Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Der älteste lebende Bierstil der Welt

Das Sahti-Bier in Finnland wird heute noch mit einfachsten Mitteln wie in Urzeiten erzeugt. Der Craft-Brauer Sebastian Sauer ist seiner Spur gefolgt und hat im Baltikum noch eine andere Rarität entdeckt.

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© Sebastian SauerBrauerzeugnisse der “Königin des litauischen Bieres” – mit und ohne Honig

F.A.Z.: Herr Sauer, Sie reisen in der ganzen Welt umher und kosten ungewöhnliche Biere. Jetzt waren Sie auf Bierreise im Baltikum und in Finnland, wo es den ältesten Bierstil der Welt gibt, der noch gebraut wird – Sahti. Doch zunächst: Was ist das für eine Bierkultur im Baltikum? Wie traditionell geprägt ist sie noch, wie wichtig ist Craft-Bier?

Sebastian Sauer: Es gibt zwar viele Craft-Brauer in den baltischen Ländern, mich haben aber die Traditionen stärker interessiert, die sich durchgehalten haben. Die heutigen Akteure brauen vorwiegend Zuhause und arbeiten noch teilweise so wie ihre Großeltern und Urgroßeltern, zum Teil auch noch mit dem gleichen Equipment. Von diesen Bieren ist kommerziell kaum etwas erhältlich.

Auf der estnischen Insel Saaremaa gibt es zum Beispiel den Bierstil “Koduolu”. Auf der Suche nach diesem ursprünglichen Bier wurden wir schließlich in einer Fischräucherei fündig. Man hatte uns gesagt, dass es hier noch Vorräte geben könne. Wir hatten Glück, denn dieses Bier wird eigentlich nur für den Mittsommer und für die Weihnachtszeit gebraut. Abgefüllt wurde es aus einem Eimer in einen Krug, zum Probieren. Außerdem konnten wir noch drei gefüllte PET-Flaschen mitnehmen. Das war übrigens das beste Bier auf der kompletten Tour. Dieses Bier lässt man zur Klärung über Wachholderzweige laufen, es wird relativ stark gebraut, mit einer speziellen Backhefe vergoren. Das ist geschmacklich ganz anders als alles, was man sonst so kennt.

© Sebastian SauerFischräucherei und Kleinbrauerei auf der estnischen Insel Saaremaa

Wurde das Bier gekocht, kam Hopfen zum Einsatz?

Das wurde uns nicht genau gesagt. Ich denke, dass es nicht gekocht war. Es kam auch Säure durch. Ich würde sagen, es war ein Raw Ale, nicht gekocht und ohne Hopfen. Es hieß, dass man das Bier nach zwei Wochen Gärung trinkt. Es war sehr trüb, hatte kaum Schaum und schmeckte in etwa wie ein konzentriertes Hefeweizen, sehr bananig, sehr estrig, dazu noch die duftige Würze des Wacholders. In der Literatur gibt es sehr wenig über diese Sorte Bier. Es gibt allenfalls finnische oder litauische Bücher, die aber nicht ins Englische übersetzt wurden. Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, beriefen sich ausschließlich darauf, die Rezepte von ihren Vorfahren übernommen zu haben.

Das Bier passte wahrscheinlich gut zu dem angebotenen geräucherten Fisch.

Ja, das ist eine sehr gute Kombination.

© Sebastian SauerBrauanlage von Jovaru Alus in Litauen

Wie sehen die Anlagen dieser Heimbrauer aus?

In dem geschilderten Fall haben wir das nicht sehen können. Wir haben auf der gesamten Reise aber oft festgestellt, dass noch mit Holzgefäßen gearbeitet wurde. In Finnland zeigte uns ein Heimbrauer eine alte Anlage aus dem 18. Jahrhundert, die nicht mehr benutzt wurde. Es handelte sich um einen ausgehöhlten Baumstamm, darauf befand sich eine Trägereinheit, auf der der Wacholder zu liegen kam. Die fertige Würze wurde so oft darüber geschüttet, bis das Bier ausreichend geklärt war.

Wie war Litauen?

Litauen war stärker traditionell geprägt. Auffällig war, dass die Bars und die Bottleshops Biere vom Fass anboten, die allerdings eher zum Mitnachhausenehmen gedacht waren. Es gab direkt an den Schankhähnen einen speziellen Anschluss zum Abfüllen in PET-Flaschen. In einer Bar wollten wir gerne vor Ort trinken, dazu musste das Bier aber zuerst in eine PET-Flasche abgefüllt werden, um anschließend ins Glas gegossen werden zu können. PET-Flaschen waren in Litauen omnipräsent. Nördlich von Vilnius gibt es sehr viele traditionelle Brauereien, in denen man Bier auch direkt kaufen kann. Die Lagerbiere dort sind von der Ausrichtung her wesentlich süßer als in Deutschland, beliebt ist die Kombination mit Honig. Eine Brauerei namens Pinova hat ein Bier mit den Stielen von Himbeeren gebraut, ein anderes mit rotem Klee sowie eines mit Kirschblättern. Das waren alles ungekochte Biere. Häufig wurde auch Brot fürs Bierbrauen verwendet. Das war sehr spannend.

