Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Gewappnet für das neue Jahr – komme, was wolle

Auch nach längerem Überlegen kann ich mich an kein ähnlich entspanntes Weihnachten erinnern. Wir haben viel gemacht. Leute getroffen, gefeiert, getanzt, gespielt, gut gegessen und Gespräche geführt. Alles unter 2 G plus – bevor einer fragt. Heute steht gar nichts auf dem Programm. Die Kinder spielen mit ihren Weihnachtsgeschenken, meine Frau und ich sitzen in unseren Lesesesseln. Nebenbei läuft harmonische, ruhige Musik. Ich bin etwas erschöpft, fühle mich im Großen und Ganzen aber gut und bin – entspannt. „Zwischen den Jahren“ soll man ja zur Besinnung kommen. Sich sammeln, über das Gewesene sinnieren, an das Kommende denken und sich überlegen, was besser laufen soll. Dem zweiten Punkt widmet sich meine Frau, die im Internet nach Urlaubsunterkünften für den Sommer stöbert. Ja, zur Besinnung kommen – das ist mir für diesen Moment jedenfalls ganz gut gelungen. Das liegt am abwechslungsreichen Weihnachtsprogramm, an der ruhigen Musik und vielleicht auch an dem Krimi des Schweden Hakan Nesser, den ich gerade lese, in dem der Kommissar regelmäßig mit Gott spricht, darin nicht immer Glück, aber immerhin innere Ruhe findet.

Wenn die Festtagskerzen runterbrennen, kommen wir langsam zur Ruhe.
Wenn die Festtagskerzen runterbrennen, kommen wir langsam zur Ruhe.

Diese Beschreibung unseres nachweihnachtlichen Setups schicke ich vorweg, weil es im so großen Kontrast zur Vorweihnachtzeit steht, in der dieser Text eigentlich entstehen sollte. Im Kopf stand er da auch schon. Jetzt bin ich froh, mich dagegen entschieden zu haben, ihn auf Teufel komm raus noch zwischen einem Frühdienst und den Einkaufsstress zu quetschen. Wenn ich an meine angespannte Stimmung vor ein paar Tagen denke, hätte der Text meine Hektik aufgesogen. Ich wäre zu emotional und unbarmherzig mit mir selbst gewesen. Wenngleich die Dinge im Text die Gleichen geblieben sind.

Was waren im Rückblick die Ereignisse und Dinge, die uns „schlaflos“ gemacht haben? Zum einen die Einschulung unserer Tochter Frida. Sie kam in die Schule, ohne ein einziges Kind in ihrer Klasse zu kennen. Wegen ihrer Schüchternheit tat sich Frida schwer, Anschluss zu finden und den Bezugspersonen in der fremden Umgebung zu vertrauen. Aber, wie konnte es auch anders sein, es hat sich nach ein paar Monaten alles eingespielt. Sie hat Freundinnen gefunden (mit Jungs tut sie sich noch etwas schwer), verabredet sich und geht inzwischen gerne zur Schule. Nur den grummeligen Lehrer, der den Computerunterricht gibt, den mag sie nicht. Aber ehrlich, das gehört dazu. Die Schule ist ja nicht das Paradies.

Einen kleinen Schock und ein mindestens mittelgroßes schlechtes Gewissen bekamen wir kurz vor den Ferien. Wie wir in ihrem Deutsch-Arbeitsheft sahen, hat Frida ihre Hausaufgaben weniger sorgfältig erledigt als gedacht. Sie ist nach dem Unterricht in der Mittagsbetreuung. Dort sollen die Kinder unter Aufsicht ihre Hausaufgaben erledigen. Es gibt sicher Eltern, die sich aufregen würden, dass da jemand seinen Job nicht richtig macht. Letztlich sind aber wir für unser Kind verantwortlich. Wir haben das, wie gesagt, in der Vorweihnachtszeit festgestellt und uns Vorwürfe gemacht. Ich habe mich gefragt, was für ein mieser Vater ich bin, der seine Erstklässler-Tochter gleichgültig ihrem schulischen Schicksal überlässt. Jetzt sage ich mir: Da warst du nachlässig, aber jetzt wirfst du künftig einen Blick auf ihre Aufgaben, und damit ist es auch gut.

