Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Ein Hoch auf kinderfeindliche Gastwirte

| 20 Lesermeinungen

Vor ein paar Tagen ging eine Meldung durch die Medien. Ein Restaurant in Dierhagen an der Ostsee hat Kindern unter zwölf Jahren Hausverbot erteilt. Die Betreiber hatten keine Lust mehr auf mit Filsstiften verschmierte Tische und festgetretene Schnitzel auf den Teppichböden.

In den sozialen Medien entbrannten hoch emotionale Diskussionen, überall, wo der Artikel gepostet wurde. Ein Lager bestand aus tief getroffenen Eltern ohne Verständnis für diese Intoleranz gegenüber den lieben Kleinen. Diese Gruppe wünschte den Wirten mindestens die Pest an den Hals. Auf der anderen Seite gab es Applaus von Leuten, bei denen man etwas differenzieren muss. Ein kleinerer Teil gestand frank und frei, keine Kinder zu mögen. Für den größten Teil waren ganz einfach die Eltern schuld, die mit der Erziehung ihrer Rotzgören heillos überfordert sind und die die Verantwortung für die Unerzogenheit ihrer Blagen bei Erziehern und Lehrer suchen. Und mittendrin stand eine Impfgegnerin, die dem kranken System in diesem Land die Schuld an allem gab. 

Ohne kleckern geht es eben nicht: Acht Monate altes Baby auf dem Weg zum selbständigen Essen.
Ohne kleckern geht es eben nicht: Acht Monate altes Baby auf dem Weg zum selbständigen Essen.

Kinderverbote in der Gastronomie sind nun nicht neu. Trotzdem griffen viele Medien die Meldung von der Ostsee auf. Das Thema polarisiert einfach so schön: Kinder gegen Wirte. Kreischender Trubel am Nachbartisch gegen Ruhe. Da hat jeder klare Bilder vor Augen und kann wunderbar seinen Senf dazu geben, weil man ja schließlich seine Erfahrungen gemacht hat. Der eine fühlt sich durch ein „Kinder-müssen-draußen-bleiben-Schild“ in seiner Freiheit beraubt, eine andere dagegen so richtig frei.

Meine Meinung zum Thema ist ziemlich klar. Ich war mit meiner Frau ein paar Mal in einem Wellnesshotel in Brandenburg. Das war vor den Kindern und eine Oase der Ruhe. Dieses Haus sorgte später für bundesweite Schlagzeilen, weil es das erste Hotel im Land wurde, das keine Kinder duldet. Wir waren danach nie wieder dort. Das hatte aber rein organisatorische Gründe und nichts mit Protest zu tun. Im Gegenteil: Ich begrüße die Existenz solcher Hotels ausdrücklich. Für Eltern, die mal ein Wochenende ohne eigene Kinder verbringen wollen, ist die komplette Abwesenheit kindlichen Krachs eine Wonne. Wenn die Kinder mitkommen sollen, fährt man halt woanders hin.

Das ist ja das Verlogene in dieser Diskussion. Wenn ein Hotel keine Kinder will, nimmt man halt eines der fünfzig anderen. Es gibt in diesem Land weitaus mehr Familienhotels als „adults only“-Häuser. Wenn ein Restaurant an der Ostsee keine unter Zwölfjährigen bedienen will, geht man ins Restaurant nebenan.

Die Kinderfeindlichkeit – oder weniger scharf: der nachlässige Umgang mit Kindern in Deutschland – zeigt sich nicht anhand von ein paar Restaurants oder Wellnesshotels. Dafür gibt es in einem der reichsten Länder der Welt zig andere Bespiele: Die Ausstattung der Schulen, angefangen bei Computern und Digitalisierung. Das ist spätestens in der Corona-Pandemie beim Homeschooling deutlich geworden. An die unzureichenden Lernmaterialien denkt der Autor mit Grausen zurückdenkt. Das ist inzwischen ein Jahr her. Hat sich da wirklich etwas getan?

Oder was ist beim Thema Chancengleichheit: Wann haben Kinder aus bildungsfernen Haushalten endlich ähnliche Voraussetzung, einen gescheiten Beruf zu erlernen, wie Akademiker-Kinder? Das ist kein inhaltsleeres Rumgeheule. Denn es hat ja Konsequenzen für die komplette Gesellschaft.

Gerade haben wir den Tag der Arbeit gefeiert. Das Thema Fachkräftemangel schwebt nicht nur über unserer Wirtschaft – es ist schon krachend gelandet. Es fehlen Nachwuchskräfte in vielen systemrelevanten Berufen, wie wir durch die Pandemie gelernt haben. Hat sich da schon irgendwas getan?

