Endlich ist er weg. Dass der Elterngeldantrag die Pest ist, hatten wir noch vom ersten Mal, bei unserem inzwischen drei Jahre alten Sohn Max, in Erinnerung. Aber wie abstoßend und unnötig kompliziert dieser Wust an Formularen tatsächlich ist, wurde uns erst wieder so richtig bewusst, als wir uns nun ein zweites Mal an die Ausfüllerei machen mussten. Das große Zusammensuchen aller (!) Gehaltsnachweise, das Rätselraten um Begriffe wie Verschiebetatbestände und Pflichtmitgliedschaften in der Sozialversicherung.
Natürlich ist das Elterngeld ein Geschenk, um das uns junge Eltern auf der ganzen Welt beneiden. Bis zu 1800 Euro, bis zu 14 Monate lang, das gibt es sonst fast nirgendwo. Aber wenn der Staat seinen Bürgern so etwas Gutes tun will, warum macht er ihnen den Weg dahin so steinig? Das Problem an dem Antrag ist, dass er sämtliche Eventualitäten abdecken will. Dass er mich nicht einfach nach meinem Beruf fragt, sondern ich auch angeben muss, ob ich vielleicht einer Nato-Truppe angehöre, ob ich für eine (und wenn ja, welche) EU-Organisation arbeite oder ob ich Einkünfte aus Forstwirtschaft habe.
Klar, jenseits der unnötigen Verkomplizierung lässt sich das alles recht einfach mit Nein weg-x-en. Aber dann ist da die Sache mit den Verschiebetatbeständen. Die entscheidet darüber, für welchen Zeitraum man sein Gehalt nachweisen muss. Da kommen dann Satzmonster wie: „Ich hatte in den 12 Monaten vor der Geburt des Kindes und/oder im Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes oder auch nur in Teilen der genannten Zeiträume Gewinneinkünfte (positiv, negativ oder Null) und Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.“ Kurzum: Herzlich Willkommen in Bürokratien.
Als unser Sohn Max 2018 geboren wurde, führte unser erster Weg nicht etwa zu Oma und Opa oder den künftigen Paten – sondern ins Standesamt, das Kind offiziell anmelden. Seine erste Post kam dann wenige Tage nach seiner Geburt ebenfalls nicht von Oma und Opa – sondern vom Finanzamt, das noch nicht ganz entknitterte Neugeborene hatte jetzt eine Steuer-ID. Als wir uns nach den ersten durchwachten Nächten (Max schrie viel und schlief kaum) zum ersten Mal wieder an den PC setzten, druckten wir als erstes den Elterngeldantrag aus.
Dass wir – beide studiert, beide Journalisten, einer sogar Volkswirt – unfähig waren, ihn auszufüllen, konnten wir zuerst kaum glauben, mussten es uns dann aber doch eingestehen und professionelle Unterstützung suchen. Das ist inzwischen ein florierendes Business geworden, bis zu 500 Euro kostet es, sich den Antrag ausfüllen zu lassen. Unserer kam trotzdem dreimal zurück. Was für ein Aufwand – für beide Seiten, und letztlich auch für alle Steuerzahler, die die Gehälter der Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen bezahlen.
Doch irgendwann stellten wir fest, dass die Formulare am Ende eben doch bei Menschen landen: Glücklicherweise hatten wir eine sehr nette Sachbearbeiterin, die uns dann telefonisch durch den Dschungel der Bürokratie hindurchnavigierte, weil auf uns als partielle Selbstständige mit gemeinsamer Elternzeit dann doch einige der Eventualitäten zutrafen (wenn auch nicht die Einkünfte durch Forstwirtschaft oder die adoptierten, zu früh geborenen oder Mehrlings-Kinder).
