Reinheitsgebot

Reinheitsgebot

Das Blog zum Bier

Ein Bier? Zehn Euro!

Jeder Supermarkt verkauft jetzt Craft Beer. Liebhaber zahlen dafür Unsummen. Dabei lässt die Qualität aus Behördensicht manchmal zu wünschen übrig.

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© F.A.Z., Victor HedwigKleine Craft-Beer-Auswahl aus dem Getränkemarkt unseres Vertrauens von links): Eisbock aus dem Brauhaus Faust (0,33 Liter für 4,99 Euro), Tequilabock von Nikl-Bräu (0,75 Liter für 16,95 Euro), Rheinhell vom Weingut Reinhartshausen (0,33 Liter für 4,95 Euro), Vintage Ale von Fuller, Smith & Turner (0,5 Liter für 8,95 Euro)

Vorm Craft Beer gibt es kein Entkommen mehr. Diese Woche beispielsweise wird die Hamburger Rindermarkthalle zum „Craft Market“, in Heidelberg feiert man das „Craft Beer Festival“, Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen lädt zu den „Craft Beer Days“, und beim modisch abgekürzten „Brwfest“ in Berlin geht es natürlich auch um die neue Bierkultur. Im Getränkemarkt gibt es seit ein paar Monaten ein gekühltes Regal speziell für Craft Beer, im Einkaufszentrum hat ein Bierhandel mit Dutzenden von Spezialitäten eröffnet. Auch im Ausland sind die neuen Biersorten angesagt, deren Hersteller gerne mit ausgefallenen Zutaten und ehrlicher Handwerkskunst für sich werben. Die finnische Eisenbahn schenkt Craft Beer im Bordbistro aus, die Fluggesellschaft SAS serviert es über den Wolken, und wer in Nordfrankreich ins Restaurant geht, sieht auf der Karte zuerst eine lange Liste von Bieren, bis der erste Rotwein auftaucht.

Was vor fünf Jahren hierzulande noch ein Geheimtipp aus Amerika war, ist heute allgegenwärtig. Geschenkt, dass herkömmliches Bier immer noch für schätzungsweise 99 Prozent des Umsatzes steht. Geschenkt auch, dass viele deutsche Braumeister für sich in Anspruch nehmen, anders als die Amerikaner sowieso nie etwas anderes als unverwechselbares „Handwerksbier“, so die deutsche Übersetzung von Craft Beer, aus guten Zutaten hergestellt zu haben, und deshalb auch lieber von Kraftbier, Kreativbier oder Charakterbier reden wollen. Wie immer man den Trend auch nennen mag, er hat nicht nur die angestaubte Branche wiederbelebt. Er hat Bier auch zu einem partytauglichen Smalltalk-Thema gemacht. Plötzlich ist es schick, ein Dutzend Hopfensorten aufsagen zu können und unter Freunden über die dazu passenden Speisen zu fachsimpeln.

Muss Carft Beer so teuer sein?

Das ist mehr als ein Gefühl, dahinter stehen Zahlen: Heute gibt es in Deutschland tausend Biersorten und hundert Brauereien mehr als vor zehn Jahren, Umsatz- und Beschäftigtenzahlen steigen zum ersten Mal seit langem wieder. Für Biertrinker ist vor allem die gewachsene Auswahl erfreulich. Wer sich darauf einlässt, muss allerdings auch viel mehr ausgeben als früher. Denn mit Bier lässt sich neuerdings protzen. Für ein Bier, das im Eisbockverfahren mit Koriander, Salz und Fichtenzweigen gebraut wurde, lassen Neugierige auf einem Festival 10 Euro springen, ohne mit der Wimper zu zucken. Für einen Sud, der über zerbrochene Austernschalen rinnen durfte, um seinen mineralischen Touch zu bekommen, erst recht. Sogar im Getränkemarkt, wo es sonst eine ganze Kiste Bier mit zwanzig Flaschen für weniger als 10 Euro gibt, werden nun einzelne Drittel-Liter-Flaschen für 4,99 Euro angeboten. Der „Tequilabock“ in einer 0,75-Liter-Flasche mit Sektkorkenverschluss aus einer fränkischen Brauerei kostet 16,95 Euro. Rotweinpreise.

