Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Ein Hoch auf kinderfeindliche Gastwirte

Vor ein paar Tagen ging eine Meldung durch die Medien. Ein Restaurant in Dierhagen an der Ostsee hat Kindern unter zwölf Jahren Hausverbot erteilt. Die Betreiber hatten keine Lust mehr auf mit Filsstiften verschmierte Tische und festgetretene Schnitzel auf den Teppichböden.

In den sozialen Medien entbrannten hoch emotionale Diskussionen, überall, wo der Artikel gepostet wurde. Ein Lager bestand aus tief getroffenen Eltern ohne Verständnis für diese Intoleranz gegenüber den lieben Kleinen. Diese Gruppe wünschte den Wirten mindestens die Pest an den Hals. Auf der anderen Seite gab es Applaus von Leuten, bei denen man etwas differenzieren muss. Ein kleinerer Teil gestand frank und frei, keine Kinder zu mögen. Für den größten Teil waren ganz einfach die Eltern schuld, die mit der Erziehung ihrer Rotzgören heillos überfordert sind und die die Verantwortung für die Unerzogenheit ihrer Blagen bei Erziehern und Lehrer suchen. Und mittendrin stand eine Impfgegnerin, die dem kranken System in diesem Land die Schuld an allem gab. 

Ohne kleckern geht es eben nicht: Acht Monate altes Baby auf dem Weg zum selbständigen Essen.
Ohne kleckern geht es eben nicht: Acht Monate altes Baby auf dem Weg zum selbständigen Essen.

Kinderverbote in der Gastronomie sind nun nicht neu. Trotzdem griffen viele Medien die Meldung von der Ostsee auf. Das Thema polarisiert einfach so schön: Kinder gegen Wirte. Kreischender Trubel am Nachbartisch gegen Ruhe. Da hat jeder klare Bilder vor Augen und kann wunderbar seinen Senf dazu geben, weil man ja schließlich seine Erfahrungen gemacht hat. Der eine fühlt sich durch ein „Kinder-müssen-draußen-bleiben-Schild“ in seiner Freiheit beraubt, eine andere dagegen so richtig frei.

Meine Meinung zum Thema ist ziemlich klar. Ich war mit meiner Frau ein paar Mal in einem Wellnesshotel in Brandenburg. Das war vor den Kindern und eine Oase der Ruhe. Dieses Haus sorgte später für bundesweite Schlagzeilen, weil es das erste Hotel im Land wurde, das keine Kinder duldet. Wir waren danach nie wieder dort. Das hatte aber rein organisatorische Gründe und nichts mit Protest zu tun. Im Gegenteil: Ich begrüße die Existenz solcher Hotels ausdrücklich. Für Eltern, die mal ein Wochenende ohne eigene Kinder verbringen wollen, ist die komplette Abwesenheit kindlichen Krachs eine Wonne. Wenn die Kinder mitkommen sollen, fährt man halt woanders hin.

Das ist ja das Verlogene in dieser Diskussion. Wenn ein Hotel keine Kinder will, nimmt man halt eines der fünfzig anderen. Es gibt in diesem Land weitaus mehr Familienhotels als „adults only“-Häuser. Wenn ein Restaurant an der Ostsee keine unter Zwölfjährigen bedienen will, geht man ins Restaurant nebenan.

Die Kinderfeindlichkeit – oder weniger scharf: der nachlässige Umgang mit Kindern in Deutschland – zeigt sich nicht anhand von ein paar Restaurants oder Wellnesshotels. Dafür gibt es in einem der reichsten Länder der Welt zig andere Bespiele: Die Ausstattung der Schulen, angefangen bei Computern und Digitalisierung. Das ist spätestens in der Corona-Pandemie beim Homeschooling deutlich geworden. An die unzureichenden Lernmaterialien denkt der Autor mit Grausen zurückdenkt. Das ist inzwischen ein Jahr her. Hat sich da wirklich etwas getan?

Oder was ist beim Thema Chancengleichheit: Wann haben Kinder aus bildungsfernen Haushalten endlich ähnliche Voraussetzung, einen gescheiten Beruf zu erlernen, wie Akademiker-Kinder? Das ist kein inhaltsleeres Rumgeheule. Denn es hat ja Konsequenzen für die komplette Gesellschaft.

Gerade haben wir den Tag der Arbeit gefeiert. Das Thema Fachkräftemangel schwebt nicht nur über unserer Wirtschaft – es ist schon krachend gelandet. Es fehlen Nachwuchskräfte in vielen systemrelevanten Berufen, wie wir durch die Pandemie gelernt haben. Hat sich da schon irgendwas getan?

Es geht nicht nur um Alten- und Krankenpfleger: Mancherorts ist es fast unmöglich, einen Handwerker zu finden, der spontan Zeit hat und der sie kein Vermögen kostet. Der Ausblick ist düster. Schon unsere Eltern haben gelernt: Handwerk hat goldenen Boden. Dumm nur, wenn das Schulsystem immer weniger junge Menschen bereitstellt, die diesen Goldschatz bergen wollen und die auch die Qualifikation dafür haben.

Ja, zugegeben, der Bogen von einem Restaurant an der Ostsee bis zu den fehlenden Fachkräften ist weit gespannt. Aber diese aufgeheizte Diskussion um angeblich kinderfeindliche Wirte ist exemplarisch für eine Gesellschaft, in der oft am Thema vorbeigeredet wird. Dass es ein paar Restaurants gibt, die keine Kinder bedienen, ist kein Problem. Dass Tausende Kinder im Land jährlich nicht den Weg in die hiesige Arbeitswelt finden, sehr wohl. Aber es macht einfach mehr Spaß, sich über kinderfeindliche Wirte aufzuregen als über Tausende Schüler ohne Perspektive. Uns geht es einfach (noch) zu gut.