Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Biervermehrung im Kloster Andechs

Hoch oben über dem Ammersee thront das Kloster Andechs. Schon von weitem sieht man den schlanken Glockenturm der Wallfahrtskirche, ein Fixpunkt für mehr als eine Million Pilger, die den sogenannten Heiligen Berg jedes Jahr aufsuchen. Doch Andechs ist mehr als ein kirchlicher Wallfahrtsort. Am Fuße der Klosteranlage liegt die hauseigene Brauerei, deren Biere über die Grenzen Bayerns hinaus in ganz Deutschland bekannt sind und selbst im Ausland unter Kennern geschätzt werden.

 

Video: Auf dem Heiligen Berg in Andechs / von Daniel Blum

 

Mit einem Brauvolumen von mehr als 100.000 Hektolitern Bier im Jahr ist Andechs die größte unter den wenigen noch verbliebenen Klosterbrauereien in Deutschland. Während andere Klöster unter dem Marktdruck der großen Bierkonzerne einknickten, blieb Andechs standhaft. Noch heute treffen die Mönche vom Heiligen Berg die Entscheidungen über die Brauerei selbst, auch wenn die meiste Arbeit inzwischen die etwa 70 weltlichen Mitarbeiter erledigen. „Wer bei einer Klosterbrauerei immer noch glaubt, da steht ein Mönch am Kessel und rührt die Maische, irrt sich gewaltig. Das ist gar nicht mehr vorstellbar, allein schon aus hygienischen Gründen“, sagt Alexander Reiss. Er ist Betriebsleiter der Andechser Brauerei. Ein kräftiger Mann mit festem Händedruck, dessen Dialekt genauso passend sitzt wie seine Walkjacke.

Voller Stolz führt er durch die Produktionsbereiche der Brauerei. Begriffe wie Zweitankgärung und Mehrfachmaischverfahren, zeitintensive Brauverfahren, mit denen Andechs die benediktinische Tradition am Leben hält, sprudeln nur so aus ihm hervor. Vorbei an steril wirkenden Aluminiumtanks, unter endlosen Metern an polierten Rohrbahnen hindurch geht es ins Sudhaus, das Herzstück der Brauerei. Ein kräftiger und schwerer Malzgeruch erfüllt den Raum. Es ist merklich wärmer geworden. Aus einer der meterhohen Maschinen donnert ein ohrenbetäubendes Scheppern. „Wenn der Malzschroter läuft, versteht man hier sein eigenes Wort nicht“, ruft Alexander Reiss uns zu. Nur wenige Arbeiter schleichen zwischen den Maischetanks umher. Die anderen sitzen vor einer Ansammlung blinkender Bildschirme. Es sieht aus wie in einem Raumschiff. „Alles computergesteuert und hochmodern“, versichert Reiss.

Schnell wird klar, mit klösterlicher Romantik hat der Brauereibetrieb am Fuß des Berges nur wenig zu tun, geschweige denn mit Ruhe. Andechs ist ein mittelständisches Unternehmen und wie jedes andere auch arbeitet es gewinnorientiert. Das ist auch nötig, da Kloster Andechs als Benediktinerabtei keine Abgaben aus der Kirchensteuer bezieht. Die Brauerei finanziert den gesamten Klosterbetrieb und die Abtei St. Bonifaz in München noch dazu.

###Mönch für Öffentlichkeitsarbeit: Pater Valentin Ziegler / Foto Daniel Blum

Wesentlich gemächlicher geht es in den Gemäuern der Klosteranlage auf dem Heiligen Berg zu. Pater Valentin Ziegler ist einer der sechs Mönche, die heute noch im Kloster Andechs leben und arbeiten. Beinahe lautlos schwebt er in seiner Mönchskutte durch die verworrenen Gänge des Klosters, vorbei an der Galerie der Abt-Porträts. Dabei erzählt der frühere Winzer von den Anfängen des Klosters und der Andechser Brautradition. Im Jahr 1455 kamen die ersten sieben Mönche von Tegernsee nach Andechs. „Die waren es auch, die das Bier auf den Berg brachten“, so Pater Valentin. Ohne die klösterliche Brautradition wäre das Reinheitsgebot, dessen Bestehen sich in diesem Jahr zum 500. Mal jährt, gar nicht möglich gewesen, sagt der Pater. „Klöster waren immer auch Kulturzentren. Im Mittelalter konnten oft nur Mönche lesen und schreiben. So gaben sie ihr Wissen über Jahrhunderte hinweg weiter“, führt er aus, „das gilt vor allem auch für das Brauwesen.“

