Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

„Kann das weg und wenn ja, wohin?“

Was einmal unentbehrliches Spielzeug war, wird bald darauf nicht mehr gebraucht. Und dann? Foto: Mascha Brichta

Maya (13) stellt einen Stapel mit Brettspielen, Bücher und ihren Frisierkopf in den Flur. „Das kann alles weg“, sagt sie resolut. Meine Tochter hat ihr Kinderzimmer in den letzten Monaten nach und nach in ein cooles und urgemütliches Teenie-Quartier verwandelt. Der Startschuss dazu fiel kurz vor Weihnachten. Ihre große Schwester Lara (17) wünschte sich seit Ewigkeiten ein großes Boxspringbett. Bisher hatten mein Mann und ich auf Durchzug gestellt, hatten wir doch erst kürzlich einen neuen Lattenrost und eine neue Matratze für das massive Landhausbett gekauft. Doch dann gaben wir Laras sehnlichstem Weihnachtswunsch nach.

Es bot sich an, Laras Bett an Maya weiterzugeben und dafür endlich das Kinderhochbett, das bereits seit einiger Zeit kritisch wackelte, abzubauen. Maya reagierte skeptisch, erbat sich Bedenkzeit, stimmte dann zu und präsentierte uns gleichzeitig ihr ausgeklügeltes Zimmer-Neugestaltungs-Konzept. Sie wünschte sich neue Beleuchtung, ein Wand-Tattoo, einen neuen Teppich und einige weitere kleinere Veränderungen. Die Kinderlampe, die seit ihrer Geburt an der Decke hing, die Puppenecke und einiger anderer Krimskrams sollten weg.  

Die Puppenecke rauszuschmeißen fiel meiner Tochter leichter als mir. Es handelte sich schließlich nicht um irgendeine Puppenecke, sondern um das Zuhause der Puppenschwestern Johanna und Lena: Lena, die Puppe, bei der ich schon anspruchsvolle Reparatur-OPs hatte durchführen müssen. Und Johanna, die edle Puppe mit den wunderschönen Haaren, in die Maya sich Weihnachten 2011 auf den ersten Blick verliebt hatte und die ihr lange Zeit sehr viel bedeutete. Johanna und Lena besitzen alles, was das Puppenherz begehrt: Etagenbett, Kleiderschrank und Outfits für jede erdenkliche Gelegenheit. Doch in Mayas Konzept war kein Platz mehr für das alles.

Wohin aber mit den Puppen und ihrem Hausstand? Und wohin mit dem ganzen Kleinkram und den Stofftieren aus den Spielkisten? Wohin mit den ausrangierten Büchern?

Gemeinsam mit den Kinder ausmisten, auch schon mit den kleinsten

Ein Kinderzimmer auszumisten kann ein wahrer Kampf sein. Doch es geht kein Weg daran vorbei, wenn Kinder und Erwachsene nicht irgendwann im hoffnungslosen Chaos versinken wollen. Sich von überflüssigen Dingen zu trennen, schafft nicht nur Ordnung in Haus und Wohnung, sondern auch im Kopf. Es kann sich auf die Seele sehr befreiend auswirken!  

Schon als die Kinder klein waren, habe ich sie mit ins Boot geholt und selbst aussortieren lassen. Schließlich weiß man auch als Elternteil manchmal nicht, dass der hässliche Kirmes-Stoffteddy oder der billige Plastikring aus der Kinderzeitung eine besondere Bedeutung für das Kind haben. Manche Dinge entsorgt man besser nicht ungefragt! Diese Erfahrung machen alle Eltern früher oder später, wenn sie das schlechte Gewissen plagt, weil sie annahmen, dem Kind würde nicht auffallen, dass etwas heimlich entsorgt wurde.

Je kleiner die Kinder sind, desto schwerer fällt es ihnen in der Regel, sich von Dingen zu trennen. Teenager sind da bisweilen schon ambitionierter, wenn sie plötzlich und sprunghaft das Kapitel „Kindheit“ hinter sich lassen möchten. So wie ich es gerade bei Maya feststelle, die in den letzten Monaten ohne mit der Wimper zu zucken konsequent und radikal ihr Zimmer angegangen ist.