Als unser zweiter Sohn jetzt im Sommer geboren wurde, wollten wir klüger sein und den Antrag schon vor der Geburt ausfüllen, so dass am Ende nur noch der Name einzusetzen wäre. Das Formular hatte ich gerade zur Hälfte ausgefüllt, als ich über den Hinweis stolperte, es auch online ausfüllen zu können – „mit zahlreichen Vorteilen“, wie die Website versprach, und schon sechs Monate vor der Geburt: „Schnellere Entscheidung – weniger Rückfragen“, „Gezielte Antragsführung – der Antrag ,denkt’ mit“.
Das Denken war tatsächlich in Anführungszeichen zu verstehen, denn einfacher wurde der Antrag dadurch kein Stück (er fragte immer noch nach Forsteinkünften und Verschiebetatbeständen), und ein Kind ohne Namen und Geburtsdatum anzumelden, war ebenfalls nicht möglich. So stellte ich den Vertrag auf „Baby Schmucker“ und Wunschgeburtstermin aus und machte mich ans Ausfüllen. Dann wurde ich unterbrochen und fand keine Option zum Zwischenspeichern. Der Albtraum mit „Klicken Sie jetzt nicht den Zurück-Button“-Dokumenten. Am Ende habe ich den Antrag doch ganz schnöde ausgedruckt und mit der Hand ausgefüllt. Seither warte ich auf eine Antwort.
Durch Max wissen wir nun schon: es geht immer so weiter. Die Kita- und Kindergartensuche gestaltet sich zwar weniger intellektuell anspruchsvoll, aber nicht weniger bürokratisch: Anmeldung im zentralen Vergabenetz und dann für jede Wunschkita einzeln die zutreffenden Parameter ausfüllen und ein Bewerbungsschreiben formulieren. Am Ende nützt es eh alles nichts.
Nur eine einzige Freundin wurde tatsächlich über dieses Vergabenetz initial kontaktiert. Wir anderen bekamen den Platz für unser Kind am Ende nur durch Klinkenputzen, Nachtelefonieren und jede Menge Bittsteller-Emails mit Fotos und Beschreibung des Kindes. Meine Nachbarin mit Migrationshintergrund hatte das Nachsehen, weil ihr diese Art von Penetranz unhöflich erschien. Sie hatte ja schließlich das Formular ausgefüllt, nun galt es zu warten. Gemeldet hat sich nie jemand.
Die Oma von einem von Max’ Kita-Kumpels unterstützt sozial schwächere Familien oder mit Migrationsgeschichte dabei, Formulare auszufüllen – egal ob Elterngeld oder jede Art von Unterstützung. „Was ihnen durch die Lappen geht, einfach, weil sie gar nicht wissen, was ihnen zusteht und dann die Formulare nicht ausfüllen können!“, klagte sie neulich. Bei Unklarheiten hätte sie schon mal die Ämter stellvertretend angerufen – bekomme aber keine Auskunft. Datenschutz. Riefen die Familien selbst an, sagten die Sachbearbeitenden, sie könnten diese nicht verstehen, und die Familien müssten mit Dolmetscher persönlich vorbeikommen.“
Doch auch meine Freunde ohne Migrationshintergrund verzweifeln beispielsweise am Elterngeldantrag – und selbst die Steuerberater kapitulieren. „Nehmen Sie einfach den Mindestsatz von 300 Euro, alles andere wird viel zu kompliziert“, riet ein Steuerberater beispielsweise meiner selbstständigen Freundin.
Doch bevor ich ins Schimpfen abschweife: Seit Freitag ist unser großer Sohn zum ersten Mal in Corona-Quarantäne, ein Kind aus seiner Kita-Gruppe hat einen positiven Covid19-Befund erhalten. Die Betreuerin rief uns kurz an der Tür zu, dass die Gruppe wohl jetzt mindestens eine Woche geschlossen bliebe, vielleicht zehn Tage. Sonst haben wir noch nichts gehört, nicht, was das eigentlich heißt, und auch nicht, ob, wie und wann wir Max vielleicht „freitesten“ könnten. Weder von der Kita, noch vom Gesundheitsamt. Ich hätte das nicht für möglich gehalten: Aber gerade wünsche ich mir ein bisschen mehr Bürokratie.