Ich bekenne: Ich hasse Basteln. Das Geräusch, wenn eine Schere sich ihren Weg durch Tonpapier bahnt, verursacht mir Gänsehaut, die winzigen sichelförmigen Schnipsel am Boden (und sie landen immer am Boden, egal, wie viel Mühe man sich gibt), weil es einem eben doch nur mit Korrekturschnitten gelingt, eine halbwegs gerade oder gar runde Fläche auszuschneiden, sind mir ein Gräuel. Doch die Abneigung besteht auch umgekehrt, ich schwöre es. Wenn ich dem Transparentpapier nur nahe komme, reißt es sofort ein, die Schere stellt sich stumpf, der Bleistift versteckt sich.
Meine Aversion gegen alles, was mit Kleber, Schere und buntem Karton zu tun hat, bestand nicht immer. Früher war ich sogar einmal in einer Bastel-AG. Doch die bedauernden Blicke der anderen Kinder, Jugendlichen und Mütter haben mich eines Besseren gelehrt. Meine Mutter hat meine selbstgebastelte Brosche nie getragen, der Aschenbecher aus Ton ist längst irgendwo im Garten als Übertopf verrottet. Schaue ich mir heute meine „Kunstwerke“ aus dem Kindergarten an, wird mir klar, dass die Vögelchen in der Walnussschale und Schneemänner aus Watte eher den Händen meiner kreativen Erzieherinnen entsprungen sind als meinen. Meine „befriedigenden“ Kunstarbeiten aus der Schule habe ich neulich tutto completti in den Mülleimer befördert, als ich mein Kinderzimmer ausgeräumt habe, weil ich mich so geschämt habe, so viel Zeit und Hingabe in etwas gesteckt zu haben, was andere dann bestenfalls mittelmäßig fanden. Nur bei den Sonnenblumen von van Gogh habe ich kurz gezögert, denn ich hatte mein Werk damals wunderschön gefunden und war so stolz auf die gefälschte Signatur. Meine Lehrerin sah das anders. Also: Weg mit der Schmach!
Ich habe mir eines geschworen. Mich nie wieder wegen so etwas demütigen zu lassen. Die weiteren Bilder für den Kunstunterricht habe ich mir von begabteren Freunden zeichnen lassen. Und: Ich habe nie wieder etwas gebastelt. Nur einmal habe ich mich breitschlagen lassen, für mein Patenkind die Taufdeko zu übernehmen. Nicht nur die Mutter des Täuflings hat es bereut (und in stundenlanger Nachtarbeit „nachgebessert“).
Aber ich dachte: Es gibt Wichtigeres.
Bis ich Mutter eines Kita-Kinds wurde.
Erstes Kind, erster Kita-Herbst, erste Einladung: „Wir basteln Laternen.“ Ich habe fast geheult. Ich war so hin- und hergerissen zwischen meinem Wunsch, nicht hingehen zu müssen, und meiner Befürchtung, dass alle Eltern beim gemeinsamen Laternelaufen sehen würden, dass mein Sohn der einzige mit einer gekauften Laterne ist. Sie würden die falschen Schlüsse ziehen („Klar, die Eltern arbeiten ja auch beide voll“) und uns alle drei mitleidig ansehen. Das ist natürlich Quatsch, wahrscheinlich interessierte es keinen, aber so fühlte ich mich. Ich wollte nicht die schlechteste Mutter des Universums sein, aber auch um keinen Preis hingehen.
Mein Mann ist schließlich hingegangen – und hat eine wundervolle und sehr exzentrische Laterne gebastelt. Ich bin fast geplatzt vor Stolz. Ich weiß die Laternenkarriere unseres Sohns also in sicheren Händen. Und gewinne mit meinem Sohn doch ziemlich viel Selbstbewusstsein zurück. Ich male riesengroße Pferde, Traktoren, Fahrräder, Hunde und Wolken auf meine Terrasse – und ich schwöre es, aus dem zweiten Stock sehen die richtig gut aus! Ich knete mit Salzteig und verschenke die Ergebnisse („hat der Max für dich gemacht“), ich trickse beim Geburtstagskuchen und zaubere aus gekauftem Kuchen, runden Keksen und Schokoglasur einen Traktor. Die Verwandtschaft war beeindruckt! Ich stöbere mich durch Do-it-Yourself-Chats und habe einige Bastelmuttis auf Instagram abonniert (seither weiß ich, dass auch sie beim Kleben klecksen – sie wissen nur, wie man das später kaschiert). Während des Corona-Lockdowns habe ich aus Karton eine Parkgarage für die Matchboxautos kreiert. Ich baue Autowaschanlagen aus Duplo und Duplexgaragen aus Klorollen. Ich bastle Fracht für Traktor und Müllauto aus Pappe und Zellstoff – und habe richtig Spaß dabei. Ich denke mir inzwischen: Ich habe ein Kind geboren – was kümmern mich da so ein paar windschiefe Kanten, Klebstoffflecken oder knitterige Seiten. „Sei frech und wild und wunderbar“ pinnen sich doch alle überall dran oder tragen den Satz auf ihrer Kaffeetasse. Ich bin frech und wild und wunderbar, ha!
Bald hat Max Geburtstag. Er wird zwei. Ein kleines Tütchen mit einer kleinen Überraschung für alle Kita-Kinder ist da Pflicht. Yellas Mutter hat neulich (angeblich mit Yella zusammen) für jedes Kind ein Salzteigtierchen ausgestochen, gebacken und bemalt. Ich habe eine bessere Idee: Ich kaufe für jedes Kind einen Stift, einen kleinen Notizblock und eine Luftschlange zum Aufpusten – sollen sie sich doch selbst was Hübsches basteln. Sieht dann auch besser aus als von mir. Und macht außerdem höllisch viel Spaß!