Alkoholfreies Bier boomt. Das beste wird von Craftbrauern erzeugt und ist zuweilen so gut, dass es den Biermarkt nachhaltig verändern könnte.
***
Lange Zeit wurde die sogenannte Craftbier-Bewegung von herkömmlichen Brauern belächelt oder gönnerhaft wegen ihrer Verdienste für „die Wertigkeit des Biers“ gelobt. Im Grunde hielt man die Crafties aber für Wirrköpfe, die das Reinheitsgebot kaputtmachen, nicht mit Geld umgehen können und aus Mangel an Know-How und professionellen Gerätschaften den Liter für sechs Euro aufwärts verkaufen müssen. Welches Zukunftspotential das meist hopfenbetonte Bier der Underground-Brauer in sich trägt, zeigt sich erst jetzt, mit einer ihrer jüngsten Innovationen, dem alkoholfreien Bier, das fast so gut wie echtes schmeckt.
Biere mit wenig Alkohol gibt es schon seit Jahrhunderten, eigentlich seit dem Neolithikum. Auch das Alltagsbier der Mönche war nur schwach, und in Kriegen musste allein aus Rohstoffknappheit Dünnbier produziert werden. Frühe Versuche mit der gestoppten Gärung gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, das erste im großen Stil erzeugte alkoholfreie Bier auf deutschem Boden war 1972 das in der DDR erfundene Autofahrerbier „Aubi“. Clausthaler gelang es dann in den achtziger Jahren mit erheblichem Werbeaufwand, dem „Alkoholfreien“, also Bier mit weniger als 0,5 Volumenprozent Alkohol, ein wenig gesellschaftlichen Glanz zu verleihen.
Doch geschmacklich war das alles keine Freude. Alkoholfreies Pils schmeckt von wenigen Ausnahmen abgesehen metallisch oder es ist derart süß, dass es mit dem echten Pils nicht mehr viel gemeinsam hat. Süffiger wurde es vor einigen Jahren mit den alkoholfreien Weizenbieren. Sie schmecken wegen ihrer naturgemäßen Fruchtigkeit besser als ihre Pilspendants, wirken aber insgesamt doch etwas getreidig. Noch fruchtiger wurde es mit dem Aufstieg des alkoholfreien Radlers, wobei sich besonders mit den Geschmacksnoten „Grapefruit“ und „Kräuter“ schon kreative Elemente der Craftbrauer bemerkbar machten. Heraus kamen zum Teil ansprechende Erfrischungsgetränke, die man unter dem Isotonie-Label verkaufen kann, die mit zunehmender Temperatur aber doch auch eine unangenehme Süße aufweisen, selbst wenn sie immer noch deutlich weniger Kalorien haben als Vollbier. Inzwischen ist alkoholfreies Bier das am stärksten wachsende Segment auf dem Biermarkt, allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Ausstoß verdoppelt.
Fast schon eine Pointe
Neuen Schwung erhält dieser Trend nun durch eine Art Sprunginnovation, die vor zwei Jahren den Craft-Tüftlern der Kehrwieder Kreativbrauerei und des Brauhauses Nittenau gelang. Ausgehend von den unter Craftbrauern beliebten, aus England stammenden stark gehopften Sorten Pale Ale und India Pale Ale (IPA) entwickelten sie, wie vorher schon BrewDog in Schottland, ein alkoholfreies Bier, das fruchtig und bierig zugleich schmeckt und außerdem noch eine enorme Schaumkrone aufweist.
Wobei man diesen letzten Entwicklungsschritt des alkoholfreien Biers fast schon als Pointe auffassen kann: Erst wurde der Biertrinkergaumen durch die Craftpioniere an die Schönheit ausgeprägter Hopfenaromen gewöhnt, jetzt zeigt sich, dass der hopfenstarke Geschmack in Kombination mit besonderen Hefen den fehlenden Alkohol fast vergessen lässt, indem er jegliche Fadheit überdeckt.
Und plötzlich, seit einigen Wochen, quillen die Getränkemärkte über vor alkoholfreien Spezialbieren, wobei die mit Abstand besten von Craftlern stammen. Das sind dann Brauerzeugnisse, die nicht nur so schmecken wie Bier, sondern gleich an aromatisches Spitzenbier erinnern, preislich aber, gerade bei den Spezialbier-Großerzeugern wie Störtebeker oder Maisel & Friends, noch im Rahmen bleiben. Wer sich gerne unter dem Vorwand, er liebe den Geschmack von Bier, mit Durchschnittspils einen antrinkt, wird in Zukunft in Erklärungsnöte geraten. Das ist die späte, wahrscheinlich ungewollte Rache der Craftbrauer an all ihren Verächtern.
Wenn sie jetzt noch schönere Etiketten, ganz ohne Light-Botschaften drucken, steht dem Bier zum Mittagessen und dem Autokorso nach der Sperrstunde nichts mehr im Weg. Wird das Bier mit einem Alkoholgehalt von fünf Prozent in vielen seiner Domänen aus der Mode kommen?