Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

In Hamburg ist wirklich etwas schiefgelaufen

Sünje Nicolaysen hat ein süffiges Erklärbuch übers Bier geschrieben. Im Interview spricht sie über die Zukunft der Craftszene – und die der einst so stolzen Bierstadt Hamburg, die sie unter Zugzwang sieht.

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Kleinbrauerei mit Pub und Restaurant am St. Pauli Fischmarkt: Überquell

Sie haben ein Buch über Bier geschrieben, das gerade in die zweite Auflage gegangen ist. Warum war dieses Buch aus Ihrer Sicht notwendig?

Sünje Nicolaysen: Ich war bis vor vier Jahren norddeutsche Biertrinkerin, ich komme aus Husum, das heißt, ich habe eigentlich nur Pils getrunken. Als ich dann zum ersten Mal im „Alten Mädchen“  in Hamburg ein Trappistenbier probiert habe und es so gut schmeckte, dachte ich: Das ist interessant, darüber möchte ich mehr erfahren. Ich wollte mir dann ein Buch über Craftbier kaufen, aber es gab wenig, was sich mit dem Thema so befasste, dass man sich ohne Vorkenntnisse hineinstürzen konnte. Da ich Journalistin bin, habe ich waghalsig gedacht, wenn es das noch nicht gibt, schreibe ich es eben selbst. Ich war immer der Meinung: Wenn ich mich als Unwissende an das Thema heranwage, ist das ein guter Ausgangspunkt für eine Einführung. Ich bin dann in Hamburg von einem Experten zum nächsten weitergereicht worden, einer gab mir gleich zu Beginn einen Drei-Punkte-Plan. Und so habe ich selbst Bier gebraut, mir alle Folgen der Serie „Bier on Tour“ mit Conrad Seidl angesehen und eine Beerkeeper-Ausbildung gemacht.

Was fasziniert Sie am Bier?

Eigentlich alles, vor allem die Geschichte. Als erstes erfährt man, wenn man sich einliest, dass früher die Frauen gebraut haben. Mir war auch nicht bewusst, welche Braugeschichte Hamburg mit sich herumträgt, hier wurde ja zum Beispiel das Weizenbier erfunden. Immer noch faszinierend finde ich, welche Vielfalt an Bieren sich mit den wenigen Rohstoffen erzielen lässt, die Tatsache etwa, dass Malz zum Beispiel Aromen von Schokolade hervorruft.

Sie machen sich im Buch immer wieder für Craftbier stark – aber macht es uns nicht alle arm?

Weil es so teuer ist? Seitdem ich für das Buch angefangen habe zu recherchieren, weiß ich, wieviel Energie Craftbrauer in ihr Produkt stecken, wie sorgfältig sie Rohstoffe auswählen. Daher kann ich gut nachvollziehen, dass es teurer ist. Ich habe kein großes Problem mit den Preisen, ich kaufe auch nicht gleich eine Kiste, sondern meistens nur ein, zwei Flaschen für den Genuss. Wenn ich allerdings in Craftbeerstores Dosen für acht Euro sehe, frage ich mich auch, ob das sein muss.

Sünje Nicolaysen

Wäre nicht manchmal auch ein wenig mehr ökonomisches Denken wünschenswert?

Natürlich. Ich denke, das weiß auch jede kleine Brauerei. Das Geschäft ist ja keine Goldgrube. Man muss ein gutes Mittelmaß finden. Ich finde, zwei drei Euro für ein gutes Bier nach einem klassischen Stil okay. Und ich finde auch fünf Euro in Ordnung, wenn es sich um einen Mega-Spezialsud handelt. Es darf sich dort aber nicht einpendeln. Die Gruppe von Leuten, die sich für gutes Bier interessiert, ist überschaubar. Man sollte darauf achten, auch die anderen heranzuführen und ihnen den Zugang leicht zu machen, wobei der deutsche Biertrinker stark über den Preis entscheidet.

