Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Bier ist weiblich

Bier gilt als Männerdomäne, dabei haben weibliche Brauer schon bei den Ägyptern den Charakter des Getreidesafts geprägt, sagt Martin Zarnkow. Nicht durch ihre Rezepte, sondern durch Körperhefen.

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A painting detail in the tomb of Senet showing bread making. Moulds are filled with dough taken from large jars and then stacked for baking. Bread dough was used in the brewing of beer also and bread and beer making are almost always shown in the wall paintings side by side. As a rule this was women's work. Country of Origin: Egypt. Culture: Ancient Egyptian. Date/Period: 12th dynasty c.1991 - 1786 BC. Place of Origin: West Thebes. Credit Line: Werner Forman Archive. Location: 119 (Werner Forman Archive / Heritage Images) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.© dpaÄgyptische Brauerinnen

Die Diskussion, ob Rumpelstilzchen nicht doch eher eine Frau war, ist noch nicht entschieden. Denn “es” sagt ja bekanntlich: “Heute back ich, morgen brau ich, / übermorgen hol ich der Königin ihr Kind” – und das Brauen war wenigstens bis ins späte Mittelalter hinein, in den allermeisten Gesellschaften die Aufgabe der Frauen. Noch Luther war ein großer Verehrer des von seiner Frau gebrauten Biers und ließ es sich sogar nachschicken.

Interessanterweise ist die Figur der Brauerin, die schon in frühesten Bild-Zeugnissen dargestellt wird, weitgehend in Vergessenheit geraten. Dabei haben Frauen sehr spezielle Spuren im Bier hinterlassen, auf die zuletzt der Brauwissenschaftler Martin Zarnkow hingewiesen hat – Leiter der Abteilung “Forschung und Entwicklung” am “Forschungszentrum Weihenstephan” (TU München). Ein Gespräch über Hefen und Hopfen.

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F.A.Z.: In einer Fernsehdokumentation über die Geschichte des Biers haben Sie einmal gesagt, dass das Bier heute anders schmecken würde, wenn nicht zu bestimmten Zeiten hauptsächlich Frauen für das Brauen zuständig gewesen wären. Sie meinten dabei nicht weibliche Rezepturen, sondern den Einfluss von Hefen, die Menschen am Körper tragen. Was genau meinten Sie?

Martin-Zarnkow© TUMMartin Zarnkow

Martin Zarnkow: Dazu muss ich etwas ausholen. Das allererste Bier, Tausende von Jahren zurück, wird wahrscheinlich aus einer Art Spontanvergärung entstanden sein. Es hat zunächst in irgendeiner Form eine Getreidesuppe gegeben und in diese sind Hefen hineingelangt. Getreide kann zwar auch ein Träger von Hefen sein, ist aber kein bedeutender. Wahrscheinlicher ist, dass die entsprechenden Hefen über Früchte in das entsprechende Gefäß gekommen sind, denn die puristische Trennung von Wein und Bier, wie wir sie heute machen, spielte damals noch keine Rolle. Und auch mit dem Säubern hat man es nicht übertrieben. Hefen können aber auch über den Menschen in die Getreidesuppe hineingeraten sein. Denn auch auf unserer Haut befinden sie sich – ganz natürlich, das ist nichts Schlimmes. Dieses Mikrobiom, diese Mikroorganismengemeinschaft, unterscheidet sich nun, sowohl zwischen den Geschlechtern als auch individuell. Frauen haben ein anderes Mikrobiom an sich als Männer. Auf die Getreidesuppe bezogen: Nach und nach hat sich dieses Substrat, das in der Getreidesuppe zur Gärung geführt hat, und das man wiederverwendet hat, weil das Endprodukt stabil, nahrhaft und wohl auch schmackhaft war, verändert. Da haben dann viele Wechselwirkungen eine Rolle gespielt, wobei der Einfluss menschlicher Mikroorganismen gar nicht zu vermeiden war.  Und da Frauen sehr lange, bis ins Mittelalter hinein, für das Bierbrauen zuständig waren, habe ich diese Aussage getroffen, dass es höchstwahrscheinlich eine andere Interaktion gegeben hätte, mit dem zuckerhaltigen Substrat (der Würze), wenn in der frühen Zeit vorwiegend Männer gebraut hätten.

Kann man in etwa sagen, wie sich Hefen an weiblichen Körpern geschmacklich von denen an männlichen unterscheiden?

Dazu kann man kaum etwas sagen, dabei spielen zu viele Faktoren eine Rolle. Es kann sein, dass der Unterschied marginal ist. Das wäre sogar meine Spekulation: Der Unterschied ist wahrscheinlich gar nicht so groß. Aber es gibt einen.