Zurück in der Brauerei bei Alexander Reiss: Auf dem Hof hasten bereits in den frühen Morgenstunden die Gabelstapler umher. Lastwagen stehen zum Beladen bereit. In der Lagerhalle stapeln sich die Bierkisten palettenweise bis unter die Decke. Reiss wirkt plötzlich ganz klein zwischen den Unmengen an Bier. „Das ist in etwa das Verkaufsvolumen einer Woche“, lässt er einfließen. Genaue Zahlen verschweigt er mit einem vielsagenden Lächeln. Hier lagern auch jene Kisten, die Andechs ins angrenzende Ausland und nach Übersee verkauft. „Jede Flasche Andechs, die man auf der Welt kaufen kann, hat ihren Ursprung am Heiligen Berg“, sagt Alexander Reiss. Dieses Qualitätsversprechen gehört zum Andechser Selbstverständnis, das hebt auch Pater Valentin Ziegler hervor. Die Mönche möchten dem Bier damit eine Heimat geben: „Da wo Andechs drauf steht, soll auch Andechs drin sein.“

Weiter geht es zur Abfüllanlage. Auf wenigen Metern Fließband werden hier alte Leergutflaschen zu einem der mittlerweile acht Biere aus dem Andechser Sortiment veredelt. Überall klirrt und scheppert es rhythmisch im Takt. Wenn es nach Alexander Reiss ginge, stünde hier schon längst eine neue Anlage: „Beim Abfüllen könnten wir noch eine Menge Energie einsparen, aber dafür ist momentan kein Geld da.“ Das Geld fehlt wegen der hohen Instandhaltungskosten, aber auch wegen der Wohltätigkeitsarbeit, die das Kloster Andechs leistet. Bei all der Hektik in der Brauerei vergisst man schnell, dass Andechs immer noch und vor allem ein Kloster ist.

###Betriebsleiter in Andechs: Alexander Reiss / Foto Daniel Blum

Das wohl bekannteste Bier aus Andechs ist der Doppelbock Dunkel. Ein klassisches Starkbier mit 18,5% Stammwürze, 7,1 Volumenprozent Alkohol und kräftigem Karamellgeschmack, wie es typisch ist für Klosterbrauereien. Wenn Alexander Reiss über seinen Doppelbock spricht, gerät er ins Schwärmen: „Das Schöne an unserem Doppelbock ist, dass wir ihm die nötige Zeit geben, um den bestmöglichen Geschmack zu erzielen.“ Reiss setzt beim Doppelbock Dunkel auf das traditionelle Mehrfachmaischverfahren, bei dem dreimal eine Teilmaische gezogen und verkocht wird. Bei der anschließenden Zweitankgärung wird der Extrakt zunächst bei etwa 7 Grad vergoren, bevor das Jungbier dann auf -1 Grad heruntergekühlt und anschließend noch einmal in einen zweiten Tank umgefüllt wird. Im Lagerkeller bekommt das Bier dann sechs weitere Wochen, um reifen zu können. Starke Bockbiere galten unter Mönchen einst als Fastenbiere.

„Das Fastenbier rührt daher, dass Bier als flüssiges Brot galt und gilt“, weiß auch Pater Valentin Ziegler. Flüssiges bricht das Fasten nicht. Deshalb sind Fastenbiere in der Regel süffig und kräftig, mit vielen Nährstoffen. Sie sollten die fehlenden Kalorien in der Fastenzeit ausgleichen. Das heißt allerdings nicht, dass die verbliebenen Mönche in Andechs sich in der Zeit von Karneval bis Ostern ausschließlich von ihrem Bier ernähren. Das Fastenritual auf Andechs sieht heute ganz anders aus, erklärt Ziegler: „Wir reichen beim Abt einen Zettel ein, die sogenannte Fastenschedula. Dort halten wir unsere Vorsätze fest. Da geht es bei weitem nicht nur um Speis’ und Trank, sondern vielmehr um den Verzicht auf Gewohnheiten oder Lektüre, die wir uns für die Fastenzeit vornehmen.“ Dem heutigen Kult ums Bockbier, wie er auf Starkbieranstichen zelebriert wird, steht Pater Valentin Ziegler kritisch gegenüber: „Mit dem ursprünglichen Gedanken des Fastens und des Fastenbieres haben solche Veranstaltungen leider nichts mehr gemein. Da geht es hauptsächlich ums Trinken.“

