Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Was verrät der Schaum übers Bier?

In Deutschland ist die Schaumkrone ein Muss. Aber spricht sie auch für besondere Qualität, verbessert sie das Aroma? Gespräch mit Christoph Neugrodda, der über Bierschaum promoviert.

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F.A.Z.: Können Sie die Sorte eines Biers am Schaum erkennen?

Christoph Neugrodda: Es ist möglich anhand der Farbe des Bierschaums zwischen hellen und dunklen Bieren zu unterscheiden. Auch kann die Schaumtextur oder die Blasengrößenverteilung helfen. Eine weitere Möglichkeit ist, von der Stabilität des Schaumes Rückschlüsse auf die Sorte zu ziehen – ein Pils-Bier sollte aufgrund der chemischen Zusammensetzung einen besonders stabilen Schaum haben.

Während die meisten Hellen schneller in sich zusammenfallen.

Das ist nicht gesagt. Ich habe schon sehr viele Biere analysiert und es ist nicht generell so. Aber man kann sagen, dass obergärige Biere höhere Schaumwerte erreichen als untergärige.

Das wundert mich. Weizenbiere haben ja oft einen Bombenschaum, aber britische Ales, ebenfalls obergärig, weisen teilweise kaum Schaum auf.

Ja, das ist interessant – und wie so oft in der Brauerei gilt: „Keine Regel, ohne Ausnahme“. Der Grund ist, dass Bierschaum nicht überall beliebt ist. In England gibt es ein Nord-Süd-Gefälle. Je näher Sie nach London kommen, desto voller muss das Bierglas sein. Es lässt sich aber auch ganz gut erklären, warum die englischen Biere von sich aus wenig Schaum haben. Denn englisches Malz ist relativ stark gelöst, das heißt, es enthält weniger hochmolekulare Proteine. Wobei Proteine für den Bierschaum essentiell sind und auch als das „Rückgrat des Bierschaums“ bezeichnet werden. Zuletzt: In Sachen Spundung, also der Einstellung des CO2-Gehaltes im Bier, weisen englische Biere deutlich geringere Werte auf. Auch dadurch entsteht weniger Schaum.

Das CO2 schubst den Schaum an?

Ja, es sorgt für die Schaumbildung. Die Bierschaumqualität setzt sich aus zwei Bausteinen zusammen: der Stabilität und der Aktivität. Habe sie keine Schaumaktivität, entsteht gar kein Schaum. Generell brauchen Sie oberflächenaktive Stoffe, die Schaum ausbilden können und Sie brauchen einen Initiator. Letzterer ist das CO2 beziehungsweise ein anderes gelöstes Gas im Bier. Jetzt brauchen Sie noch Nukleationsorte – Kratzer, Risse, Staubkörner oder sonstige Unebenheiten -, an denen sich das Gas entbinden kann, und so entsteht der Schaum. Wenn Sie an Guinness denken, das klassischerweise mit Mischgas –  CO2 und N2 – gezapft wird, entsteht durch den Stickstoff eine ganz eigene Schaumstruktur, ein sehr cremiger Schaum mit hoher Stabilität.

© dpaSo fein schäumt es vor allem mit Stickstoff im Bier

Was ist eigentlich Bierschaum genau?

Hochwissenschaftlich betrachtet ist Bierschaum ein visko‑elastisch‑plastisches Yield‑stress-Fluid aus dem Bereich der weichen Materie. Aber verständlicher und ebenfalls richtig ausgedrückt ist Bierschaum ein Dispergens, also eine flüssige Phase – das Bier -, in dem eine disperse Phase – ein Gas, zum Beispiel CO2 – feinverteilt ist. Einfach gesagt, wird das Gas von der Flüssigkeit umschlossen und so entsteht die Schaumblase.

Wieso prägt sich beim Schaum diese charakteristische Struktur aus?

