Bier passt nicht zum Essen? So ein Käse. In unserem Blog beweisen wir das Gegenteil. Die ersten Empfehlungen kommen von Sebastian Priller – Biersommelier-Weltmeister und “Craftbrauer des Jahres”.
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Wenn man auf dem Hauptbahnhof in Augsburg ankommt, ist die Riegele Brauerei nur einen Steinwurf weit entfernt, sie liegt direkt parallel zu den Schienen. Die Nähe ist derart augenfällig und einladend, dass in Kürze allen Ernstes ein Zugang vom Bahnsteig 1 direkt zum Riegele-Wirtshaus geebnet werden soll. Ja, so etwas geht in Augsburg – und selbst im Zusammenspiel mit einem Unternehmen wie der Deutschen Bahn.
Als wir von der den Schienen abgewandten Seite auf das Wirtshaus zugehen, strömt uns aus der Brauerei der köstlichste Bierduft entgegen, den wir je gerochen haben, leider vergessen wir zu fragen, was da gerade gekocht wird. Im Bierladen, der dem Wirtshaus vorgelagert ist, empfängt uns Sebastian Priller-Riegele – wie auf allen Fotos von ihm sieht er auch jetzt wieder aus wie aus dem Ei gepellt: elegant, gepflegt, fit, den Kragen nach oben gerichtet.
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Video: Sebastian Priller hält zwar nicht viel davon, anderen Vorschriften beim Biertrinken zu machen, diese einfachen Verkostungs-Tipps können aber zumindest nicht schaden.
Das Video zum Foodpairing, der Speisenbegleitung mit Bier, kommt weiter unten.
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Stets voller Tatendrang führt uns Priller, der die Augsburger Produktionsstätte in der 28. Braugeneration zusammen mit seinem Vater führt, in einer kurzen Gewalttour durch alle Höhen und Tiefen des ungewöhnlich großzügig bemessenen Brauereigebäudes aus dem 19. Jahrhundert. In Windeseile hat er die Treppenstufen zum Sudhaus erklommen, in dem noch ungewöhnlich ausschweifend dem Kupfer gehuldigt wird, und kaum haben wir uns versehen, sind wir schon in der obersten Etage angelangt, dort, wo die Schrotmühle steht. Ein herrlicher Rundumblick wird hier freigegeben – auf die Augsburger Altstadt und das Riegelesche Brauanwesen mit seinem beeindruckenden, unter riesigen Kastanien ausgebreiteten Biergarten.
Priller, der nach dem Studium zunächst Unternehmensberater bei Boston Consulting war, zeigt auf einige liebevoll gehegte Details des Anwesens unter sich und sagt lachend, als Manager wären er und sein Vater, der ebenfalls Sebastian heißt, wohl schon überall wegen Detailversessenheit rausgeschmissen worden. Die beiden Augsburger kultivieren einen im Grunde anti-fuggerschen Unternehmergeist. Zwei Wörter dürfen bei Riegele, sagt Priller, auf keinen Fall in den Mund genommen werden: “Hektoliter” und “Prestige”, denn diese beiden Begriffe schadeten dem Bier. Das Kuriose dabei: Priller und sein Vater, der Braumeister und promovierter Wirtschaftswissenschaftler ist, kennen sich mit Markt und Marketing auch in fortgeschrittenen Größenordnungen wirklich aus, sie denken aber bewusst nur in der Kategorie “Familienunternehmen”. Selbst die Etiketten ihrer Bierflaschen entwerfen sie selbst.
Während auf denen des Craft-Sortiments mit kleinem Porträt Sebastian Priller abgebildet ist, fehlt auf den in der Riegele-Gastronomie fürs Craftbier verwendeten Glaspokalen ganz bewusst ein Markenlabel. Das würde nur vom Eigentlichen ablenken, sagt Priller. Ist es nicht ein Nachteil, fragen wir, dass Riegele zwar seit Jahrzehnten eine von zahlreichen Jurys ausgezeichnete Bierqualität produziert, aber kein herausragendes Referenzbier zu bieten hat, so dass das Unternehmen eigentlich weniger bekannt ist, als es ihm zustünde? Priller verneint, auch ein Referenzbier würde nur vom eigentlichen Anliegen ablenken: “Riegele soll vor allem für Braukunst stehen”, sagt er. Eine ungewöhnlich konsequente Argumentation – die man den Bieren anschmeckt.
Einen hervorragenden Eindruck macht zunächst das Augsburger Herren Pils, dessen erstaunlich hoher Bitterwert hinter dem eleganten Aromahopfen-Malzspiel überaus stimmig eingebunden ist. Und in diesem raffiniert ausbalancierten Stil geht es weiter, vom Urhellen über das Export bis zu den dunklen Bieren und den Böcken; in der Craftbier-Linie reicht die Palette vom IPA über das Porter bis hin zum Imperial Stout. Sämtliche Biere könnte man als eine Art Musterbeispiele der jeweiligen Sorte hinstellen. Besonders beeindruckt hat uns der helle Bock “Auris”, das ans belgische Dubbel angelehnte “Dulcis” und das spektakulär tiefschwarze Imperial Stout “Nocturnus”, das von einer dunkelbraunen Schaumkrone gekrönt wird.
