Letztes Frühjahr waren wir auf einer Geburtstagsfeier. Ich gesellte mich gerade zu einer Runde, als sich einer der Männer über den neuen Freund seiner jugendlichen Tochter ausließ: „Als ich letztens nach Hause kam, saß der in meiner Sofaecke. Einfach so! Auf meinem Platz! … Außerdem fängt der immer schon an zu essen, obwohl noch nicht alles auf dem Tisch steht.“ Er trank ein Schluck Bier aus seinem Glas, schüttelte den Kopf und kam zu dem Schluss: „Der ist einfach nicht der Richtige für sie.“ Mein Mann hörte interessiert zu, denn seit ein paar Wochen war Elias ganz frisch in das Leben unserer achtzehn Jahre alten Tochter Lara getreten – und somit indirekt auch in unseres. Mein Mann wusste noch nicht, was er von dieser neuen Situation halten sollte.
Elias‘ Art ist – zumindest uns gegenüber – ruhig und zurückhaltend. Er ist anders als unsere extrovertierte Lara, die schon als kleines Kind jeden Fremden fröhlich und ohne Hemmungen begrüßte. Mein Mann und sie ähneln sich da sehr. Wenn Lara Freunde in den Garten einlädt, bietet mein Mann sich schon mal als Grillmaster an und spielt Bier Pong mit den Jugendlichen. Er feixt gerne und ist immer zu einem Späßchen und einem lockeren Gespräch aufgelegt. Und so schwärmte er nach einer Party von Julian, einem Klassenkameraden von Lara: „Der Julian, also nein, was für ein witziger, cooler Kerl. So eine Quasselstrippe. Der Junge ist genau nach meinem Geschmack. Ich habe mich kringelig gelacht.“ Der würde doch prima zu Lara passen, fand er. Was er aber wohl eher meinte war, dass Julian gut zu ihm, meinem Mann, passen würde. Meiner jüngeren Tochter Maya (15) und mir dagegen gefiel der hübsche Tobi. Als Reaktion auf unsere Kommentare verdrehte Lara die Augen. „Tobi und Julian sind zwei meiner besten Freunde, aber mehr auch nicht. Tobi ist supereitel und eine echte Drama-Queen, und Julian ist überhaupt nicht mein Typ.“
Wer genau ihr Typ ist, erfuhren wir kurz darauf, als Elias das erste Mal unser Haus betrat. Lara strahlte, als es an der Tür klingelte, und schwebte mit einem freudigen „Ich mach schon auf“ die Treppe herunter. Man erblickte für den Bruchteil eines Moments einen blonden Schopf, hörte ein leises „Hallo“, und schon waren die beiden in Laras Zimmer verschwunden. Als Quasselstrippe würde ich ihn bis heute nicht bezeichnen, aber das ist auch überhaupt nicht schlimm. Ich würde ihm nie das Gefühl geben wollen, dass wir ihn nicht mögen oder wir es nicht gutheißen, dass er mit Lara zusammen ist. Die Hauptsache ist doch, dass Lara glücklich ist. Wahrscheinlich braucht er einfach etwas Auftauzeit und bindet nicht gerne jedem direkt sein halbes Leben auf die Nase. Vielleicht tickt er in dieser Beziehung ähnlich wie ich. Und ich weiß, wie blöd sich das anfühlt und wie verletzend es ist, wenn man als Mensch von der Familie des Partners nicht so akzeptiert wird, wie man ist und bedrängt wird.
Meine Schwiegereltern hatten damals eine hohe Erwartungshaltung an die neue Frau an der Seite ihres Sohnes. Ich war in ihren Augen zu verschlossen und störrisch. Reagierte allergisch auf ihre ungefragten Ratschläge und Einmischungen. War nicht bereit, Hilfe anzunehmen. Später warfen sie mir einmal vor, ich hätte von Anfang an nichts über mich erzählen wollen und ihnen keine Gelegenheit gelassen, mich kennenzulernen. In Wirklichkeit fühlte ich mich von ihnen bevormundet und überfahren.
Spannungen im Familienumfeld kennt wohl jeder von uns. Je unterschiedlicher man aufgewachsen ist, desto größer ist die Kluft, die sich plötzlich in einer Beziehung auftun kann, wenn man der Familie des neuen Partners vorgestellt wird. Oft prallen Wunschvorstellungen auf Realität und die verschiedensten Weltanschauungen, Charaktere, Herkünfte, politischen Einstellungen und Bildungsstände aufeinander. Man lernt jemanden kennen, verliebt sich, geht eine ernsthafte Beziehung ein und wird schließlich der Familie vorgestellt. Wer Glück hat, passt wie ein zusätzliches Puzzleteil zur Familie des neuen Partners. Wer Pech hat, merkt, dass er von der Familie nicht vollständig akzeptiert wird, weil er die hohen Erwartungen oder Anforderungen nicht erfüllen kann oder will.
Es existieren zahlreiche Filme, die dieses Thema aufgreifen – mal mehr, mal weniger überzogen: In Monsieur Claude und seine Töchter kann kein einziger Freund der insgesamt vier Töchter die Erwartungen der Schwiegereltern erfüllen – die Männer haben die falsche Herkunft, die falsche Religion oder die falsche Hautfarbe. In Meine Braut, ihr Vater und ich macht sich der eifersüchtige Vater über den neuen Freund lustig, weil der – im Gegensatz zum Ehemann der anderen Tochter – kein Arzt, sondern „nur“ ein Krankenpfleger ist. Und in Das Schwiegermonster erträgt es die Mutter nicht, ihren Sohn an eine Frau zu verlieren, die sie für nicht standesgemäß hält.
Als mein Mann und ich heirateten und Lara auf die Welt kam, wurde das Verhältnis zu meinen Schwiegereltern richtig schwierig. Zu unterschiedlich waren unsere Einstellungen. Ich pochte auf meine Selbstbestimmung, meinen Freiraum und einen Umzug in einen anderen Stadtteil, mit größerem Abstand zu meinen Schwiegereltern. Sie bestanden auf ihre festgefahrenen Familientraditionen und ihre vermeintlichen Rechte auf das Enkelkind. Das Verhältnis war lange Zeit vergiftet und hat unsere junge Ehe sehr belastet. Denn damit eine Beziehung funktionieren kann, muss der Partner irgendwann Farbe bekennen. Loyalität zeigen. Zur Abnabelung bereit sein. Ein für alle Beteiligten schwieriger Prozess, der aber notwendig war, um die Fronten einigermaßen zu klären.
Diese unschönen Erfahrungen in der Vergangenheit haben mich in meinem Vorsatz bestärkt, dass mein Mann und ich uns niemals derart in das Leben und die Beziehungen unserer Töchter einmischen werden. Man erwirbt nicht automatisch für alle Ewigkeiten ein Mitbestimmungsrecht, nur weil man seinen Kindern das Leben geschenkt hat. Solange sie Orientierung brauchen und um Hilfe bitten, werden wir für sie da sein. Aber wenn sie anfangen, ihr eigenes Leben zu führen, heißt es Loslassen und ihre Entscheidungen akzeptieren. Egal, ob es sich um die Wahl ihres Wohnortes, ihres Berufs oder ihres Partners handelt. Nur Lara allein wird entscheiden, was oder wer richtig für sie ist. Wir Eltern müssen einen Schritt zur Seite treten. Und manchmal muss man sogar Platz auf dem Sofa machen, oder, wie in unserem Fall, in der Küche – denn Lara und Elias kochen gerne gemeinsam.