Es geht nicht nur um Alten- und Krankenpfleger: Mancherorts ist es fast unmöglich, einen Handwerker zu finden, der spontan Zeit hat und der sie kein Vermögen kostet. Der Ausblick ist düster. Schon unsere Eltern haben gelernt: Handwerk hat goldenen Boden. Dumm nur, wenn das Schulsystem immer weniger junge Menschen bereitstellt, die diesen Goldschatz bergen wollen und die auch die Qualifikation dafür haben.

Ja, zugegeben, der Bogen von einem Restaurant an der Ostsee bis zu den fehlenden Fachkräften ist weit gespannt. Aber diese aufgeheizte Diskussion um angeblich kinderfeindliche Wirte ist exemplarisch für eine Gesellschaft, in der oft am Thema vorbeigeredet wird. Dass es ein paar Restaurants gibt, die keine Kinder bedienen, ist kein Problem. Dass Tausende Kinder im Land jährlich nicht den Weg in die hiesige Arbeitswelt finden, sehr wohl. Aber es macht einfach mehr Spaß, sich über kinderfeindliche Wirte aufzuregen als über Tausende Schüler ohne Perspektive. Uns geht es einfach (noch) zu gut.


20 Lesermeinungen

  1. AndreasM2 sagt:

    Kinderfreundlichkeit Erziehung
    Kinder in Hotels und Restaurants nicht mehr zu bedienen ist wohl eine Notwehr gegen die Masse an schlecht erzogenen Kindern.
    Die Schuld tragen die Eltern bzw. die Erziehungsideologen.

    Am Samstag auf dem Markt ein stolzer Vater lässt seine Tochter über die Theke des Obst- und Gemüsestandes laufen – mit Straßenschuhen.
    Ist das richtig – natürlich nicht, wer weiß was unter den Sohlen der Schuhe klebte und nun den Weg über die Einkaufstasche in die Haushalte findet.

    Wenn unser Kinder sich an Orten an den andere Menschen Erholung und Entspannung suchen nicht benommen haben, dann haben wir uns mit den Kindern entfernt. Rücksichtnahme auf die Anderen und nicht bedingungslose Hinnahme von individuellen Befindlichkeiten.

    Einen großen Dank an alle vernünftigen Eltern die ebenso handeln. Nicht einfach gegen den Mainstream zu agieren und seine Kinder zu Respekt, Rücksichtnahme und Selbstständigkeit zu erziehen.

  2. Helge_Koopmann sagt:

    Kirche im Dorf lassen
    Das Land ist kinderfeindlich, weil die Digitalisierung in den Schulen nur schleppend vorankommt? Das verstehe ich nicht. Also sind so gut wie alle Länder in Afrika kinderfeindlich? Lächerlich. Ich hätte einen Tip, die Debatte zu entschärfen: Nur überprüfte Klarnamen zum Kommentieren zulassen. Dann funktioniert der zivilisatorische Kodex wieder.

  3. arnie39 sagt:

    Zitat
    „Wer Hunde und kleine Kinder hasst, kann kein ganz schlechter Mensch sein“ (W.C.Fields in seinem Dinner-Sketch)

  4. neodoc24 sagt:

    Pauschale Altersdiskriminierung
    Gibt es auch schon Hotels oder Gaststätten, in denen Gäste ab 70 Jahren Hausverbot haben ? (könnten ja dement sein oder schwerhörig oder unfrisiert)
    Nur mal zu Protokoll: Es gibt sehr viele Kinder unter 12 Jahren, die weder Möbel mit Filzstiften „dekorieren“ noch Schnitzel auf der Auslegeware verreiben.
    Ein pauschales Hausverbot ohne sachlichen Grund, nur aufgrund des (zu) geringen Alters ist eine Unverschämtheit.
    Aber bitte: der Wirt ist in Dierhagen nicht ohne Mitbewerber, und es ist möglich, auf seine Dienste zu verzichten.

  5. Wasa14 sagt:

    Differenziert Kommentar
    Eines ehrlich vorweg: Ich mag keine Kinder. Habe konsequenterweise auch keine.

    Man muss lange suchen, bis man einen Kommentar in den Medien findet, der im Artikel besprochenes Thema im allgemeinen und den hiesigen Fall im besonderen hinreichend würdigt – und den Spagat schafft, beiden Seiten – den Eltern und den Kinderlosen – angemessen gerecht zu werden.

    Dem Autor gelingt dies. Dafür gebührt Matthias Heinrich Dank.