Ruhe und Besinnlichkeit können Wunder wirken. Das gilt auch für unseren Sohn Theo. Anders als bei seiner Schwester hatten wir seine schulischen Leistungen voll im Fokus. Bei ihm entscheiden die Noten in diesem Jahr, welche weiterführende Schule er ab dem Sommer besucht. Es ist kein Gerücht: In Bayern sind die Anforderungen höher und anspruchsvoller als in anderen Bundesländern. Es vergeht keine Woche, in dem die Viertklässler nicht mindestens eine Probe schreiben. Das Wort Probe klingt niedlich, bedeutet aber nichts anderes als Klassenarbeit. Allein in Deutsch waren es von September bis Weihnachten sechs, wenn ich mich nicht verzählt habe. Da gehen schon mal ganze Sonntage drauf, wenn in der folgenden Woche eine Probe ansteht. Nicht nur für die Kinder, auch für die Eltern, die ihren Nachwuchs unterstützen und natürlich auf dem Gymnasium sehen wollen.

Eine Mutter sprach neulich angesichts der engen Leistungsnachweis-Taktung vom „Bayerischen Grundschulabitur“. Der Ausdruck trifft es leider ziemlich gut.

Theo macht es gut. Er ist erst vor vier Wochen neun Jahre alt geworden und mit Abstand der Jüngste in der Klasse. Wie fast alle Eltern wollen wir manchmal nicht begreifen, dass unser eben noch so kleiner Junge eben kein ganz kleiner Junge mehr ist. Wir müssen ihn auch im kommenden Jahr etwas zur Disziplin ermahnen und regelmäßig abfragen, aber er wird seinen Weg gehen. Ich hoffe, dass ich meine über die Feiertage gewonnene Gelassenheit mit ins nächste Jahr nehmen kann. Es passiert so viel.

Am ersten Weihnachtstag hat mir eine Freundin ein Foto gezeigt: Ihre komplette Familie, versammelt um eine weihnachtliche Festtafel – etwa zwanzig Leute. Die Einzige, die fehlte, war sie. Sie durfte wegen Corona das zweite Weihnachtsfest nacheinander nicht nach England reisen. Eine ihrer Schwestern hat inzwischen geheiratet, eine andere ein Baby bekommen. Bei der Hochzeit fehlte sie, das Baby hat sie noch nie gesehen. Sie hat das Foto angeschaut und geweint.

Am zweiten Weihnachtstag hat eine Corona-Leugnerin bei einer illegalen Demo ihr vierjähriges Kind bewusst als Schutzschild gegen eine Polizeisperrung benutzt. Das war gar nicht weit von hier, in Schweinfurt. Das Kind wurde mit Pfefferspray verletzt und der Mob hat die Polizei dafür verantwortlich gemacht.

Seit Weihnachten werden Medien nicht müde, Vertreter von Lehrerverbänden zu zitieren, die angesichts der Ausbreitung der Omikron-Variante den nächsten Lockdown fordern – die Aussichten sind düster: Homeschooling, mindestens bis Mitte Januar.

Wir werden auch im kommenden Jahr wieder klagen, uns über Politiker und Lehrer, Kindergärtner, schlechte Noten, schräge Eltern und unsere Kinder ärgern, auch mal weinen, auch mal zweifeln – aber wir werden für alles gewappnet sein. Mit dem Glauben an Gott wie der Kommissar bei Hakan Nesser oder dem Glauben an unsere Kinder oder einfach mit dem Glauben an uns selbst. Kommen Sie gut ins neue Jahr.