Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Russisch Roulette in der Kita

| 34 Lesermeinungen

Für die Kinder der Autorin liegen alle Freizeitaktivitäten brach – auch das Kinderjudo.

Vor einigen Tagen ist die Seuche in meinen Träumen angekommen. Ich habe geträumt, dass wir auf einem Kindergeburtstag waren und die Kinder plötzlich Bauchschmerzen bekamen. Kurz darauf die Botschaft, dass ein Geschwisterkind positiv getestet wurde. Ich habe die Angst gefühlt, die mich sonst am Tag begleitet, die Hilflosigkeit und die Schuldgefühle: Wie konnten wir nur so leichtsinnig sein, auf einen Kindergeburtstag mit drei (!) anderen Kindern zu gehen.

In Wirklichkeit waren wir in den vergangenen zwei Jahren auf keinem einzigen Kindergeburtstag. Wir waren nicht im Kino und haben uns nur mit Freunden getroffen, wenn sich alle vorher getestet hatten. Meistens draußen, selbst bei Regen oder Schnee. Wir waren nicht bei der Einschulung meiner Nichte und haben keine Taufe gefeiert. Und seit einigen Wochen sind wir zu einer Schattenfamilie geworden.

Wir sind eine Familie mit zwei Kleinkindern in selbstgewählter und doch unfreiwilliger Isolation. Wir sind dazu gezwungen, weil die Politik es seit zwei Jahren nicht schafft, ein tragfähiges Konzept für Kitas, Kindergärten und Schulen zu entwickeln, in dem Kinder sich nicht unweigerlich infizieren oder in Winterjacken und mit Masken viele Stunden ausharren müssen. Oder in denen Erzieher mit FFP2-Masken Kleinkinder betreuen, die auf Mimik noch mehr angewiesen sind als auf das gesprochene Wort.

Wir sind dazu gezwungen, weil jede Kita selbst entscheiden kann und muss, ob sie das Testen der Kinder für sinnvoll erachtet und unsere Einrichtung dafür leider keinen Bedarf sieht. Anders als die Nachbarstadt zahlt unsere Kommune keinen Zuschuss zu solchen Tests. Pech gehabt.

Und wir sind zur unfreiwilligen Isolation gezwungen, weil einige Menschen, gerade der Altersgruppe 60plus, die Pandemie für sich als beendet sehen, seit sie geboostert sind und sich beispielsweise weigern, sich vor den Treffen testen zu lassen („sind doch geboostert“) oder auf liebgewonnene Freizeitaktivitäten zu verzichten. Dass sie damit eine Ansteckung von Menschen riskieren, die uns nahestehen und unseren Kindern nahekommen, scheint ihnen egal zu sein.

Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie zerbröselt die Solidarität. Oder war sie nie da?

Im Dezember hat sich unser kleiner Sohn Lenny mit dem RS-Virus infiziert, ein Erreger, der momentan die Kinderstationen in den Kliniken mit infizierten Kindern füllt, der die Lungenbläschen verklebt und kleine Kinder am Atmen hindert. Er ist wieder gesund, doch seine Lunge hat gelitten. Eine Corona-Infektion käme Russisch-Roulette gleich.

Ich habe mit der Kita-Leitung gesprochen und darum gebeten, ein Testkonzept zu entwickeln. Vergeblich. Ich habe in der Whatsapp-Gruppe der Einrichtung darum gebeten, die Kinder regelmäßig freiwillig zu testen. Drei Eltern waren einverstanden, einer schrieb mir: „Da machen wir keinesfalls mit. Omikron ist für Kinder nicht schlimmer als eine Erkältung.“ Der Rest blieb stumm.

Uns blieb keine andere Option, als den großen Bruder Anfang Januar aus der Kita zu nehmen, um den kleinen Bruder vor einer Ansteckung zu schützen. Drei Tage später hatte sich das erste Kind aus seiner Gruppe mit Omikron infiziert und mit ihm zwei weitere. Seither ist die Gruppe immer mal wieder ein paar Tage geöffnet und dann wegen des nächsten Positiv-Tests wieder für fünf Tage geschlossen.

Denn auch wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine Durchseuchung in Kitas und Schulen als „unethisches Experiment“ bezeichnet und regelmäßig vor Long Covid und anderen Folgeerkrankungen warnt, so ist eine Durchseuchung momentan das, was in den Krabbelstuben, Kindergärten und Grundschulen passiert. Die Inzidenzen liegen bei Kindern und Jugendlichen in manchen Bundesländern über 5000.

