Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Das Bier vom Natureis-Galgen

Das Metallgestell steht verloren im Hinterhof der Kronenbrauerei in Söflingen, einem Stadtteil von Ulm. Normalerweise wäre es in den letzten Wochen dicht behangen gewesen mit schweren, meterlangen Eiszapfen. Aber es ist zu warm, der Klimawandel macht auch vor Brauerei-Traditionen nicht halt. „Man braucht schon vier, fünf Nächte mit minus fünf Grad, damit das Eis ordentlich wächst“, sagt Marcel Russ, Sohn von Braumeister Arthur Russ, der das Bier der Kronenbrauerei fast im Alleingang herstellt. In diesem Jahr hat es erst für eine „Ernte“ gereicht, 2015 war ertragreich, im Jahr 2014 war es ganz schlimm, der Winter war zu warm, die Ernte fiel aus.

###Thomas Russ bei der Eisernte / Foto Brauerei

Wenn die Temperatur stimmt, sorgt ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem dafür, dass die Eiszapfen am Galgen stetig wachsen, bis zu hundert Kubikmeter haben Platz. Dann heißt es, das Eis mit Holzschlegeln und Pickeln abschlagen und es in den Keller schaufeln. „Das ist Knochenarbeit“, sagt Marcel Russ, „aber es macht auch Spaß und man ist an der frischen Luft“. Früher war der Galgen aus Holz, aber das wurde irgendwann morsch. Die Kronenbrauerei gibt es schon seit 1887, sie ist immer in Familienhand geblieben.

Der Keller fasst bis zu 400 Kubikmeter Eis. Es wird seit Gründung der Brauerei ausschließlich zur Bierkühlung benutzt. „Natürlich ist es uns wichtig, diese Tradition lebendig zu halten“, sagt Marcel, „aber sie hat auch einen ökologischen Vorteil: Durch die Kühlung mit Natureis sparen wir viel Energie und Kühlmittel. Das Eis hat konstant null Grad“. Wenn der Keller gefüllt ist, liegt das Eis kompakt aufeinander und hält meistens bis in den Spätsommer hinein, manchmal sogar bis zum Herbst. Früher haben die meisten Brauereien ihr Bier so gekühlt, viele haben auch Eisblöcke aus gefrorenen Weihern geschlagen. Heute arbeiten die meisten Brauereien mit industriellen Kühlmaschinen, die weniger Arbeit machen. Die Kronenbrauerei ist eine der letzten, die ihr Bier traditionell mit Natureis kühlt.

Von der alten Tradition profitiert vor allem das Starkbier „Natureis Bock“, das man noch in der Zweiliter-Bierkanne kaufen kann. Die lange Lagerung von bis zu einem Vierteljahr, in dem es komplett mit Natureis bedeckt bleibt, sorgt für einen süßlichen, malzigen, irgendwie archaischen Geschmack. Karamellmalz macht den Eisbock süffig, Röstmalz sorgt für die Bernsteinfarbe. Am Ende hat das Bier mit einer Stammwürze von 16,7 Prozent einen Alkoholgehalt von 7,2 Prozent.

2000 Hektoliter Bier erzeugt der kleine Familienbetrieb im Jahr. Neben der Brauerei gibt es auch eine Gastwirtschaft, die von Marcels Onkel Thomas geführt wird. Marcel kann sich für seine Zukunft nichts anderes als das Bierbrauen vorstellen. Der dreiundzwanzig Jahre alte Schwabe macht eine duale Ausbildung. Die Hälfte der Zeit verbringt er in der Schule und lernt, worauf man bei den vier Grundzutaten achten muss, die andere Hälfte braut er Bier – zusammen mit seinem Vater.

###Foto Brauerei

Marcel war erst kürzlich wieder Hopfen einkaufen, in Tettnang am Bodensee. Weizen- und Gerstenmalz bezieht die Kronenbrauerei von Bauern aus der Region, Hefe von anderen Brauereien und das Wasser von den Stadtwerken. „Das wird aber nochmal aufbereitet, mit einem Ionen-Austauscher, der Kalk entzieht. Dann wirken die Enzyme beim Brauprozess besser“, so Marcel.

Für ihn ist das Bierbrauen eine Kunst, weil man wegen des Reinheitsgebots nur mit vier Zutaten arbeiten darf: Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. „Der beste Brauer braut nicht das beste Bier, sondern das gleichbleibendste“, sagt Marcel Russ. Denn die Bestandteile sind jedes Jahr ein bisschen anders, die Hopfenernte kann schlecht ausfallen, das Malz mehr Wasser enthalten, das Wasser härter sein. „Darauf muss ein Brauer reagieren“, sagt Marcel. Er bildet mit seinem Bruder die fünfte Generation von Braumeistern der Söflinger Kronenbrauerei und hat vor, auch in Zukunft das schwere und bockharte Eis vom Galgen zu schlagen. „Nur dieses Jahr wird es wahrscheinlich nichts mehr mit der Eisernte“, das sagt der Seniorchef Arthur – und er hat bis jetzt fast immer recht gehabt.