Ein ganz anderes Bier, eines ohne klösterlicher Tradition, ist derweil zum erfolgreichsten Produkt aus Andechs aufgestiegen. Erst in den 1990er Jahren entschlossen sich die Mönche dazu, ein helles und ein dunkles Weißbier auf den Markt zu bringen. Ein Schritt, der lange im Konvent beraten werden musste, erklärt Pater Valentin Ziegler, da obergärige Biere in Klöstern über Jahrhunderte hinweg keine Rolle spielten. Damit nicht genug. Dieser Tage kommt, nach fast zwei Jahrzehnten, ein weiteres Bier hinzu – ein alkoholfreies Weißbier. Ist der Markt nicht längst mit alkoholfreien Bieren, die in der Werbung gerne für ihre isotonischen Wunderkräfte gepriesen werden, übersättigt, kommt Andechs nicht zu spät? Pater Valentin Ziegler macht dieser Einwand nicht nervös. Während viel große Bierkonzerne derzeit auf der Craftbierwelle mitzureiten versuchen und neue Produkte in Serie auf den Markt werfen, warten die Mönche in Andechs ab und beraten, was am besten zu ihnen passt. „Wir schauen: Wo können wir uns öffnen, wie handeln wir zukunftsorientiert? Solche Entscheidungen können wir nicht übers Knie brechen,“ sagt Ziegler.

###Das Bräustüberl am Vormittag / Foto Daniel Blum

Auf dem Heiligen Berg öffnet derweil in professioneller Routine das Bräustüberl seine Pforten. In der urigen Gaststätte können Pilger und Besucher das Bier gleich vor Ort verkosten. Hier gibt es alles vom dunklen Doppelbock bis zum hellen Vollbier. In der Schenke hat Josef Eckl das Sagen. Er arbeitet seit fast zwanzig Jahren im Bräustüberl. Im Sommer versorgt er die Pilgerscharen in Akkordarbeit. Dann treibt es die Menschen aus den umliegenden Wallfahrtsgemeinden auf den Heiligen Berg. Im festlich geschmückten Wappensaal der Gaststätte sammelt Josef Eckl die Embleme der verschiedenen Gemeinden, die nach Andechs pilgern. Ins Auge fallen dabei auch so entfernte Orte wie Augsburg oder Dachau. „Die machen sich teilweise schon um 1 Uhr in der Früh auf den Weg und marschieren die Nacht durch, um rechtzeitig zum Gottesdienst hier oben zu sein“, erklärt Eckl. Es sei aber natürlich nicht alleine das Bier, das die Pilger nach Andechs zieht. Es sei ein spezieller Zauber, der den Berg umgebe, sagt Eckl: „Sie können eine Flasche Andechs in ganz Deutschland kaufen, ich verspreche Ihnen, auf dem Heiligen Berg wird es immer anders schmecken.“

„Unsere Tradition ist es, fortschrittlich zu sein; unseren Fortschritt verdanken wir einer großen Tradition“, lautet das Leitbild des Klosters. Dieses Wechselspiel aus Tradition und Moderne, aus Ruhe und Betriebsamkeit, ist es, was Andechs zu einem besonderen Ort werden lässt. Natürlich lässt sich ein Bier mit einem Kloster auf dem Etikett besser verkaufen, das weiß der weltliche Betriebsleiter Reiss genau so wie der Mönch Ziegler. Was andern Orts kitschig und aufgesetzt wirken mag, ist hier glaubwürdig gelebte Wirklichkeit. Während andere bayerische Traditionsbrauereien derzeit die Bars und Clubs der Republik überschwemmen, ist man in Andechs gerade froh, nicht “Kult” geworden zu sein.

###Im Sudhaus / Foto Daniel Blum