Kann Bier, in anderen Zeiten als schnödes Grundnahrungsmittel betrachtet, wirklich so viel wert sein – nur weil „craft“ draufsteht? „Die Preise sind nicht gewürfelt“, beteuert Markus Lohner von der Brauerei Camba Bavaria, unweit vom Chiemsee im Dörfchen Seeon gelegen. Ein Preistreiber sei der höhere Rohstoffeinsatz, für manche seiner Spezialitäten verwende er zehnmal so viel Hopfen wie für ein gewöhnliches Helles. Die größere Sortenvielfalt sorge für geringere Einzelmengen, weshalb die Auslastung im Vergleich mit Großbrauereien geringer sei, die Personalquote höher. Außerdem seien die Lagerzeiten oft beträchtlich länger als beim herkömmlichen Bier, auch das erhöhe die Herstellungskosten. Ein Bier, das ein Dreivierteljahr im Holzfass gereift ist und auf 8 oder sogar 10 Prozent Alkoholgehalt ausgebaut wurde, schmeckt dann aber auch anders als eins, das nach drei Wochen im Edelstahltank mit 4,5 Prozent abgefüllt wird. „Man muss die Preise begründen“, sagt Lohner. „Entscheidend dafür ist, dass wir uns auf Qualität und einwandfreie Rohstoffe besinnen.“

Ausgerechnet einer der Pioniere in der Szene, der Aschaffenburger Bier-Enthusiast Christian Hans Müller, weckt nun öffentlich Zweifel daran, dass alle Craft-Beer-Brauer sich daran halten. Die Qualität, warnt er auf der Internetseite Hopfenhelden.de, komme mancherorts zu kurz. Manche Hersteller hätten beim Brauen nur noch das Marketing (je ausgefallener das Produkt, desto größer die Aufmerksamkeit dafür) im Auge und achteten nicht mehr auf Reinheit und Fehlerfreiheit. „Man könnte meinen, es werden plötzlich Biere abgefüllt“, schreibt Hahn in seinem Kommentar, „die selbst in der abfüllenden Brauerei keiner sensorischen Prüfung standgehalten hätten.“

Lordsiegelbewahrer des Reinheitsgebots

Dazu passen zumindest auf den ersten Blick die Daten aus dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Wie die in Erlangen ansässige Behörde auf Anfrage der F.A.S. mitteilt, haben ihre Kontrolleure 2016 neunzig verschiedene Craft Beere geprüft. Und fast bei jedem dritten hatten sie etwas zu meckern – eine beachtliche Quote, verglichen mit den herkömmlichen Bieren, die nur etwa halb so häufig Anlass zu Beanstandungen gaben.

Liefern die Experimentierbrauer teures Bier mit fragwürdige Qualität? Es stehen schlagkräftige Konkurrenten bereit, die nur zu gerne davon profitieren würden, wenn sich dieser Verdacht erhärten sollte. Dass sie jahrzehntelang mit Billigbier zufrieden waren, hält sie nicht davon ab, jetzt auch der zahlungskräftigen Klientel mehr Geld abzuknöpfen. Bitburger, Deutschlands größter Fassbierlieferant, hat unter dem Markennamen „Craftwerk“ ein Sortiment mit Bieren wie dem Maibock „Holy Ariana“ und dem Lagerbier „Mad Callista“ für 2,39 Euro die Flasche ins Programm genommen. Und Beck’s, die deutsche Tochtergesellschaft des weltgrößten Brauereikonzerns AB Inbev, wirbt im besten Craft-Beer-Jargon für ein „intensiv karamellig und vollmundig malzig“ schmeckendes „Red Ale“. Klar, dass diese Biere nicht den Gipfel der Experimentierfreudigkeit darstellen. Klar aber auch, dass sie dem Industriestandard in puncto Reinheit genügen.