Wie und wann konnte es bei der Wechselwirkung, die sie beschreiben, schließlich zu der Konservierung eines bestimmten Biergeschmacks kommen? Spielte die Hygiene dabei eine Rolle?

A painting detail in the tomb of Senet showing bread making. Moulds are filled with dough taken from large jars and then stacked for baking. Bread dough was used in the brewing of beer also and bread and beer making are almost always shown in the wall paintings side by side. As a rule this was women's work. Country of Origin: Egypt. Culture: Ancient Egyptian. Date/Period: 12th dynasty c.1991 - 1786 BC. Place of Origin: West Thebes. Credit Line: Werner Forman Archive. Location: 119 (Werner Forman Archive / Heritage Images) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.© dpaÄgypterinnen beim Brauen

Ja, auch. Bis zu der Erkenntnis, woraus dieses Substrat wirklich besteht, durch Louis Pasteur, Robert Koch und andere, gab es sogenannte Mischfermentationen. Es gab sicher immer schon bestimmte dominante Hefen, es gab aber immer auch andere, weniger dominante. So hat sich das Bier in unterschiedliche geschmackliche Richtung entwickelt. Mit den Erkenntnissen von vor 160, 170 Jahren hat man aber allmählich verstanden, wie man eine sogenannte Reinhefezucht bewerkstelligen kann, das hat der Däne Emil Chrisitan Hansen herausgefunden – und da kommt dann auch die Hygiene ins Spiel, die man plötzlich als wichtig erkannte. Von da an konnte man reproduzierbar eine bestimmte Geschmacksrichtung einschlagen. Man hat festgestellt, welche Hefe für welches Bier ideal ist. Und schließlich kam es in einer jahrhundertelangen Interaktion zwischen Produzenten und Konsumenten zu einer zunehmenden Vereinheitlichung des Biergeschmacks. Im Endeffekt dominiert heute fast überall auf der Welt das untergärige, kühl getrunkene filtrierte Lagerbier: Helles, Pils, Export. Die Untergärung stand allerdings nicht am Anfang der Bierentwicklung, es begann mit obergärigen Hefen, wie man sie auf Früchten, auf uns Menschen, auf Eichen und sogar, interessanterweise, auf dem Hopfen findet. Auch diese Hefen sind noch überall auf der Welt zu finden.

Wie groß ist der Einfluss menschlicher Hefen heute noch bei der Bierherstellung? Findet Bierbrauen bei den großen Erzeugern nicht in einem vollkommen geschlossenen System statt?

Also eine übertriebene Sterilität wollen wir ja nicht haben, das müsste sonst schon auf dem Feld losgehen. Das Bier soll gewisse Ecken und Kanten behalten, weil wir es einfach auch nicht anders gewöhnt sind. Allerdings ist richtig, dass bei einem Bier, das unter modernen Hygieneaspekten hergestellt wird, kein großer Austausch mehr mit menschlichen Hefen stattfindet. Beim Opaque-Bier in Afrika ist das noch anders. Und das wird auch heute noch von Frauen gebraut.

Aegypterin© TechnoseumIn Ägypten kannten auch Frauen die negativen Folgen eines Alkoholrausches nach einem Festmahl. Nachbildung eines Wandbildes aus dem Tempel Mut in Luxor, um 1470 v. Chr.

Ist der Einfluss menschlicher Hefen bei Craft- und bei Zoigl-Brauern noch groß, beide haben ja noch eine erhebliche Nähe zum Erzeugungsprozess.

Auch diese Brauer geben heute alle eine gesunde Hefe in ausreichender Menge zur Würze hinzu, und die ist dann so dominant, dass Hefen, die durch den Biererzeuger vielleicht hinzugekommen sein könnten, gar nichts mehr anrichten. Andererseits ist das mit der Hefe hochspannend: Sie nehmen eine einzelne Hefe, die lassen Sie vermehren und dann holen Sie sich hundert Hefen aus diesem großen Konglomerat heraus. Diese hundert Hefen prüfen Sie genetisch auf ihre Gleichheit. Sie kommen dabei fast immer auf drei Prozent andere Hefen. Daran sieht man: Auch unter einem geregelten Mechanismus driftet mal was weg.

Wofür braucht man eigentlich Hefebanken?

Ich kann mir in meiner Brauerei einen neuen Variantenreichtum schaffen. Und man hat die Sicherheit, dass man die Hefe bekommt, die man braucht. Und dann ist da natürlich auch das ganze Wissen um diese Hefen. Wie muss ich sie mit welchen Anlagen durch den Prozess fahren?