Dass der Generationenvertrag offenbar einseitig geschlossen wurde, schmerzt uns sehr. Wir haben unseren damals zweijährigen Sohn im ersten Lockdown viele Wochen lang völlig allein betreut, irgendwie, neben der Arbeit her – die Kita wurde auf Anordnung des Staates geschlossen, Oma und Opa zu treffen war aus Sicht der Virologen so unverantwortlich wie unethisch. Wir taten unser Bestes, die vulnerable Gruppe der 60plus zu schützen.

Jetzt sind die Alten in weiten Teilen geimpft und geboostert – und zur vulnerablen Gruppe werden die Kinder, für die es momentan noch keine Impfungen gibt oder die noch nicht den vollständigen Impfschutz haben. Die sich oft nicht einmal durch Masken schützen können und der Seuche jetzt hilflos ausgeliefert sind.

Deren Verläufe meist mild sind, aber die Spätfolgen wie Long Covid oder PIMS noch weitgehend unerforscht. Für sie könnten die hohen Infektionszahlen gefährlich werden – doch kaum noch jemanden scheint das zu kümmern, liegt die Inzidenz doch in der Gruppe der 60 plus bei unter 200 und Lauterbach nennt die Pandemie „gut unter Kontrolle“.

Viele unserer Freunde jonglieren seit der Omikron-Welle wieder mit Kinderbetreuung durch Quarantäne und der eigenen Arbeit. Hat die Kita wieder offen, bleibt ihnen oft keine Wahl, als die Kinder hinzuschicken. Während sie also wie wir vor dem Dilemma stehen, arbeiten zu gehen oder die ungeimpften Kinder an einen Ort zu schicken, an dem sie sich unweigerlich über kurz oder lang mit Covid infizieren werden, Ausgang unbekannt, spucken uns viele der 60plus ihre Pandemiemüdigkeit entgegen.

Halten an der Supermarktkasse keinen Abstand statt eine Minute zu warten, bis wir aus dem Weg gegangen sind, treffen sich zu Kartenabenden oder verabreden sich zu Geburtstagsfeiern im Restaurant. Was für die Jungen seit Beginn der Pandemie selbstverständlich ist (Verzicht und ständiges Testen selbst der Kleinsten, alles, um die Alten zu schützen), scheint andersherum nun vermessen.  

Ich weiß nicht, wie lange wir noch durchhalten, und ob wir verhindern können, dass Lenny sich ansteckt. Doch ich weiß, dass Soziologen und Politiker vor den Folgen der Isolation warnen. Es ist nicht kindgerecht, den ganzen Tag nur mit Mama und Papa zu spielen und zu allen anderen Kindern auf Abstand zu bleiben, wir haben das im ersten Lockdown gemerkt. Max fing an zu rennen, sobald er in hundert Metern Entfernung ein Kind erblickte. Er wollte dorthin.

Lenny absolviert seinen Pekip-Kurs online, für Max gibt es diese Angebote nicht. Er darf  nicht ins Kinderturnen, nicht zum Zwergenjudo und nicht in ein Spielwarengeschäft. Ich hoffe, dass wir eines Tages rückblickend sagen können, dass unsere Entscheidung die richtige war. Es ist momentan die einzige, die uns bleibt.


34 Lesermeinungen

  1. hyperion2400 sagt:

    Als relativ junger Mensch sehe ich die Impfpflicht viel eher als einen Verstoß
    gegen den Generationenvertrag. Was soll denn dieser Unsinn, dass jetzt auch noch jedes Kind geimpft werden muss? Schauen Sie sich mal die Statistiken an.

    Seit Beginn der Pandemie gab es nur 28 Todesfälle *mit* Covid unter 10 Jahren. Wobei „mit“ das ausschlaggebende Wort ist. Ob von diesen Fällen überhaupt jemand *an* Covid gestorben ist, ist nicht einmal bekannt.

    Auf der anderen Seite werden die Risiken einer Impfung gerne unter den Teppich gekehrt. Insbesondere sei hier Myokarditis bei Jungs und jungen Männern genannt.

