Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Die Dieter-Nuhrisierung von Harald Schmidt

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Vater küsst Sohn – so weit, so gut. Aber auch unangenehmere Tätigkeiten gehören zum Vatersein dazu.

Dafür, dass die „Junge Freiheit“ gleich einen Artikel daraus macht, kann er nichts. Harald Schmidt, Komiker und Satiriker der ersten Stunde, hat dem österreichischen ORF ein Interview gegeben, das am heutigen Donnerstag gesendet wird, und das hat es durchaus in sich: „Heute würde ich mir sehr genau überlegen, was ich auf einer Bühne mache.“ Und: „Mit den heutigen Maßstäben, auch der Political Correctness, der Sprachpolizei und des linksliberalen Mainstreams, hätte ich meine Show nach einer Woche abgenommen bekommen.“

„Political Correctness, linksliberaler Mainstream“ – es sind wenig originelle Schlagworte, die dem ehedem Originellen da einfallen. Aber darüber hinaus kann man auch den Wahrheitsgehalt der Aussage anzweifeln, zumal der „linksliberale Mainstream“ die Shows des bekennenden Konservativen aus katholischer Kirchenmusikprägung ja erst groß gemacht hat, weil seine Vertreter seinerzeit begeistert eingeschaltet haben. Gerade der von ihm gescholtene „linksliberale Mainstream“ hat begeistert in die Hände geklatscht, als Schmidt Anfang der neunziger Jahre mit dem Kollegen Herbert Feuerstein in der Sendung „Schmidteinander“ neue humoristische Maßstäbe im angestaubten öffentlich-rechtlichen Fernsehen setzte: Anarchie im Fernsehstudio statt Paola und Kurt Felix. Man könnte auch sagen: Harald Schmidt war ein durchaus wirkmächtiges Rädchen in der großen Gesellschaftsmaschine, die die Linksliberalen überhaupt erst zum Mainstream gemacht hat.

Aber natürlich will der TV-Titan a.D., der vor lauter ironischer Brechung kaum gerade stehen kann, daran nicht schuld sein, im Gegenteil: Harald Schmidt bemüht sich redlich, sich vom linksliberalen Geiste, den er selbst mit aus der Flasche hat schlüpfen lassen, zu distanzieren. Und wie macht das ein Mann, der mit der nötigen boshaften Ruhe vom Balkon hinab wie Statler und Waldorf auf den jüngeren Pöbel schaut? Er arbeitet sich am neuen Männerbild ab: „Man ist eigentlich in Deutschland verpflichtet, zu sagen: Der größte Moment in meinem Leben war, als ich bei der Geburt meines Kindes dabei war. Das ist Pflicht.“ Übrigens: Schmidt hat fünf Kinder. „Und dann noch die rustikale Version: Mir schoss das Wasser waagrecht aus den Augen, denn da habe ich gemerkt, wie klein ich bin.“ Ein Schmidt hat vielleicht genauso empfunden, als er Vater wurde: Aber nur, weil er damals eben nicht musste. Heute: Distanzierung von den Deppen, die das Pech haben, ihm und den goldenen Zeiten der Männlichkeit nachgeboren zu sein.

Die Beobachtung ist möglicherweise gar nicht falsch, zumindest insofern, dass es heutzutage vermutlich mehr frischgebackene Väter gibt, die die Geburt des Kindes tatsächlich als den „größten Moment“ empfinden. Weil sie überhaupt im Kreißsaal dabei waren, was zu Schmidts Zeiten zwar schon möglich, aber nicht allgemein üblich war. Aber Schmidt setzt die Aussage in einen Zeitgeist-Kontext, den wir zu gut aus anderen Framings kennen: „Man ist eigentlich verpflichtet“ – der gesellschaftliche hegemoniale Diskurs zwinge also die Männer, so zu denken. Der gewendete Linksliberale wirft den Linksliberalen vor, an akutem Freiheitsentzug zu leiden – und es nur nicht mitzubekommen. Wie gut, dass es Veteranen wie Schmidt gibt, die uns daran erinnern: Ja, wir jüngeren Väter sind im Denken unfrei, weil der Diskurs uns in die Unfreiheit zwingt. Solche Behauptungen kann man ja aufstellen – sie sind weder zu beweisen noch zu dementieren. Ein dankbares Sofa-Publikum finden sie dennoch. Nur, seit wann zielt der originelle und unbequeme Satiriker darauf, beim behäbigen (wahrscheinlich mehrheitlich männlichen) Mainstream Applaus einzukassieren?

Anders sieht es bei einem kleinen Nachsatz aus, der ihm beim Thema Rollenverständnis als Vater herausrutscht: „Ich habe mich nie zum Familientrottel machen lassen. Oder wie ich es nenne: Kategorie ‚Daddy Weichei‘. Der Mitt- bis Enddreißiger mit Struwwelpudelmütze und Baby vor dem Bauch. Die Mutter sitzt im Café und verändert die Welt, und er kriecht dem vollgekotzten Baby im Hipp-Café auf allen Vieren hinterher. Nicht meine Welt. Wer das will: Bitte!“ Der Journalist jubiliert natürlich ob dieser durchaus treffenden Beschreibung der Innenstadtszenerien Berlins oder Frankfurts, die zwischen Soja-Milch und Tofu-Burger tatsächlich solche Züge aufweisen. Lustig ist’s schon.

Das Problem ist der Nachsatz: „Wer das will: Bitte!“ Endlich mal ein Satz, bei dem man dem argumentierenden Schmidt auf die Schliche kommt, bei dem man ihm schlechte Recherche nachweisen kann und nicht vor lauter sarkastischer Nebelwolken kapituliert. Es geht eben nicht in erster Linie um ein Wollen, also beim Thema Struwwelpudelmütze schon. Sondern um die Frage, ob sich Vater und Mutter die Kindererziehung teilen – und sich damit gegenseitig die Räume schaffen, um ihre Leben zu leben. Das Gegenteil davon sind die Lebensentwürfe vergangener Tage, als sich die Männer von ihren Frauen den Rücken haben „freihalten lassen“, wie Generationen von Politikern in Interviews so gerne und selbstbetrunken zum Besten gegeben haben. Die Generation Schmidt zelebriert das, als hätte sie ein Naturgesetz entdeckt. Am Anfang steht aber bestimmt auch beim Kreuzberger Tofu-Daddy nicht nur das Wollen – Kotze wegwischen und Windeln machen gehört auch für den neuen „Daddy Weichei“ nicht zur Kür, sondern eher zur Pflicht –, sondern die Einsicht in eine Notwendigkeit, die die Welt der Geschlechter ein wenig gerechter macht.

Und so bleibt eine kleine Enttäuschung eines früheren Harald-Schmidt-Fans. Ja, der Satiriker legt die Finger in die Wunde. Aber kann es sein, dass Schmidt eine Dieter-Nuhrisierung durchmacht? Indem er aus einer Position der Selbstgefälligkeit heraus den bräsigen Mainstream bedient? Oder wie es die Kollegin Mirna Funk auf Facebook schrieb: „Aus der Kalten fallen mir mindestens zehn weitere TV-Idioten ein, die auch nie die Kotze ihrer eigenen Kinder weggewischt haben und allen erfolgreich vorgaukeln, die Welt zu verändern, aber nichts weiter tun als sich Beifall der anderen zu ernähren.“ Die Wortwahl muss man nicht teilen. Aber Unrecht hat sie nicht gerade.