Das hängt mit der Entstehung des Schaumes und auch mit seinem Zerfall zusammen. Wenn Sie sich ein Bier einschenken, haben Sie zuunterst immer den so genannten Kugelschaum, mit relativ runden Blasen. Dieser Schaum hat einen hohen Flüssigkeitsanteil. Durch den Schaumzerfall läuft infolge der Drainage die Flüssigkeit ab und dadurch trocknet der Schaum aus. Der trockene Schaum ist dann eher polyederförmig. Das kann jeder auch leicht selbst ausprobieren.

Wie kommt die Farbe des Schaums zustande?

Durch Lichtbrechungen im Flüssigkeitsfilm um die Gasblasen. Im Bier befinden sich oberflächenaktive Stoffe, hauptsächlich Proteine, aber auch Hopfeninhaltsstoffe. Die stabilisieren die Gasblasenstruktur. Der Flüssigkeitsfilm, der Lamelle heißt, trennt die einzelnen Gasblasen voneinander, die Lamellen können aber auch miteinander verschmelzen. Der Flüssigkeitsfilm ist nichts anderes als das Bier. Je nachdem, wie dick die Lamellen sind und welche Farbe das Bier hat, entsteht die Schaumfarbe. Je nasser der Schaum ist, umso mehr Bier ist enthalten und umso biertypischer wird der Schaum.

Wie bekomme ich möglichst viel Protein ins Bier?

Hauptsächlich übers Malz. Das ist zugleich die Herausforderung beim Bierbrauen, man hat mal vom Yin und Yang des Bierschaums gesprochen. Denn, ganz einfach gesagt, ist alles, was für die chemisch-physikalische Stabilität des Biers, also die Stabilität, keine Trübungen auszubilden, negativ ist, für den Bierschaum ganz gut. Wenn Sie viele Proteine im Bier haben, werden Sie auch einen besseren Schaum ausbilden können.

Ergibt Weizenmalz besseren Schaum als Gerstenmalz?

Wenn der Brauer von einem guten Schaum spricht, meint er eigentlich meistens die Schaumstabilität. Streng genommen müsste man aber von der Bierschaumqualität sprechen, die sich aus der Schaumaktivität und der -stabilität zusammensetzt. Beim Weizen haben sie auf jeden Fall deutlich höhere Proteingehalte, dementsprechend haben sie eine höhere Schaumstabilität als beim Gerstenmalz.

Welche Rolle spielt die Hefe beim Schaum?

Die Hefe hat einen großen Einfluss auf die Stabilität. Ein extremes Beispiel: Wenn Hefe zu lange auf dem Bier lagert und in die Autolyse übergeht, bildet sich ein bestimmtes Enzym, die Proteinase A. Sie kann nur ein einziges Substrat abbauen, das ist das LTP 1, ein sehr schaumpositives Protein. Wenn Brauer echte Schaumprobleme haben, liegt es meistens an der Gärung, an der Hefequalität.

© dpaVom Fass oder aus dem Tank ist der Schaum beim Pilsner Urquell ein ganz anderer.

Ich habe kürzlich ein Pilsner Urquell Tankbier getrunken, nicht pasteurisiert, ohne Zugabe von CO2 gezapft. Der Schaum war unglaublich cremig, mit dem aus der Flasche nicht zu vergleichen. Wie ist das zu erklären?

Ja, das ist ein interessantes Phänomen. Wenn Sie nur natürlich gebundene Kohlensäure haben, ist der Schaum irgendwie stabiler. Wenn Sie hingegen Biere herstellen, die vor dem Füllen nochmal aufkarbonisert werden, haben Sie unter Umständen eine schlechtere Schaumstabilität als vorher beim Tank. Die Bindung des CO2 in der Flüssigkeit ist einfach lockerer.

Kann man sagen: Superschaum gleich gutes Bier?

Für den deutschen Biertrinker ist ein stabiler, feinporiger Schaum Zeichen für eine hohe Qualität. Das ist aber eine subjektive Bewertung. Es gibt Untersuchungen darüber, wie sehr die Bewertung des Schaums länder- und sogar geschlechterspezifisch ist.

