Reinheitsgebot

Reinheitsgebot

Das Blog zum Bier

Darauf ein gutes Glas Habermas

Wie verhält sich ein Abstinenzler zur neuen Bier-Unübersichtlichkeit?

***

Bier? Ist nicht mein Bier. Nicht mehr. Mein letztes trank ich vor genau vierzehn Jahren. Nicht, dass ich mich genauso genau daran erinnern könnte, ob es mir schmeckte – aber ich glaube, kaum. Sicher bin ich mir, dass es sich um keines jener Produkte handelte, die der Markt hyposexuellen Stilkrüppeln als Bedürfnis einredet: „Bier“ mit Limone oder Litschi oder Spargel oder so was. Als ich letzten Sommer mit meinem Kumpel ein paar Kästen Bier für eine Grillparty organisieren musste, wären wir bei der Suche nach einem stinknormalen Jever Pilsener auf offener Getränkemarkt-Szene fast in Tränen ausgebrochen. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

Vor 25 Jahren erschien mein Debütroman, mit deren „blonden Bräuten“ im Titel hauptsächlich Pilschen gemeint waren. Meinen Helden schickte ich in nikotinverseuchte Kneipen der späten achtziger Jahre, wo überwiegend Bier getrunken wurde. Bier schien mir durchaus tauglich als leuchtendes, einleuchtendes, heimleuchtendes Symbol für einen gewissen Lebensstil, der vom schon damals grassierenden Lifestyle bedroht (und heute denn ja auch erfolgreich ins Prekariat abgedrängt) wurde. Heute aber ist Bier nicht mehr Bier, sondern genauso habermasisch unübersichtlich wie alles andere. Einer weiteren Figur legte ich eine Brandrede in den Mund, die das Reinheitsgebot als einzig akzeptables Phänomen von Deutschtum behauptet. Auch diese salonrevoluzzerhafte Attitüde hat heute einen Sepia-Stich.

14.07© ArchivDas Ensemble der amerikanischen Fernsehserie “Cheers” (1982-1993)

Das reale Vorbild der Dorfkneipe in meinem Erstling ist vor zwei Jahren abgerissen worden. Es war ein unschätzbar wertvoller Ort der Begegnung zwischen Jung und Alt, Bauer und Knecht, Hans und Franz. Heute begegnet man sich dort nur noch auf der Straße, und zwar, ohne sich zu grüßen. Das Kneipensterben ist aktenkundig, und was die Gesellschaft damit an soziokultureller Essenz verliert, wird wohl nach wie vor nirgendwo wunder- und humorvoller versinnbildlicht als in den elf Staffeln der legendären amerikanischen Fernsehserie „Cheers“ – was für ein Panoptikum liebevoll gezeichneter Charaktere, eine Feier der Individualität und gerade deshalb gemeinschaftsstiftend! Leider ist hier nicht der Platz zu schwärmen, doch will ich wenigstens ein paar Namen beschwören: Sam Malone! Carla Tortelli!! Norm Petersen! Cliff Claywin!! Ach, was half mir je besser gegen die psychotischen Anklänge meiner seinerzeitigen Katerzustände als Cheers-Binge . . .

Nun wollen selbst Melancholiker wie unsereins nicht unreflektierter, zukunftsfeindlicher Nostalgie anheimfallen. Ich bin ja heilfroh, dass heutzutage schlimmstenfalls ein, zwei Läuse meine Leber belasten. Seit ich nicht mehr rauche, außerdem heilfroh über das Rauchverbot in Lokalen. Und man mag Kneipensterben und Rauchverbot beklagen oder begrüßen oder egal finden – die entscheidende Frage lautet doch: Tritt etwas Gleichwertiges oder gar Besseres an die Stelle? Anders formuliert: Liegt es wirklich nur an meiner Abstinenz, meinem Alter oder sonst was, wenn mir heutiges Bier schon schal zu sein scheint, bevor es eingeschenkt wird?