Die Kombination zwischen dem Weltklasse-Biersommelier Sebastian Priller und seinem besonders auf Hefen spezialisierten Braumeister Frank Müller – ein freundlicher Schlaks von zwei Metern Höhe mit dem Händedruck eines Eisenbiegers – scheint sehr fruchtbar zu sein.
Beim Meininger Craft Beer Award, bei dem in diesem Jahr mehr als 900 Biere eingesendet wurden, wurde Riegele mit 17 Auszeichnungen zum “Craftbrauer des Jahres” gekürt, und ein Kompliment besonderer Art war es wohl auch, dass Craft-Pionier Ken Grossman von der legendären Sierra-Nevada-Brauerei in Chico mit Riegele Kontakt aufnahm, um gemeinsam ein Bier zu brauen – herausgekommen ist 2016 das “Bayerisch Ale 2”.
Und dann wäre da noch das in der vergangenen Woche auf den Markt gebrachte alkoholfreie IPA von Riegele. Kürzlich hatten wir ja in diesem Blog das ü.NN von der Kehrwieder Kreativbrauerei als alkoholfreien Quantensprung gelobt, jetzt müssen wir sagen: das von Riegele ist eine harte Konkurrenz. Für “Liberis”, dessen Produktion, so Priller, acht Wochen dauert, werden zwei ausgesuchte Hefen eingesetzt, die es unter dem komplexen Hopfen-Bouquet schaffen, eine angenehm säuerliche Note zu erzeugen, die zum IPA hervorragend passt und zu einem bemerkenswerten Teil den fehlenden Alkohol vergessen lässt. Wenn das so weitergeht, bringen die deutschen Brauer den Alkohol noch komplett aus der Mode. Sebastian Priller sagt: “Das könnte die Rückkehr des Biers zum Mittagessen sein.” Ein faszinierender Gedanke, man wird sehen.
Womit wir beim “Foodpairing mit Bier” angelangt wären. In dem folgenden Video gibt Sebastian Priller, der 2011 als erster Deutscher die Biersommelier-Weltmeisterschaft gewann, eine Reihe von Begleitempfehlungen, die das Bier von seiner für manchen vielleicht überraschendsten Seite zeigen.
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Sebastian Prillers Foodpairing-Tipps:
+ Bier zum Fisch
+ Bier zum Grillen (Steak, dunkles Fleisch)
+ Bier zu Wasabi und Curry
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Zum Abschluss haben wir mit Sebastian Priller über die Frage gesprochen, was man Bier mit einem geschulten Gaumen und einer versierten Nase wirklich anriechen und -schmecken kann.
F.A.Z.: Herr Priller, wofür braucht die Welt Biersommeliers?
Sebastian Priller: Meine Antwort ist einfach, aber vielleicht überraschend. Man braucht sie jedenfalls nicht, um andere zu belehren. Man braucht sie nur für eins: um die Freude am Gerstensaft zu vermitteln. Bier ist für mich kein Getränk, Bier ist Philosophie, flüssige Lebensfreude. Das zu vermitteln, dafür braucht es einen Sommelier.
Sie waren 2011 Biersommelier-Weltmeister. Wie trainiert man auf so etwas hin?
Ich habe mir Biere aus der ganzen Welt besorgt und habe jeden Tag fünf bis zehn blind verkostet. Das Ganze zog sich über vier, fünf Monate hin. Auch habe ich mir einen Aroma-Kit gekauft und habe an Rein-Aromen trainiert: Fruchtaromen, Hölzer, Gewürze … Außerdem habe ich mir einen Fehlgeschmacks-Kit zusammengestellt und habe auf das Erkennen von Bierfehlern hin trainiert. Schließlich habe ich noch ein bisschen was gelesen und bin durch die Welt gereist.
Da wir ein etwas nerdiger Blog sind, eine Frage für zukünftige Weltmeister – woher bekommt man solche Kits?
Die Aromen-Kits bekommt man im Internet. Die Fehlaromen-Kits allerdings sind so sündhaft teuer – sie kosten mehrere tausend Euro -, dass man zum Braumeister seines Vertrauens gehen sollte. Ein sympathischer Vertreter seines Standes ist durchaus mal gewillt, einem etwas von dem Inhalt seiner Fehlgeschmack-Geruchskapseln abzugeben. So habe ich es jedenfalls gemacht.
Was schmeckt ein Weltklasse-Sommelier alles blind aus einem Bier heraus? Es gibt ja inzwischen mehr als hundert Bierstile.
Wichtig ist vor allem der Geruch und die Nase. Im Mund schmecke ich süß, salzig, sauer, bitter, den Umami-Geschmack, der Hauptnerv sagt mir, ob etwas scharf oder heiß ist. Aber der Rest findet orthonasal oder retronasal, also in der Nase statt. Da haben wir unendlich viele Riechzellen. Ich persönliche frage mich immer bei einem Bier: Bin ich im grünen Bereich, bin ich bei den blumigen Noten oder bei den Kräutern? Auch mit einem gedachten Anlass kann man sich heranarbeiten. Schmeckt etwas nach Weihnachten, dann bin ich etwa bei der Nelke, ein typischer Weizenbiergeschmack. Das Aromagedächtnis ist eines der besten, das wir Menschen haben. Man kann es nur schlecht artikulieren. Aber jeder kennt es, man geht durch eine Scheune und sie riecht wie bei der Oma. Und dann kommt die Erinnerung.