Sagt der Schaum etwas über einen besonderen Umgang mit dem Bier aus, der wiederum einen besonderen Geschmack befördert? Sie arbeiten in Weihenstephan an einem Forschungsprojekt mit dem Thema: „Einfluss von Textur und molekularer Zusammensetzung des Schaumes auf die Aromafreisetzung aus Bier“.

Der Bierschaum hat, das darf man nicht vergessen, auch eine große sensorische Funktion. Der Bierschaum wirkt als sogenannte Diffusionsbarriere. Ein Bier mit Schaum wird länger rezent, spritzig bleiben als eines ohne. Die Freisetzung von Gasen und Aromastoffen wird durch die Schaumkrone gehemmt. Daher wird bei professionellen Verkostungen auch immer schaumfrei eingeschenkt. Außerdem hat unser Forschungsprojekt gezeigt, dass sich bestimmte Aromastoffe im Bierschaum bevorzugt anreichern. Wenn Sie den Schaum mit der Flüssigkeit trinken, bekommen Sie eine Art Aroma-Boost, wie ich das mal nennen möchte. In der retronasalen Wahrnehmung, im Mund-Rachenraum, haben Sie verstärkt diese Freisetzung von gebundenen Stoffen, wobei die Hopfenaromastoffe eine besondere Rolle spielen. Auch ergibt ein cremiger Schaum ein ganz anderes Mundgefühl. Bei einer reinen Bierschaumverkostung werden Sie merken: Es macht einen Unterschied, ob sie einen Schaum verkosten, der nur mit Luft gezapft ist, was ja auch geht, oder mit CO2 oder Stickstoff. Der Schaum zerplatzt einfach anders. Auch der trockene Schaum, von dem früher die Rede war, schmeckt deutlich anders als ein nasser Schaum.

Es gibt ja Bieraufschüttler, die beim Trinken ihr Glas ab und zu schwenken, damit sich neuer Schaum bildet. Der Nachteil besteht nur darin, dass dadurch auch Rezenz, CO2, verloren geht.

Da haben Sie Recht – in England gibt es so genannte Headkeeper-Gläser, bei denen wurde in den Glasboden ein Muster eingeritzt, was einen ähnlichen Effekt ergibt wie der Moussierpunkt im Champagnerglas. Auf einer rauhen Oberfläche entbindet sich bevorzugt CO2. Sie haben dann ein permanentes Aufsteigen von Blasen. Ich habe bei diesen Gläsern zwar immer eine gewisse Schaumschicht, ziemlich schnell wird das Bier aber relativ lack. Das ist dann der Unterschied zwischen Schaumaktivität und echter Schaumstabilität.

Ich habe mal gelesen, dass der Schaum – gerade bei Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest ist das praktisch – auch das Überschwappen des Bieres dämpft.

Ja, das war eine tolle Arbeit, die von Physikern durchgeführt wurde. Das hängt mit den dämpfenden Eigenschaften der Schäume zusammen. Ähnliches ist der Grund dafür, dass sich Espresso oder Cappuccino leichter tragen als Kaffee. Es ist schon überlegt worden, ob man diese Eigenschaft bei Gefahrguttransporten einsetzt.

Der größte Feind des Bierschaums im Glas ist wohl das Fett.

Ja, und Spülmittelreste, Klarspüler. Alles, was die Oberflächenspannung herabsetzt, sorgt dafür, dass Schaum schneller abgebaut wird und sich weniger Schaum bildet. Daher sollte man Biergläser vor dem Einschenken immer mit klarem Wasser ausspülen, auch um die Oberfläche innen zu glätten, um keine zusätzliche Schaumbildung zu erzeugen. Schlimm sind ja die sogenannten Blasenpelze im Bierglas, wenn an einer Stelle sich ganz viele Blasen bilden. In diesem Fall ist das Glas nicht richtig ausgespült worden und im Glas befinden sich noch Staubreste.

Auch wenn das Bier sehr kalt ist, entwickelt sich der Schaum oft träge, oder?