    Auch das gefürchtete Long-Covid bei Kindern ist reinste Hysterie: „Für die Studie haben die dänischen Wissenschaftler landesweit Daten von fast 17.000 ungeimpften Kindern zwischen 0 und 17 Jahren mit durch PCR-Tests nachgewiesener Infektion gesammelt. So stellten die Mediziner vier Wochen nach der Infektion lediglich bei 0,8 Prozent der Kinder Long-Covid-Anzeichen fest. Bei ihnen klangen die Symptome wiederum meist innerhalb von ein bis fünf Monaten ab“

    • Chiara Schmucker sagt:

      Es gibt für Kinder unter 5 Jahren keinen zugelassenen Impfstoff. Damit besteht nur die Möglichkeit einer Off-Label-Impfung. Von einer Impfpflicht habe ich nicht gesprochen, sie wird für Kinder auch nicht diskutiert.

    • ckrasel sagt:

      Sohn off-label impfen
      Frau Schmucker kann ihren jüngeren Sohn off-label impfen lassen, wenn sie und der behandelnde Kinderarzt das Risiko eingehen wollen. Dieses Risiko halte ich für extrem überschaubar, denn die Zulassung des BioNTech-Impfstoffs für Kleinkinder ist heute in den USA beantragt worden. Die Dosierung beträgt ein Zehntel der Erwachsenendosis.
      Für den älteren Sohn halte ich eine Impfung aktuell nicht für notwendig. Wie „hyperion2400“ schreibt, ist das Risiko einer ernsthaften Erkrankung extrem gering. Aus diesem Grund gibt es von der Stiko auch keine generelle Impfempfehlung für 5-12-Jährige. Das Risiko, durch die Erkrankung einen ernsthaften Schaden zu erleiden, ist für ihn nicht höher als das Risiko, diesen ernsthaften Schaden durch die Impfung zu bekommen. Die Impfung des älteren Sohnes würde auch nicht das Infektionsrisiko des jüngeren Sohnes verringern.

  2. Zorpheus sagt:

    Titel eingeben
    Ich dachte Kinder werden nicht geimpft, weil die Krankheit für sie kein Risiko ist, und deshalb die Impfung nicht gerechtfertigt ist.

    • Chiara Schmucker sagt:

      Für Kinder unter fünf Jahren ist leider noch kein Impfstoff zugelassen. Und wenn man eine Durchseuchung der Schulen zulässt, hätte man sich m.E. schon überlegen können, das auch an eine Impfempfehlung zu koppeln, die es auch für Kinder von 5-12 Jahre von der Stiko nicht gibt.

  3. qmann sagt:

    Ich verstehe Sie 100%
    Als Familienvater von zwei kleinen Kindern verstehe ich Sie zu 100%! Ich erinnere mich noch sehr gut, wie wir während des ersten Lockdowns mit unserer Kleinen auf dem Bürgersteig spielen mussten, weil alle Spielplätze, Parks etc. geschlossen waren (als Stadtmensch hat man nunmal keinen großen Garten zum austoben). Nicht zu sprechen von den endlosen Nächten, in denen man irgendwie noch versucht hat die liegengebliebene Arbeit zu erledigen. Jetzt plagt einem das schlechte Gewissen wenn man die Kinder miteinander spielen lässt, da sie ja krank werden könnten.. Aber alles nicht weiter schlimm hört man von links und rechts!

  4. CSbg sagt:

    Kinderarzt
    Der Kinderarzt unser Enkel sagte unserer Tochter, fast alle Kinder seiner Praxis haben oder hatten es, und es gab keinen ernsthaften Fall. Sie solle sich da keine Sorgen machen.

  5. hlund sagt:

    Wahre Worte...
    … und, wie es hier auch im Text heißt, dass es auch nach zwei Jahren kein Konzept, keine Überlegungen, keine Ideen gibt wie es für unsere Kinder weiter gehen soll, zeigt das Grundproblem: Politik für die Alten und Älteren. Null Interesse an den Problemen der nachwachsenden Generation. Fängt bei der Kinderbetreuung an und hört beim Lüften von Klassenzimmer bei Minusgraden auf. Erbärmlich, ein Armutszeugnis… Ich versuche gar nicht darüber nachzudenken, da ich sonst nur noch wütend wäre.

    Wir haben uns für gemäßigte Kontakte entschieden. Für beide Kinder mit erwartbarem Risiko. Es geht nicht ohne…. Auch unter den Umständen.

