Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Chinas ältestes Bier-Rezept

In Nordchina haben Archäologen eine 5000 Jahre alte Brauerei ausgegraben und fanden in Tongefäßen einen erstaunlichen Getreidemix. Über die Einordnung der Funde haben wir mit dem Evolutionsbiologen Josef H. Reichholf gesprochen.

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In Ihrem Buch “Warum die Menschen sesshaft wurden” aus dem Jahr 2008 entwickeln Sie die These, dass die menschliche Ansiedlung an festen Orten mit der Erfindung des Biers begann. Können Sie kurz die Hauptargumente für Ihre These zusammenfassen?

Das Bild zeigt den Ornithologen Josef H. Reichholf an der Zoologischen Staatssammlung in München (Aufnahme vom 25. Februar 2008). Josef H. Reihholf kennt sich mit Arten aus. Der Professor hat gerade auch ein Buch darüber geschrieben. Foto: Thomas Dashuber/VISUM/Fischer Verlag ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung für Bezieher des Dienstes dpa-Nachrichten für Kinder. +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweitJosef H. Reichholf / Foto dpa

Die gängige These vor meinem Buch besagte: Die Menschen erfanden im Vorderen Orient, dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond, den Ackerbau, weil das jagdbare Wild stark zurückgegangen war und sie deshalb Bedarf nach einem Ersatz hatten. Daher, so die Theorie weiter, begannen sie mit der Nutzung der Körner von Wildgräsern, die systematisch gesammelt und ausgesät wurden, sodass mit der Zeit Felder entstanden, deren Ertrag geerntet wurde. Die Feldarbeit war so aufwändig, dass feste Ansiedlungen nötig wurden.

Dagegen spricht allerdings, dass in der fraglichen Zeit, dem Ende der letzten Eiszeit, nicht der geringste Hinweis darauf zu  finden ist, dass ausgerechnet in der betreffenden Region das Jagdwild knapp geworden wäre. Im Gegenteil, der Einsatz von Reusen spricht für die Existenz großer Herden. Das ökologische Ausgangsargument vom äußeren Zwang ist also nicht haltbar. Und ein zweiter Punkt kommt hinzu: Es macht wenig Sinn, den Menschen zu unterstellen, sie hätten systematisch einen komplexen Prozess wie die Erntewirtschaft entwickelt, weil man diesen Vorgang ja erst begreifen kann, wenn man die entsprechende Tätigkeit eine Weile lang ausgeübt hat. Gar von Massenbewegungen in diesem Bereich auszugehen, ist wenig überzeugend. Wenn ich nun aber, dritter Aspekt, nicht die Ernährung, sondern den Genuss als Intention für die Sesshaftwerdung zugrunde lege, spielen die beiden zuvor genannten Argumente keine Rolle mehr.

Vor der Landwirtschaft stand nach Ihrer These der Biergenuss.

Goebekli Tepi, zisternenartige Vertiefungen, Blick in Harran-Ebene, Tuerkei, bei Sanliurfa, Suedostanatolien, Ausgrabungen, Ausgrabungsstaette, Fundstaette, praehistorisch, Archaeologie, Mesopotamien, Steinzeit, steinzeitliches Bergheiligtum / Göbekli Tepe | Verwendung weltweitZisternenartige Vertiefungen in der Fundstätte Göbekli Tepe / Foto dpa

Ja, zumal das durch die Vergärung stärkehaltiger Pflanzenstoffe entstehende Bier ein berauschendes Getränk ist, das sich besonders gut zum gemeinschaftlichen Genuss eignet. Und meine These deckt sich auch mit den neuesten Befunden archäologischer Art. Die ältesten nachweisbaren Ansiedlungen wie Göbekli Tepe in der heutigen Türkei waren keine einfachen Ansiedlungen, sondern ganz offensichtlich Kultstätten, für die riesige Steine bearbeitet wurden – eine Gemeinschaftsanstrengung, für die es einen plausiblen Grund geben muss. Hinzu kommen Vertiefungen in einigen Steinen, die für das Aufbewahren von etwas Flüssigem sprechen, und ringsum wuchsen Gräser, aus denen Bier gewonnen werden konnte. Letzter Punkt: Die ältesten Gefäße, die gefunden wurden, lassen sich weder mit der Notwendigkeit, Wasser aufzubewahren erklären (dieses wird in großen Gefäßen schnell schal), noch mit der Notwendigkeit, Getreide zu lagern, denn dieses würde in solchen Gefäßen schimmeln. Wenn sie aber genutzt wurden, um alkoholische Getränke zu brauen, passt alles zusammen. Ein Jahr nach Erscheinen meines Buchs hat der Amerikaner Patrick McGovern dann in einigen dieser alten Gefäße tatsächlich chemisch die Reste von alkoholischer Gärung nachweisen können.