Brauer schicken ja, wenn sie mit einem Sud besonders zufrieden sind, Proben ein, um analysieren zu lassen, wie der Geschmack zustande kam. Spielen Hefen dabei eine besondere Rolle?

Auf jeden Fall. Die Hefe ist der Kern der ganzen Angelegenheit. Ich habe mal einen netten Versuch gemacht. Ich habe alle möglichen Getreide vermälzt, die mir in die Finger kamen: Emmer, Einkorn, Roggen, Hafer und so weiter. Daraus habe ich dann eine passablen Würze produziert und die habe ich dann vergoren mit einer obergärigen Hefe – der Hefe, die in bayerischen Weißbieren verwendet wird. Und danach hatte ich halt ein typisches Weißbier, das fast völlig unabhängig war von dem Getreide, das ich verwendet hatte. Das war für mich einerseits enttäuschend, andererseits lehrreich. Ich hätte neutralere Hefen nehmen müssen, dann kommt der Geschmack des Getreides auch besser raus.

Das Bier hat noch eine weitere stark feminine Seite: Für das Bierbrauen werden nur weibliche Hopfenblüten verwendet. Warum ist das so?

Weil diese die wertgebenden Inhaltsstoffe besitzen, die wir im Bier haben wollen. Wir wollen ja eigentlich zweierlei erreichen: Einmal sollen die Mikroorganismen im Bier reguliert werden, was viele Inhaltsstoffe des Hopfens bewirken, unter anderem auch die Bitterstoffe. Letztere haben auch mit dem zweiten Aspekt zu tun: Mein Bier soll bitter sein. Der dritte Aspekt: Ich möchte ein Bier mit Aroma. Und alle Aspekte zusammen finde ich eigentlich nur in der weiblichen Hopfendolde, nicht in der männlichen. Die männlichen Hopfensorten sind nur für die Zucht da.

BaeuerinschoepftSchaumEine Brauerin entnimmt eine Probe vom Bamberger Rauchbier (um 1975)

Männliche Hopfenplanzen werden unterdrückt?

Sie haben noch nie ein Bier getrunken, in dem pure Teile des männlichen Hopfens drin waren. Ich übrigens auch nicht, nicht einmal in einem wissenschaftlichen Zusammenhang. Die männliche Pflanze sieht übrigens fast genauso aus wie die weibliche, als Laie können sie die gar nicht unterscheiden.

Was ist bei besamten weiblichen Dolden anders?

In einem Großteil der Welt wird die Besamung weiblicher Dolden vermieden, denn dadurch werden die Dolden größer, ohne dass, wie es heißt, die Bitterkraft zunimmt. Aber es gibt eine interessante Ausnahme: Der englische Hopfen ist besamt, nicht komplett, aber zu einem guten Teil. In England muss der männliche Hopfen, anders als in Deutschland, nicht gerodet werden.

Was folgt daraus?

Die Engländer konnten mir nicht erklären, warum sie es anders halten, aber ich habe herausgefunden, was der Vorteil der Besamung ist. Beim Hopfenstopfen nämlich – wenn man den Hopfen also nicht, wie heute üblich, im heißen Bereich hinzugibt, weil die Bitterstoffe sich dabei besonders gut lösen, sondern im kalten Bereich, was in England eine lange Tradition hat – werden die Enzyme im Hopfen nicht abgetötet, wobei der besamte Hopfen besonders viele davon hat. Und diese Enzyme machen jetzt etwas Spannendes: Sie setzen Aromakomponenten des Hopfens frei, die aus bestimmten Gründen glykosidisch, also an einen Zucker gebunden sind. Diese Freisetzung erfolgt sehr langsam, wodurch das Aroma länger erhalten bleibt.

Gibt es sonst noch eine verborgene weibliche Seite beim Bierbrauen?

Eigentlich nicht. Ich beobachte aber, dass sich immer mehr Frauen für die Brauwissenschaft interessieren. Vielleicht, weil das, was den Beruf, wenn Sie ihn von ganz unten betreiben, körperlich so anstrengend gemacht hat – das Putzen und der Umgang mit großen Volumen – leichter geworden ist.

Würden Sie sagen, dass das Bier jetzt nochmal weiblicher wird?

Vielleicht kann man es so ausdrücken: Frauen werden als Konsumenten immer stärker wahrgenommen. Und es kommen auch immer mehr Biere auf den Markt, die ausschließlich Frauen erdacht und produziert haben. Die sind übrigens oft viel stärker gehopft, als man denkt.