Wie geht der Wettbewerb bei einer Biersommelier-WM vor sich?
Es geht los mit einem so genannten Nullbier, einem leichten Lagerbier. Dieses bekommt man zehn Mal serviert, nur jeweils mit einem anderen Aroma versetzt. Diese Aromen müssen Sie herausfinden. Sie müssen rausschmecken: Aha, hier habe ich Diacetyl, hier habe ich Rose, hier Veilchen. Für diese erste Aufgabe haben Sie eine Stunde Zeit. Es klingt einfacher, als es faktisch ist.
Eigentlich nicht…
Der zweite Teil ist ein schriftlicher, dafür hat man abermals eine Stunde Zeit. Jetzt geht es um Hopfensorten, Anbaugebiete, Gläserkunde und so weiter. Nun kommt ein zweiter sensorischer Teil, da bekomme ich zehn Biere aus der ganzen Welt, und ich muss erkennen, um welchen Bierstil es sich handelt und aus welchem Land er kommt. Ist es ein Pils böhmischer oder deutscher Brauart? Ist es ein Eisbock, ist es ein Quadrupel, ist es ein Tripel, ein Summer Ale, ein Brown Ale, ein Amber Ale? Dafür haben Sie auch eine Stunde Zeit. Damit sind die Vorläufe abgeschlossen und sechs Finalisten kommen in die Endrunde. Diese werden jetzt der Reihe nach aufgerufen. Wenn Sie an der Reihe sind, betreten Sie eine Bühne, Sie haben zweihundert Leute vor sich, hinter sich sieben Jurymitglieder. Ja, und dann wartet ein Bier auf Sie, das Sie zelebrieren müssen: Sie müssen es verkosten, Speiseempfehlungen abgeben. Von nun an kann es peinlich werden.
Können Sie bei einem komplexen Bier die verwendeten Malzsorten auseinanderhalten?
Bei den Malzsorten tut man sich sehr schwer. Aber man kann schon sagen: Da ist ein bisschen Caramünch drin, man kann an der Farbe erkennen, ob es ein Münchner Malz ist. Auch an der Röstklaviatur kann man bestimmte Malzsorten erkennen. Aber ich würde nicht behaupten, dass ich die komplette Malzkomposition eines Bieres herausschmecke.
Wie steht es mit den Hopfensorten?
Hopfensorten bringen bestimmte fruchtige Aromen mit. Zumindest die dominierenden Top-Noten kann man schon erkennen. Eine komplette Hopfenkomposition herausschmecken? Man kann Glück haben, aber immer gelingt es nicht.
Wasser?
Wasser kann man nicht herausschmecken, aber man kann sagen, ob es mit seinem jeweiligen Härtegrad geeignet ist für einen bestimmten Bierstil.
Und die Hefe?
Schwierig, aber ob ein Bier spontan-, ober- oder untergärig ist, lässt sich schon erkennen. Die Hefe ist mit das Unerforschteste, aber aus meiner Sicht unglaublich wichtig für die Dominanz eines Biers. Das Potential, das in der Hefe steckt, ist unwahrscheinlich.
Wie ordnen Sie Biere blind Herkunftsländern zu?
Ich bin ein Mensch, der in Rastern denken muss: Alles Hopfenbetonte weist tendenziell auf die Vereinigten Staaten hin. Eine intensive Röstaromatik wie beim Porter, beim Stout, beim Imperial Stout, kann ich tendenziell Großbritannien zuordnen. Wenn ich merke, dass die Top-Note tendenziell aus der Hefe kommt, wenn Anklänge an Bretanomyces, Kelleraromen, bestehen, bin ich auch meist in Großbritannien. Wenn ich merke – das soll jetzt nicht arrogant klingen -, dass das Bier eine sensationelle Balance hat, dann bin ich oft in Deutschland, weil die Brautechnik in Deutschland einfach besonders weit entwickelt ist.
Welche Biersorten sind am schwersten auseinanderzuhalten?
Helles, Export, Festbier und Märzen sind alle in der gleichen Kategorie, nur die Stammwürze nimmt zu. Da beginnen die Nuancen zu schwimmen. Mancher Brauer bezeichnet sein Helles dann auch als Festbier. Auch beim Weizen ist es so: Ein leichtes Weizen ist heute zum Teil so gut gemacht, dass man es von einem vollen kaum unterscheiden kann. Aber schwierig ist auch die Unterscheidung: Wo hört das Porter auf, wo fängt das Stout an? Wo hört der Bock auf, wo fängt der Doppelbock an? Aber da frage ich mich: ist das so entscheidend? Bier soll komplex sein, aber nicht kompliziert.