Ja, aus dem gleichen Grund schäumt im Sommer so gerne warmes Bier. Die Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten ist abhängig von der Temperatur. Bei einem kalten Bier ist die Bindung des CO2 in der Flüssigkeit stabiler, es entsteht weniger Schaum.

Die deutschen Biergesetze verbieten es ja, aber welche Schaumstabilisatoren gibt es?

Neben bestimmten Hopfenprodukten oder auch Metallen (Eisen) wird in England zum Beispiel PGA, (Propylen Glykol Alginat) eingesetzt. Das erzeugt einen sehr schönen Schaum – sehr weiß, sehr feinporig, gerade in Verbindung mit Stickstoff. Aber diese Produkte sind in Deutschland verboten.

Gibt es in Deutschland ersatzweise Tricks – den Einsatz eines stark konzentrierten Hopfenprodukts etwa?

Das wären dann Hopfenextrakte – und die dürfen in Deutschland nach Reinheitsgebot nur im Heißbereich zugegeben werden, im Kaltbereich wären sie aber effektiver. Zudem braucht der deutsche Brauer so etwas eigentlich auch nicht. Man kann das alles über die Technologie, die Rohstoffauswahl und eine hohe Hefequalität erreichen. Was auch möglich ist: Wenn ich merke, ich habe ein Schaumproblem, kann ich  zum Beispiel Spitz- oder Kurzmalz hinzugeben. Das ist unterlöstes Malz, dadurch bringen Sie mehr von diesen viskositätserhöhenden beziehungsweise höhermolekularen Substanzen rein und bekommen einen besseren Schaum.

Ist Haftschaum im Glas ein Qualitätsmerkmal?

Das ist das sogenannten Lacing, eine Eigenschaft, die bei Biertrinkern gern gesehen ist. Für viele sind die Trinkerringe im Glas, bei denen man jeden einzelnen Schluck nachvollziehen kann, sehr beliebt.

Sprechen sie  auch für eine hohe Qualität?

Ja, es gibt Untersuchungen darüber, dass die Haftung des Schaums mit der Schaumstabilität korreliert.

In Ihrer Dissertation beschäftigen Sie sich mit der Frage, wie Bierschaum verbessert werden kann. Wer braucht noch Nachhilfe? Die etablierten Brauer werden doch mit ihrem Schaum zufrieden sein, oder?

Da auch die etablierten Brauer Rohstoffe nutzen, die natürlichen Schwankungen unterliegen, ist das Wissen um den Bierschaum essentiell wichtig, um das Alleinstellungsmerkmal des Bieres zu erhalten und wenn nötig zu verbessern. Es wäre schade, wenn mein hopfengestopftes hocharomatisches Bier keinen Schaum hätte und das Aroma schnell ausgasen würde.

Was könnte die Zukunft noch bringen? Welche möglichen Schäume haben wir noch nicht gesehen?

Was in Zukunft kommen könnte: unter Schwarzlicht leuchtende Schäume vielleicht. Auch wenn diese nicht dem Reinheitsgebot gemäß wären. Und Sie können natürlich mit verschiedenen Gasen und Mischungsverhältnissen arbeiten. Wir haben eben schon von Stickstoff gesprochen. Es wären aber auch noch andere Gase und geeignetere Mischungen denkbar. Vielleicht gibt es auch irgendwann den ultrastabilen Bierschaum, das würde die Analyse sehr erleichtern.

Was würde passieren, wenn man Stickstoff beim Pils einsetzen würde?

Das ist überhaupt kein Problem, das habe ich selbst schon gemacht. Sie erzeugen einen besonders cremigen Schaum und haben damit ein anderes Mundgefühl. Allerdings setzt man Stickstoff nicht alleine ein, sondern als Mischgas.

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© privatChristoph Neugrodda

Christoph Neugrodda, Jahrgang 1983, Ausbildung zum Brauer und Mälzer bei der Bitburger Brauerei (2003 bis 2006); Studium Dipl.-Ingenieur für Brauwesen und Getränketechnologie an der TU München (2012); seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie in Weihenstephan.