© Sebastian SauerGruppenbild mit Sebastian Sauer (links) und der “Königin des litauischen Bieres”

Bei Jovaru Alus haben wir eine über 70 Jahre alte Frau kennengelernt, die den Spitznamen “Königin des litauischen Bieres” trug. Die Brauerei war überaus simpel und es wurde erst ein Hopfentee gekocht, Temperatursteuerung gab es gar nicht, sondern es wurde nur mit erhitztem Wasser gearbeitet. Im Gärkeller sahen wir offene Eimer, in denen diverse Ansätze gärten. Das Bier schmeckte sehr gut, sehr brotig und erfrischend säuerlich, aber ausbalanciert.

Obergärige und untergärige Biere gibt es gleichermaßen?

Bei den traditionellen Bieren ist es so, dass ganz eigene Hefen verwendet werden. Die Hefe der Bierkönigin, von der ich gerade sprach, ist einmal von einem Kanadier untersucht worden. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine ganz ungewöhnliche Mischung von unterschiedlichsten Hefen handelte. Mit Reinzuchthefe hatte das nichts mehr zu tun.

Geschmeckt haben die Biere alle – oder gab es Schwernachvollziehbares?

Bedenken muss man, dass diese traditionellen Biere alles andere als stabil sind, sie halten nicht lange. Eine Bar in Vilnius heißt Snekutis, übersetzt heißt das Plappermaul. Es gibt drei Läden, in denen wir jeweils das gleiche Bier ausprobiert haben. In der ersten Bar schmeckte es gut, in der zweiten noch besser, in der dritten war es ungenießbar.

Was gab es in Lettland Besonderes?

In Riga gab es einen Brewpub, der auf Kräuterbiere spezialisiert war. Die Biere kamen vom Fass, der Laden war unglaublich voll, was erstaunlich war, weil die Biere alle sehr stark gewürzt waren. Dort gab es Met mit Pfefferminze, Bier mit Schafgarbe, kaum eines ohne Kräuter. Ansonsten war das Craft-Bier prominent vertreten, auch am Flughafen. Traditionelle Biere gibt es in Lettland wenige.

© Sebastian SauerPET-Flaschen zum Abfüllen für Bier sind im Baltikum sehr beliebt.

Ist Bier im Baltikum das alkoholische Getränk Nummer Eins?

Bier ist dort ein Riesenthema. Die Preise waren übrigens sehr unterschiedlich. In Litauen war Bier sehr günstig, in Lettland ging es so, in Estland zogen die Preise schon an. In Finnland ist Bier, viele wissen das, richtig teuer. Dort gab es selbst im Hinterland Buden, in denen ein normales IPA, 0,3 Liter, zehn Euro kostete. Aber die Leute kamen und haben es nur so weggezischt. Man merkte in Finnland sofort, wenn der Feierabend begann. Da strömten dann alle, mit und ohne Anzug, in die Bars und wollten erstmal ein Bier trinken. Unsereiner findet das ja schön. Egal, wo wir in Finnland waren, die Bierlokalitäten waren immer gut gefüllt. In Finnland gibt es ja ein Alkoholmonopol. Die Alko-Shops kaufen Bier zentral ein, in den Supermärkten gibt es nur Bier unter einem Alkoholgehalt von 4,8 Prozent.

Auf welche Region haben Sie sich in Finnland konzentriert?

In Finnland waren wir hauptsächlich in Helsinki und in der Gegend von Lahti, wo es das Sahti-Bier gibt. Das Sahti-Bier wird in drei kommerziellen Brauereien erzeugt. Die eine ist ziemlich groß, dort sind zwei Versionen erhältlich, Finlandia Sahti und Finlandia Strong Sahti, die man auch in Alko-Shops bekommen kann. Lammin Sahti ist schon kleiner und dann gibt es noch Ilkka Sipilä von der Restaurant-Brauerei Hollolan Hirvi, der ganz unterschiedliche Biere braut, Sahti nur saisonal. Er ist der einzige, der Stein-Sahti herstellt, bei dem erhitzte Steine in den Sud zum Karamellisieren gegeben werden.

Wie kann man Sahti-Bier beschreiben?

Es ist ein Bier, das wie Koduolu nicht lange gelagert wird, auch beim Sahti wird Backhefe verwendet. Es ist sehr trüb, schmeckt ebenfalls estrig und bananig. Manche verwenden Wacholder, andere nicht. Oft hat es einen Alkoholgehalt von sieben Prozent.

© Sebastian SauerGärbehältnisse in der Brauerei Jovaru Alus in Litauen

Haben Sie Hefen mit nach Deutschland genommen?

Nein, mein Ziel wäre auch nicht, die Biere aus dem Baltikum zu kopieren. Zu einer Hefe aus Litauen fehlt mir letztlich der Bezug. Interessant wäre es, die Biere vor einem deutschen Hintergrund neu zu interpretieren.

 

Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus.

 

Sebastian Sauer im Bierblog-Porträt