Wie glauben Sie wird es auf dem Craftbiermarkt weitergehen, angesichts der Tatsache, dass es inzwischen in vielen Getränkemärkten recht niedrigpreisige Pale Ales und IPAs von namhaften, auch internationalen Brauereien wie BrewDog gibt, die zum Teil sogar „Bio“ sind, Auszeichnungen eingefahren haben, unter zwei Euro kosten und bei denen einem eigentlich kaum etwas fehlt?

Der Markt ist definitiv schwieriger geworden. Es ist nicht leicht, mit den großen Brauereien, die zum Teil auch schon lange im Geschäft sind, mitzuhalten. BrewDog hat jetzt auch in Hamburg ein eigenes Lokal eröffnet, sehr zentral, mit der Adresse Reeperbahn 1. Das kann gut und schlecht für den Craftbiermarkt sein. Schlecht ist, dass solch große Brauereien ganz andere Preise setzen können. Gut ist, dass sie das Trinken von guten Bieren näher an den Mainstream heranführen. Die kleinen Brauereien können auf der anderen Seite eine bessere Geschichte erzählen und eine persönlichere Atmosphäre schaffen. Da steht der Brauer abends selbst hinter der Theke und erzählt, welche Rohstoffe er verwendet hat.

Bessere Geschichten erzählen ist ein gutes Argument. Sie leben ja in Hamburg, über das wir 2017 im Bierblog mal einen polemischen Beitrag veröffentlicht haben, mit dem Tenor: Die Stadt macht zu wenig aus ihrem Biererbe. Stimmen Sie dem Befund zu?

Absolut – aber … In Hamburg steckt noch wahnsinnig viel Potential. Vielleicht hängt es mit dem Hamburger Understatement zusammen, dass das eigene Biererbe nicht an die große Glocke gehängt wird. Es gibt nämlich viele Brauer, die sich mit der Geschichte beschäftigt haben. Ein Rotbier zum Beispiel habe ich bei Ratsherrn kennengelernt – deren Brauer Ian Pyle hat sich intensiv mit der norddeutschen Braugeschichte auseinandergesetzt. Er hat zum Beispiel auch das Sauerbier Hanseat gemacht, in dem er die Biergeschichte der Stadt erzählt und die Bierstile, die sich aus dem Hamburger Weißbier entwickelt haben, aufgreift. Oder nehmen Sie Buddelship, die haben auch ein Rot- und ein Weißbier. Fiete Matthies, der Brauer der Wildwuchs Brauerei, erinnert mit seinem Altkanzler Rauchbier, einem mit Rauchmalzen gebrauten Altbier, nicht nur an den verstorbenen Helmut Schmidt, er hat das Bier auch der hanseatischen Braugeschichte gewidmet.

Brauer am Zapfhahn: Fiete Matthies von Wildwuchs

Ist unter diesen Bieren eines dabei, von dem Sie sagen würden: das ist ein typisches Hamburger Bier, das jeder getrunken haben sollte? Oder ist das meiste nur gut gemeint?

Also, ich mag den Blanken Hans von Buddelship, aber ich weiß, dass der Hamburger sich im Allgemeinen sehr schwer tut mit ungewöhnlichen Bieren. Eigentlich müssten sich alle Hamburger Brauer zusammen mal stolz auf die Brust klopfen und sagen: „Übrigens, bei uns hat die Geschichte des Weißbiers begonnen und hat wahnsinnig viele Biere inspiriert.“ Sie müssten aber nicht nur die Geschichte erzählen, sondern auch das entsprechende Bier dazu brauen. Das versucht auch jeder im Stillen. Francesco Ludovici von der Birrificio Shanghait zum Beispiel, er kommt aus Italien und braut mit sehr viel Kreativität und Leidenschaft, hat sich auch schon dem klassischen Weizen gewidmet. Er hat es kaltgestopft und dabei ist etwas unglaublich Leckeres herausgekommen.  Aber für die Bierszene ist das nicht so interessant. Die will IPA oder New England IPA.

