekt gekapert, sie besitzt es. Nicht mehr „Ich liebe dich“, sondern „meine Liebe zu“.

ARCHIV - Ein Mann hält ein Bierglas am 13.08.2013 in Pillnitz (Sachsen) im Gegenlicht der Sonne. Foto: Ole Spata/dpa (zu dpa "Mögliche Milliardenübernahme auf dem Biermarkt") +++(c) dpa - Bildfunk+++Bier im Gegenlicht / Foto dpa

Ein Buch über Bier lege ich beiseite, sobald ich auf Wörter und Formulierungen wie „Gerstenkaltschale“, „Pulle“, „Umdrehungen“, „edle Tröpfchen“, „hinter die Kiemen zimmern“ stoße. Sie alle fand ich auf wenigen Seiten von Marc Halupczoks Kompendium „111 Gründe, Bier zu lieben“ (Berlin 2014). Ich hätte es erst gar nicht in die Hand nehmen sollen – des Titels wegen. Bier ist ein unvergleichliches Getränk, ein kalmierendes, ein bisweilen salvierendes und ein zugleich poetisches, dialogisches, produktives Getränk, ein Sozialgetränk par excellence, ein unwegsames Getränk, das nicht mehr in diese Zeit des Kontroll- und Selbstbeobachtungs- und Optimierungswahns passt.

Bier ist Trost und Glück oder immerhin „innere Tranquilität“ (Gerhard Polt). Biertrinken ist: Diesseitigkeit, Gegenwärtigkeit, die nichts will, die nicht drängend ist, die nicht fordernd ist, die keine Rechnung aufmacht – sich selbst genügen, sein, In-der-Welt-Sein. Biertrinken ist die Emanation des Nichts in die Wirklichkeit, ist das Werden der Zuhandenheit der Welt.

Es ist es nur dann, wenn man Bier in der Eckkneipe trinkt, an einem schlichten, blankgescheuerten Holztisch oder Tresen. Die Sonne fällt durch die schlecht oder gar nicht geputzten Fenster, der Staub kräuselt im Lichtstrahl, und dann wird ein gutgezapftes oder schön eingeschenktes Bier vor mich hingestellt. Es ist ein gottlos epiphanischer Moment, und der erste Schluck ist es ebenfalls. Bier ist immer „relativ was ganz anderes“ (Matthias Egersdörfer). Bier ist die Welt. Man kann Bier nicht lieben. Man kann es trinken.