Kinder am Verkaufserlös beteiligen und selbst aktiv werden lassen

Früher hat das bei ihr anders ausgesehen. Als ich beispielsweise vor zwei Jahren die seit Ewigkeiten ungenutzte Kinderküche loswerden wollte, sträubte sie sich vehement. Ab und zu könnte sie ja für die Puppen noch einen Eintopf kochen oder die kleine Kaffeemaschine für ein Kaffeekränzchen anschmeißen. Erst als wir gemeinsam einen Verkaufspreis festgelegt und vereinbart hatten, dass sie sich davon einen Wunsch erfüllen kann, gab sie nach. Ich stellte die Küche bei den Kleinanzeigen ein, und kurz darauf holte eine junge Mutter sie für ihre zweijährige Tochter bei uns ab. Maya freute sich über das Geld, ich mich über den Platz im Keller und über die Vorstellung, dass ein kleines Mädchen die schöne Holz-Kinderküche nun ausgiebig bespielen und in Ehren halten würde.

Die Kinder am Verkaufserlös zu beteiligen, ist ein wunderbares Mittel, um ihnen den Abschied zu versüßen. Meine Töchter waren zeitweise sehr geschäftstüchtig. Der Großteil der aussortierten Dinge landete in einem gemeinsamen Topf. Da Lara schon immer ihre Spielsachen an die kleine Schwester weitergeben hatte, war vieles nicht mehr klar einem Kind zuzuordnen. Also wurde grundsätzlich gerecht geteilt.

Meine Töchter schütteten die Playmobil-Kisten aus (und davon gab es jede Menge!), sortierten die Kleinteile und bauten stundenlang für die Verkaufsfotos alles wieder themenbezogen zusammen. Dabei schwelgten sie in Erinnerungen: „Weißt du noch, Lara, die Feenwelt haben wir immer mit unseren Schleich-Elfen kombiniert.“ – „Ja, und neben dem großem Pferdestall befand sich der Bauernhof, auf dem die Ferienkinder ihre Reiterferien verbracht haben. Oh, mein Gott, dieses kleine, braune Pferd habe ich so geliebt. Das darf auf keinen Fall weg. Das behalten wir als Andenken.“ 

Was sich nicht für den Internetverkauf lohnte, sammelten die Mädchen in einem Umzugskarton. Sie schnappten sich im Sommer eine Decke und veranstalteten auf dem Gehweg vor unserem Haus ihren privaten Trödelmarkt. An manchen Tagen saßen sie stundenlang bei brütender Hitze unter einem Regenschirm und waren frustriert, weil der Verkauf sich nur schleppend gestaltete. An anderen Tagen wiederum wurden sie für ihre Hartnäckigkeit belohnt, und die Kasse klingelte ordentlich. Aufgeregt und mit erhitzten Gesichtern kamen sie dann ins Haus gestürmt und hielten mir einen Zwanzig-Euro-Schein unter die Nase: „Mama, unsere Kundin hat nur großes Geld. Kannst du wechseln?“

Der Kassensturz am Ende des Tages war für sie jedes Mal aufs Neue ein Highlight. Nebenbei lernten sie, sich zu einigen, wenn sie über Verkaufspreise diskutierten, und dass man etwas tun muss, wenn man Geld verdienen will.

Nachhaltigkeit statt Wegwerfgesellschaft

Ich bin sehr gut im Ausmisten, aber es fällt mir schwer, Dinge einfach wegzuschmeißen. Mir fällt der Abschied von Relikten aus der Kindheit meiner Töchter leichter, wenn ich weiß, dass sie noch Verwendung finden und in Ehren gehalten werden – egal ob es sich um Bücher, Spielsachen, Kleidung oder Möbel handelt.

Die Kinder sind inzwischen zu alt und haben keine Lust mehr, sich mit einer Decke auf den Gehweg zu setzen. Also stelle ich unsere Sammelkiste bei schönem Wetter zur kostenfreien Mitnahme in den Vorgarten. Es wärmt mein Herz, wenn ich zufällig aus dem Fenster schaue und sehe, wie Kinder oder Leute neugierig stehen bleiben und sich gezielt Dinge aussuchen und sichtbar darüber freuen.