Dabei hat es Hamburg ja noch besser als Berlin mit seiner Berliner Weiße. Die ist ja noch schwerer vermittelbar. Was könnte man tun in Hamburg? Muss man eine Weizenbierakademie gründen?

Wir haben ja immerhin schon mal den Senatsbock. Diese Einrichtung geht auf die fünfziger Jahre zurück, damals haben sich die traditionellen Hamburger Brauer zusammengeschlossen und einmal im Jahr gemeinsam den Senatsbock gebraut, das entsprechende Fass wurde dann auch von jemandem aus dem Senat angeschlagen. Diese Tradition wurde vor ein paar Jahren wiederbelebt, nur kann heute jeder das Bier auf seine Weise einbrauen, es gibt aber auch Zusammenschlüsse von Brauern. Das Konkurrenzdenken ist unter den Brauern in Hamburg nicht sehr groß, das Verhältnis ist fast freundschaftlich, familiär.

Die Bar Oorlam von Buddelship

Vielleicht besteht das Problem in Hamburg aber auch darin, dass die Tradition schon zu lange abgebrochen ist und nicht in gewachsenen Institutionen überlebt hat. Weizenbier wird jetzt mit Bayern assoziiert. In Bamberg wäre es in vergleichbarer Situation wahrscheinlich auch schwierig gewesen, das Rauchbier wiederzubeleben.

Ich gebe Ihnen recht. Tatsächlich ist die Tradition schon sehr lange abgebrochen. 2016 rief die Ausstellung „Kein Bier ohne Alster“ im Museum für Hamburger Geschichte die Tradition bei einigen zurück ins Gedächtnis. Heute beherbergt das Überquell Brewpub ein Mini-Bier-Museum mit unter anderem einem Zeitstrahl zur Hamburger Braugeschichte. Trotzdem wissen die wenigsten Hamburger um die Bedeutung der Brautradition unserer Stadt, sie ist mitunter komplett in Vergessenheit geraten. Ich würde fast mal behaupten, dass selbst in der hiesigen Bierszene sehr viel Unwissen herrscht. Hier ist wirklich was schiefgelaufen.

Vielleicht muss man also doch etwas ganz Neues anfangen, wenn die alten Geschichten nicht verfangen.

Nein, ich bin stark dafür, dass Hamburg selbstbewusster mit der uralten Braugeschichte umgeht. Wir können als Stadt dieses Potential nicht komplett (an die Bayern) verschenken. Altes neu zu denken, das wäre unsere Aufgabe. Aber bitte laut, lecker und charmant – wir wollen es uns ja mit niemandem verscherzen.

Welche Biere aus Hamburg empfehlen Sie?

Da fällt mir zuerst ein Sauerbier von Bunthaus aus Wilhelmsburg ein, das heißt Gose Morning Vietnam und ist unter anderem mit Zitronengras gebraut. An heißen Sommertagen ist das der Wahnsinn. Dann gibt es von Buddelship ein New England Pale Ale namens Mr. J, das ist erst vor ein paar Wochen auf den Markt gekommen, ist wahnsinnig lecker und fruchtig. Und dann empfehle ich noch “Come é profondo il Grano”, ein neues Weizen von der eben erwähnten Birrificio Shanghait. Sehr gut geeignet für die kommenden Herbsttage ist das Extra Stout von Simian Ales, einer kleinen Brauerei in Elmshorn, die von einem Briten betrieben wird.

Der Bierguide mit vielen Abbildungen und Illustrationen von Ole Schleefs erscheint in zweiter Auflage

Was halten Sie vom alkoholfreien Bier?