Ein Forscherteam der Stanford University hat in den “Proceedings of the National Adcademy of Sciences” vor wenigen Tagen einen Aufsatz veröffentlicht, in dem der Fund eines Ofens und verschiedener Gefäße in der Provinz Shaanxi analysiert wird – die Forscher sprechen von einem “Werkzeugsatz zur Bierproduktion”. Der Fund belegt recht eindeutig die Produktion von Bier vor 5000 Jahren in China. Was bedeuten diese Ergebnisse für die Geschichte des Biers und für Ihre These im besonderen?

xxx5000 Jahre alter Chinesischer Biertrichter / Foto Jiajing Wang, PNAS

Für meine These ist das Ergebnis sehr erfreulich, es weitet meine Argumentation aus. Ich hatte damals nur vermuten können, dass unsere heutige Nutzpflanzentechniken sich vom Vorderen Orient auf irgendwelchen Wegen nach Zentral- und Ostasien ausgebreitet hatte, weil dort zeitlich spätere Befunde vorliegen, die für die Nutzung von Gerste und Reis sprechen. Jetzt haben wir einen Beleg dafür. Und auch der Ort im nördlichen Mittel-China passt gut, der ja kurz vor dem Zusammenfluss des Wei-Flusses mit dem Gelben Fluss angesiedelt ist. Hier liegen die späteren Getreideprovinzen. Das Gebiet ist die Fortsetzung der spät- und nacheiszeitlichen Löss-Steppe, die sich an den großen Gebirgen vorbei vom Vorderen Orient bis nach China durchzieht.

Welche neuen Erkenntnisse ermöglicht der Fund in Shaanxi. Das Mälzen und Maischen scheint erstaunlich weit entwickelt zu sein.

Ja, entsprechende Techniken konnten bisher nur vermutet werden. In den chinesischen Funden sind die Hauptprozesse deutlich erkennbar, auch der Gärungsvorgang unmittelbar auf Basis der gefundenen stärkehaltigen Pflanzen- und Knollenzutaten. Wobei interessant ist, dass die gefundenen 541 Körner eine Mischung von allen möglichen Ingredienzien darstellen. Man hat also experimentiert. Es wurde Gerste gefunden, Hiobsperle, Kolbenhirse, Rispenhirse, Kürbis und Lilie. Ein weiterer Befund ist, dass Gräser und vor allem die Gerste mit ihrem hohen Mälzwert, eine besondere Rolle spielte. Außerdem: Man trennte sozusagen die Spreu vom Weizen, man entfernte unbrauchbare pflanzliche Reste – Schalen und Grannen etwa – vom Gebräu. Bei den Sumerern hingegen, das zeigen früheste Abbildungen, war noch mit Röhrchen getrunken worden.

Ein ausgefeilter Prozess des Brauens, gerade auch im Vergleich zu den Ägyptern, die spezielle Getreidefladen aus Weizen und Gerste als Grundlage für ihr Bier verwendeten.

Ja, es wird im Titel des Aufsatzes auch zu Recht von einem “recipe”, also einem Rezept gesprochen. Die Forscher nennen einen Ofen und drei Arten von Gefäß: Topf, Trichter und Amphore. Das ist eindeutig mehr als: Man hat etwas zusammengeworfen, das wurde vergoren und anschließend weggesüffelt.

Nochmal zu dem Gerste-Fund. Wofür genau spricht der? Die Forscher schreiben ja, dass Gerste in China erst Jahrtausende später angebaut wurde. Die Gerste musste also von irgendwo anders hergekommen sein. Das wiederum spräche dafür, dass man damals schon wusste, dass Gerste besonders gut zur Bierproduktion geeignet ist.

Genau. Die Gerste hat sich als erstes Wildgetreide im sogenannten Fruchtbaren Halbmond nachweisen lassen. Die ersten Funde gehen ungefähr auf das Jahr 12500 vor unserer Zeitrechnung zurück. Der Weizen kam erst 2000 Jahre später. Und noch eines ist eindeutig an den chinesischen Funden zu ersehen: Die Gerstenkörner sind klein, zur Herstellung von Fladenbroten wären sie die schlechteste Wahl gewesen.

Ist es nicht ungewöhnlich, dass man in China das Bierbrauen nach so ambitionierten Anfängen verlernte?

Man müsste mal genauer erforschen, was in der Zeit geschah, die bei uns “Kleine Eiszeit” heißt, also die Zeit ab dem 15. Jahrhundert. Schon im Vorfeld waren ja asiatische Großreiche zusammengebrochen, wie etwa die Khmer. China konzentrierte sich in dieser Zeit ganz auf das Innere. Es gab wohl große Hungersnöte, die meist auf ungünstige Niederschlagsverhältnisse zurückgehen. In solchen Zeiten ist die Gerste besonders betroffen. So ist die Überlieferung wohl abgebrochen.