    Obgleich er selbst Vater ist, sieht er auch die berechtigten Interessen der Kinderlosen. Und dies ist nun einmal unter anderem das Recht, in Ruhe essen gehen, urlauben und entspannen zu können.

    Allein, es müssten noch mehr Gastwirte und Hoteliers dem Beispiel kinderfreier Zonen folgen. Nur Mut!

  6. dc-3 sagt:

    Nix gegen Kinder im Restaurant, aber...
    …wenn sie sich nicht benehmen können, sind sie eine Pest. Richtig wäre eigentlich, im Fall des Falles solche Familien höflich, aber bestimmt aus dem Lokal zu komplimentieren, aus Rücksicht auf die anderen Gäste. Weil das den Wirten kaum zumutbar ist, erlassen sie halt prophylaktisch ein Totalverbot, verständlicherweise.

  7. HeidiHeigel sagt:

    Seien wir froh, dass es das die Spezialisierung gibt.
    Kinderfreundliche Hotels für Familien mit Kind.
    Hundefreundliche Hotels für Hundehalter.
    Sporthotels z. B. für Tauchsportler.
    Gourmethotels für Feinschmecker.
    Raucherfreundliche Hotels für Raucher.
    usw. usf.
    Was ist so tadelnswert, wenn Hotels sich auf besondere Bedürfnisse spezieller Gästegruppen perfekt einrichten?

    Wir haben einen Hund und die Hundesporthotels sind perfekt auf unsere Bedürfnisse eingerichtet:
    Beginnend mit der Lage ein schneller Zugang zur spätabendlichen Pieselrunde und zum Wandergebiet, schattige, nicht geschotterte Wege, Bäche oder Seen. Und im Hotel eine Duschgelegenheit für unsere Felligen, wenn sie nass und dreckig nach einer Regenwanderung zurückkommen und einen Platz (z. B. Balkon) wo sie trocknen können. Einen Hundesitter, wenn wir in die Stadt wollen, evtl, Agility oder Flyball oder Tricktraining … besser geht’s doch gar nicht.
    Was soll ich in einem Hotel, wo Hundefeinde ein und aus gehen, wo Verbotsschilder stehen? Entspannen

  8. Skelzor sagt:

    Stimmt und trotzdem
    Kinder können nerven. Kranke können nerven. Behinderte können nerven. Alte können nerven. Ja – als Teil der Gesellschaft ist man ständig herausgefordert, muss Geduld aufbringen und starke Nerven beweisen. Es ist nicht einfach, aber diese Teile der Gesellschaft zu integrieren nennt man Solidarität. Das ist es, was uns im Kern zusammenhält. Der Wirt darf machen was er will – das ist seine persönliche Freiheit, noch so etwas Gutes, das manchmal schwer zu ertragen ist. Aber er muss auch mit der Konsequenz leben, dass man ihn gesellschaftlich als Arschloch sieht.

    • Zathras sagt:

      Sie pauschalisieren
      Der wirt bedient einfach die Nachfrage.
      Und ja, ich mag auch keine Kinder und habe selbstverständlich keine.

  9. ertzwerk sagt:

    Richtig!
    Auch ich, Vater von zwei quirligen Jungs, sehe es wie der Autor des Artikels. Mit Kopfschütteln habe ich die Diskussion über das betreffende Wirtshaus verfolgt. Vor allem das hysterische Geschrei und die an den Haaren herbeigezogenen Schlussfolgerungen fand ich für die Empörten sehr bezeichnend – für die Ansichten des Wirtes hat sich dagegen gar keiner interessiert, die dienten nur als Blaupause für die eigene Erregung. Deshalb sehe ich das ganze Geschrei auch nicht als Einsatz für Kinder. Der Wirt hat richtig entschieden, letztlich auch zum Wohl der Kinder und seiner Gäste.

    • Bahri sagt:

      Titel eingeben
      Das trifft es genau:“Blaupause für die eigene Erregung. Es geht nicht um die Kinder“. Ich bin es wirklich leid, diese Betroffenenheit, diese Empörungskultur.
      Es scheint den Leuten zu gut zu gehen. Kümmert euch doch lieber um die wahren Probleme der Gesellschaft. Eure Energie der Empörung hier einfließen zu lassen ist wahrlich produktiver.

  10. ugerthein sagt:

    Jo, dass passt
    Habe selbst 2 Kinder (13 u. 18) und kann dem Autor nur zustimmen. Der Bogen ist zwar wie im Text erwähnt weit gespannt aber beschreibt die Lage recht gut.

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