© F.A.Z, Viktor HedwigRegal auf einem Craft-Beer-Festival in Frankfurt

Mit den Zahlen der bayerischen Lebensmittelbehörde sollten die Großbrauereien indes nicht für sich werben. Die vielen Beanstandungen bedeuten nicht, dass sich Craft-Beer-Trinker mehr Sorgen um ihre Gesundheit machen müssen als Normalbierverbraucher. Am häufigsten seien regelwidrige Angaben auf den Etiketten und die Verwendung unzulässiger Zutaten bemängelt worden. Dazu muss man wissen, dass die Bayern sich als Lordsiegelbewahrer des ursprünglich bayerischen, erst Anfang des 20. Jahrhunderts in ganz Deutschland eingeführten Reinheitsgebots fühlen. Sie legen es enger aus als alle anderen; eine bundesweit einheitliche Regelung gibt es nicht, nur eine „Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes“. Während Brauereien im Rest der Republik mit einiger Aussicht auf Erfolg Anträge auf die Herstellung „besonderer Biere“ stellen können, besteht diese Möglichkeit in Bayern, wo immerhin mehr als 600 der insgesamt 1400 deutschen Brauereien zu Hause sind, nicht. Erlaubt sind kategorisch nur Hopfen, Malz, Gerste und Wasser, und zwar seit 1516.

Das Kätzchen mit dem Bierkrug

Wer dort beispielsweise Orangenschalen oder Hanf in den Sud gibt, der darf das Endprodukt nachher nicht Bier nennen. Umgekehrt darf ein Bier, das nur mit den vier zugelassenen Rohstoffen gebraut wurde, nicht ausschließlich mit ausländischen Bezeichnungen wie Porter, Stout oder IPA (Indian Pale Ale) verkauft werden, auf dem Etikett muss dann zusätzlich auch „Bier“ stehen.

Die Regel hat kuriose Folgen. Manche Craft-Beer-Brauer aus Bayern fahren zum Experimentieren regelmäßig nach Thüringen, Berlin oder Bremen. Was sie dort bei befreundeten Brauern oder Geschäftspartnern mit der Genehmigung der örtlichen Aufsichtsbehörde herstellen, dürfen sie dann nämlich auch nach Bayern reimportieren. Andere müssen bloß Details auf ihren Etiketten verändern, um den Vorschriften Genüge zu tun. Andreas Seufert, Chef der Pax-Brauerei aus dem fränkischen Oberelsbach und Vorsitzender des Vereins der deutschen Kreativbrauer, hat dazu eine besonders schöne Anekdote auf Lager: Für eines seiner Biere, dem Zitronengras und Chili eine asiatische Note geben sollten, hatte ein Künstler ein Etikett entworfen, auf dem ein Kätzchen einen Bierkrug in der Pfote hält. Der Krug muss weg, befanden die Aufseher, sonst kämen die Leute ja auf die Idee, sie kauften ein Bier. Und im Bier darf weder Chili noch Zitroneschale stecken. Jedenfalls nicht, wenn es in Bayern gebraut wurde.

So geht das nun schon jahrelang. Aber weil an der Spitze des einflussreichen und traditionsbewussten Verbands der Bayerischen Brauer seit kurzem ein Mann steht, der dem Craft Beer mehr abgewinnen kann als seine Vorgänger, zeichnet sich ein Kompromiss ab: Wenn die anderen Länder nicht mehr ganz so großzügig sind mit den Ausnahmen, dann müssten die Bayern es auch nicht mehr ganz so eng nehmen. Deutschland könnte also ein einheitliches Biergesetz bekommen. Welche politische Bedeutung das für die Branche hätte, lässt sich daran ablesen, dass Bierologen schon vor einem Jahr raunten, eine Veränderung dieser Tragweite werde sich der Gesetzgeber ganz gewiss erst nach der Bundestagswahl zumuten.

Über die Frage, ob Austern, Chili und Zitronengras wirklich ins Bier gehören, werden sich Braumeister und Biertrinker aber auch dann noch streiten, wenn die bayerische Sonderstellung eines Tages aufgehoben sein sollte. „Man kann einen Papaya-Litschi-Geschmack oder ein Schokoladen-Aroma auch mit der passenden Hefe und dem richtigen Hopfen erreichen“, sagt Oliver Dawid vom Verband der Privaten Brauereien. „Dafür muss niemand Kakao oder Obstschalen in den Sud schütten.“ Dahinter steht die Überzeugung, dass gerade die Beschränkung auf die vier Grundzutaten die Kreativität ansporne. Auf dem Markt sind mehr als 80 verschiedene Malzmischungen, 200 Hefekulturen und 250 Hopfensorten. Jede Menge Kombinationsmöglichkeiten, sogar der „Tequilabock“ für 16,95 Euro kommt damit aus. Ganz ohne Ausnahmegenehmigung.