    Alles Gute Ihren Kindern

  6. Zathras sagt:

    Die Pandemie ist Realität, kein Wunschkonzert
    Bei allem Verständnis für die betroffenen Eltern.
    Was soll so eine Aussage?“Wir sind eine Familie mit zwei Kleinkindern in selbstgewählter und doch unfreiwilliger Isolation. Wir sind dazu gezwungen, weil die Politik es seit zwei Jahren nicht schafft, ein tragfähiges Konzept für Kitas, Kindergärten und Schulen zu entwickeln, in dem Kinder sich nicht unweigerlich infizieren oder in Winterjacken und mit Masken viele Stunden ausharren müssen. Oder in denen Erzieher mit FFP2-Masken Kleinkinder betreuen, die auf Mimik noch mehr angewiesen sind als auf das gesprochene Wort.“
    Das Virus verbreitet sich nun mal über Aerosole. Sobald Menschen dicht beisammen sind, steigt das Risiko der Infektion. Ohne Maske und Abstandhalten läßt sich das nun mal nicht verhindern.
    Und Testen alleine hilft auch nicht viel. Man kann den Eindruck bekommen, dass Leute glauben, dass Testen vor einer Infektion schützt. Dem ist aber nicht so.Der einzige Schutz ist AHA+L plus maximal Impfen.
    Das ist doch n

  7. Hklar sagt:

    Ein wenig Lektüre würde helfen
    Infektionen laufen wegen des hochtourigen Immunsystems der Kinder deutlich problemloser als bei Erwachsenen ab.
    Ich kenne jeweils 2 Personen die an Corona und an der Impfung gestorben sind, aber ich kenne trotz ständiger Nachfragen in meinem Umfeld nicht ein einziges Kind welches ernsthaft irgendein Problem mit Corona hatte.
    Das Problem der Eltern sind also die Regelungen und nicht die Krankheit!
    Sehr viele Eltern haben das längst erkannt und deshalb ist das politische Spektrum unter den Spaziergängern auch so breit – Eltern sind zuerst Eltern und dann erst politisch!

  8. schmidtjulia sagt:

    Titel eingeben
    “Eine Corona-Infektion käme Russisch-Roulette gleich.“ wie kommen Sie darauf? Das ist schlichtweg falsch. Auch nach RSV Erkrankung ist kein fulminanter Verlauf bei kleinen Kindern zu erwarten. Selbst manifestes Asthma Bronchiale gilt bei Kindern nicht als Risikofaktor im Falle einer Covid-Erkrankung. Passen Sie auf, dass ihre nicht evidenzbasierten, auf Angst gebauten Entscheidungen den Kindern nicht nachhaltig schaden.

    • lenni.estel sagt:

      Vielen Dank!
      Der Artikel spricht mir aus dem Herzen!

      Man muss übrigens auch an die Erzieherinnen denken, die infizieren sich nämlich gerade auch gleich mit.

  9. mumuku sagt:

    immer mit dem Finger auf andere zeigen
    „Drei Eltern waren einverstanden, einer schrieb mir: „Da machen wir keinesfalls mit. Omikron ist für Kinder nicht schlimmer als eine Erkältung.“ Der Rest blieb stumm.“ Ich bin 60plus, geboostert. An der Supermaktkasse ist der Einkaufswagen hinter mir, um Mutter/Vater mit Kind (und andere) auf Abstand zu halten! Warum schlagen sie jetzt auf uns ein.Bleiben sie in Ihrer Gruppe (siehe Zitat oben) Es gibt genug Eltern die das genau so sehen „nicht schlimmer als eine Erkältung“ Wenn Oma/Opa sich nicht testen lassen wollen, wenn sie ihre ENKEL SEHEN WOLLEN, KLÄREN SIE DAS MIT DENEN.
    Es gibt in allen Gruppen Eltern, 60 plus, etc. en masse die sich an nichts mehr halten. Denen ist unsere Gesundheit (z. B.meine oder die Ihres Kindes völlig egal). Ist traurig aber wahr. Aber geben sie nicht die Schuld nur den 60 plus Leuten.

  10. Mango321 sagt:

    Wir verstehen Sie
    und ‚leiden‘ mit. Wobei wir an 3 Tagen die Woche einen Freud erlauben.

    Nun kam‘s wie es kommen musste- am Donnerstag war das Kind da, am Samstag positiv. Das nenne mal Pech, wir betreuen extra selbst und holen uns dann doch Corona ins Kinderzimmer. Das schlimme ist, wie haben nichts falsch gemacht- es gab keinerlei Auflagen oder Kontakte außer diesem einem Kind, welches an dem Tag nach der Kita bei uns war.

    Wir freuen uns auf die Impfung unseres jüngsten Kindes und werden unendlich wütend wenn wir ältere sehen, die es einfach nicht so genau nehmen.

    … aber wenn sich weiterhin so viele anstecken, dann müsste es doch bald vorbei sein?

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