Laras Kleidung hebe ich für Maya auf, in einem Schrank, nach Größen sortiert. Etwa zweimal im Jahr geht Maya dort „Shoppen“. Sie sucht sich die Klamotten aus, die ihr inzwischen passen und gefallen. Der Rest landet bei Ebay, im Altkleidersack oder wird verschenkt.  

Aussortierte Bücher spende ich normalerweise dem Kindergarten, der Schul- oder Stadtbücherei. Lara hat immer schon sehr viel gelesen und geht mit ihren Büchern super pflegsam um. Im letzten (Corona-)Jahr haben sich viele Kinder über ganze Buchreihen und DVDs aus unserem Vorgarten-Fundus gefreut.

Kindermöbel inseriere ich und gebe sie günstig an Selbstabholer ab. Vor ein paar Wochen habe ich unser Gartenspielhaus abgeschrubbt. Es hat keine zwanzig Minuten gedauert, bis sich eine Interessentin mit ihrem kleinen Sohn meldete.

Erinnerungen: Unbezahlbar und unverkäuflich

An manchen Sachen hänge ich emotional jedoch so sehr, dass es mich echte Überwindung kostet, sie abzugeben oder zu entsorgen. Das Gartenspielhaus war so ein Fall. Dabei stand es jahrelang zugewuchert in der hintersten Gartenecke und hat niemanden mehr interessiert. Aber früher liebten die Kinder dieses Haus und ich liebte es, ihnen beim Spielen zuschauen und sie dort zu besuchen.

Oder unser Peg Perego Buggy, mit dem ich den besonderen Lebensabschnitt der Kleinkindzeit meiner Töchter verbinde. Wie viele unzählige Stunden waren wir mit dem Buggy im Wald, in der Stadt, auf dem Spielplatz und im Urlaub unterwegs gewesen? Die Kinder waren schon längst im Schulkindalter, als mein Mann sagte: „Der olle Buggy steht ja immer noch hier rum. Jetzt schmeiß den endlich weg. Nächste Woche ist Sperrmüll.“ Ich erwiderte trotzig: „Aber wir könnten ihn Karneval mit zum Rosenmontagszug nehmen, um ein Bierfass drauf zu stellen.“ Mein Mann lachte, denn ich bin die Letzte, die sich gerne Karneval an den Straßenrand stellt. Es erforderte meinen ganzen Mut, den Kinderwagen vor die Tür zu stellen. Aber er war nun einmal zu sperrig und zu alt, um ihn aus nostalgischen Gründen aufzubewahren.

Kleinere Dinge dagegen – wie die ersten Schuhe, das Lieblings-Babyspielzeug, der Lieblings-Bademantel oder die alte Spieluhr – hebe ich für die Kinder auf. Ebenso wie ihre selbstgestalteten Oster-, Geburtstags- und Weihnachtskarten, die Weihnachts-Wunschzettel und besondere Bilder. Ab und an lege ich mein Veto ein, wenn Maya oder Lara aus einem Impuls heraus Sachen vorschnell weggeben wollen. Ein paar Relikte aus der Kindheit dürfen durchaus überleben! So gebe ich besondere Bücher, die wir unzählige Male gelesen haben, (inzwischen) nicht mehr leichtfertig weg. Maya hat sich, weil sie es urplötzlich schmerzlich vermisste, letztens im Internet ein altes Vorlesebuch gebraucht besorgt, das längst nicht mehr verlegt wird.

Die Spiele und Bücher, die Maya just aussortiert hat, stellen wir in den Vorgarten. Es ist nichts dabei, an dem wir hängen. Den edlen Frisierkopf verkaufen wir im Internet. Maya möchte sich von dem Gegenwert einen kleinen Schmuckständer für ihre Ohrringe und Ketten kaufen. Und sie besteht darauf, dass ich eine Verkaufsprovision erhalte: „Schließlich hast du dich um alles gekümmert.“ Ich stimme zu, denn ich handhabe es mit Lara genauso. Je mehr die Mädchen selbst für den Verkauf tun, beispielsweise das Paket anschließend zur Post zu bringen, desto geringer fällt mein Anteil aus.

Für die privilegierten Puppenschwestern habe ich übrigens einen Extra-Platz in meiner Waschküche gefunden. Sie gehören eindeutig zur Kategorie „Unverkäuflich“.