Das finde ich ganz großartig, weil das eine Bierautorin rettet. Von mir wird ja häufig erwartet, dass ich irgendwo auftauche, und dann bin ich immer froh, wenn es gutes alkoholfreies Bier gibt. Wir haben in Hamburg ja auch die Biermarke Uwe, die machen nur alkoholfreie Biere, die auch tatsächlich gut trinkbar sind. Uwe hat mir schon manchen Sommertag gerettet. Sehr gut ist natürlich auch ü.NN von Oliver Wesseloh und der Kehrwieder Kreativbrauerei, aber darüber haben Sie ja schon berichtet.

Was fehlt Ihnen in Hamburg noch für Ihre persönliche Bieridylle?

Eine Idee von mir wäre, eine Bier-Fahrradroute einzurichten. Hamburg ist ja nicht Berlin, bei uns kann man eigentlich alles mit dem Fahrrad erreichen. Wenn man überall nur ein kleines Gläschen oder auch mal ein Alkoholfreies trinkt, kann man sich eine Strecke durch die Stadt mit lauter Stationen bei einigen unserer Hamburger Brauer erarbeiten. Bei Landgang in Bahrenfeld könnte es losgehen, das ist eine Hinterhof-Idylle in einem Gewerbegebiet. Radelt man die Straße runter, landet man im kleinen Garten der Bierbar Malto von der Birrificio Shanghait. Anschließend kann man einen Umweg durch die Neustadt nehmen und in dem stilvollen Brewpub von Buddelship, der Bar Oorlam, ein Bier nehmen. Am Hafen entlang erreicht man dann Überquell, kann dort ein Pale Ale probieren. Der alte Elbtunnel führt nach Wilhelmsburg, wo man mit Bunthaus und Wildwuchs zwei kleine Brauereien mit tollen Schankräumen kennenlernen kann. Als alkoholfreien Absacker hat Wildwuchs übrigens das Bier Große Freiheit mit einer leichten Rauchnote…

Wie lange braucht man für diese Strecke?

Das bekommt man in vier bis fünf Stunden hin, kann überall etwas probieren und sich vielleicht noch mit dem Brauer unterhalten.

Toll wäre, wenn Sie die Strecke für uns skizzieren könnten, das könnten wir dann unter das Interview setzen.

Ja, das kann ich machen. Das schönste Stück ist übrigens die Strecke durch den alten Elbtunnel nach Wilhelmsburg. Man fährt durch die Hafenidylle über sehr viele Brücken. Die Nebenflüsse der Elbe sind echt ein Kracher. Und machen Sie bitte einen Hinweis unter das Bild, dass die Touristikbehörde Hamburg mir die Idee gerne abkaufen kann.

Landgang: Gewerbehinterhof im Stadtteil Bahrenfeld, hier trinkt man direkt neben den Lagertanks

Malto: Brew Pub von Birrificio Shanghait in Altona mit kleinem Garten und italienischer Abendbrot-Platte

Buddelship: Mitten in der Neustadt nahe Musikhalle ist die schicke Bar der Brauerei Buddelship. Hier gibt es zu jedem Bier auch noch den passenden Genever!

Überquell: Weiter geht es zum Überquell am Hafen, hier gibt es nicht nur das Bier der Brauerei sondern auch neapolitanische Pizza und Ausblick auf Hamburgs Hafenkräne und dicke Pötte.

Bunthaus Durch den Alten Elbtunnel radeln wir quer durch das Hafengebiet und über jede Menge Brücken in den Stadtteil Wilhelmsburg. Erster Stopp: der Schankraum der Bunthaus Brauerei idyllisch gelegen im Park im ehemaligen Verdüsungsgebäude der Wasserwerke. 

Wildwuchs Absacker bei Brauer Fiete im Schankraum seiner Brauerei nur ein paar Fahrradminuten entfernt. Hier gibt es Hamburgs Bio-Bier Wildwuchs!

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Sünje Nicolaysen, 1976 in Husum, einer Stadt mit langer Brautradition, geboren, ist studierte Skandinavistin und langjährige Redakteurin für verschiedene Verlage. Heute ist sie freiberufliche Autorin und Redakteurin.

Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus