Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Ein Umzug für die Ewigkeit

Kind raus, Klamotten rein – oder andersrum? Bei einem Umzug mit Kleinkind fühlt man sich öfter wie Sisyphos.

Eine Bekannte von mir führt einen Podcast übers Schlussmachen. Darin geht es um alles, was weh tut: gegenseitige Verletzungen, Enttäuschungen, Wege, die sich irgendwann trennen, Lebensvorstellungen, die irgendwann auseinanderdriften.

Kürzlich sprach meine Freundin, die übrigens eine sehr kluge Gesprächspartnerin ist, mit einem Mann Mitte 40 darüber, wann seine Beziehung, die als echte große Liebe begonnen hatte, auseinanderging. „Solange die Kinder ganz klein sind“, erzählte dieser Mann, „verzichtet man auf große Veränderungen. Man zieht nicht um, man wechselt nicht den Job, man braucht seine ganze Energie dafür, diese ersten Monate zu überstehen.“ Dass sich zwischen ihm und seiner Frau ein Gesprächsvakuum gebildet hat, merkten beide erst, als die Kinder fünf oder sechs Jahre alt gewesen seinen, durchschliefen und nicht mehr nonstop an Mama oder Papa klebten, und überhaupt wieder Raum dagewesen sei, sich miteinander als Paar zu beschäftigen.

Ich höre den Podcast meiner Freundin sehr gerne, weil ich es spannend finde, wie vielfältig Beziehungen sind und wie unterschiedlich die Momente, in denen die Partner rückblickend erzählen, dass sie einander verloren haben. Vielleicht kann ich mir diese Podcasts nur anhören, weil ich in meiner eigenen Beziehung so sicher bin. Wir sind seit einem Jahrzehnt zusammen, haben tolle Reisen miteinander unternommen und sind vor eineinhalb Jahren Eltern geworden.

Als ich den Mittvierziger erzählen höre, liege ich gerade in der Badewanne. Ich habe mich mal für einen kurzen Moment verkrochen, mein Mann macht Kinderdienst. Denn wir haben getan, was viele andere auch tun, die kleine Kinder haben – und wovon der Mittvierziger sagte, dass man keine Energie haben wird: Wir sind umgezogen. Mit einem Kleinkind. Haben 90 Quadratmeter Stadtloft in Kisten verpackt, in vielen Nacht- und Frühschichten und 30-Minuten-Einheiten, weil Max uns nicht länger Zeit gelassen hat.

Ich habe eine Kiste gepackt und er währenddessen das Bücherregal ausgeräumt. Ich habe eine weitere Kiste ein- und er zwei andere ausgepackt. Gefühlt habe ich mich wie Sisyphos. Am Schluss habe ich meist einfach am Boden gesessen und mit Max gespielt, während meine Eltern in Akkordarbeit Bücher,  DVDs, Bettwäsche und Geschirr zusammenpackten. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft, fürchte ich.

Als wir das letzte Mal umgezogen sind, hatten wir bis Weihnachten fast alle Kartons ausgepackt und die Großfamilie zum Weihnachtsbrunch eingeladen. In diesem Jahr schaffen wir in der gleichen Zeit gerade einmal das Nötigste: Das Geschirr, einige Kleider, die Bücherkisten im Wohnzimmer, die uns den Weg versperren. Der Rest: muss warten.

Zu Weihnachten sind wir vor allem eins: ausgebrannt. Sitzen auf dem Sofa, der Fernseher tut’s noch nicht, und haben Lichterketten um die Kartons geschlungen. Daran, Besuch einzuladen, war nicht zu denken. Wir sind froh, dass wir in den vielen Kisten die Weihnachtsgeschenke und die Christbaumkugeln wiedergefunden haben – denn ein Baum muss trotzdem sein, sagte mein Mann, und schleppte am Tag vor Weihnachten eine kleine buschige Tanne ins Haus.

Spricht man mit anderen Eltern, erzählen sie einem etwas beschämt, dass sie auch fünf oder zehn Jahre nach einem Umzug immer noch unausgepackte Kartons im Keller haben. Den Inhalt haben sie entweder nicht vermisst oder nachgekauft, weil sie die Sachen nicht wiedergefunden haben. Seit die Kinder da sind, erzählen sie, war halt immer irgendwas wichtiger.

Ich ziehe gerne um. Umzüge haben für mich etwas Kathartisches. Ich mag Abschiede und ich mag Neuanfänge, vielleicht weil ich bis zu meinem 18. Geburtstag immer am gleichen Ort gewohnt habe. Die Kinder in meinen Büchern, Liedern und Lieblingsserien zogen oft um, ich stellte es mir als großes Abenteuer vor. Ich träumte davon, meinen Besitz in Kisten und Kästen zu packen und dabei hinter den Schränken und Regalen all die Puzzleteile, Kassetten, Playmobilfigürchen und andere Kostbarkeiten zu entdecken, die ich schon so lange vermisst hatte. Meine Sachen an einem neuen Ort anders anzuordnen, ein neues Haus zu entdecken und im Garten unter unbekannte Hecken zu kriechen, erschien mir unwiderstehlich.

Ich habe mal nachgezählt: Seit meinem Studienbeginn bin ich zehn Mal umgezogen, ich habe die sesshaften 18 Jahre meines Lebens also mehr als wettgemacht. Ich habe diese Zäsuren immer für einen Neuanfang genutzt, beim Ein- als auch beim Auspacken kräftig ausgemistet und viele Stunden damit verbracht, die perfekten Möbel für das neue Surrounding zu finden. Doch diesmal war es anders.

Wir hatten eigentlich nicht vor, aus unserer Stadtwohnung noch einmal auszuziehen, und wie der Mittvierziger es prophezeit hatte, hatten wir eigentlich auch keine Kraft dazu. Kurze Nächte, lange Tage, ein quengelndes Kind, das beachtet werden möchte und dazu sogar die Kistenberge zu erklimmen versucht. Das unruhig wird, weil sein Zuhause Stück für Stück in Kisten verschwindet und die Wohnung jeden Tag, wenn es aus der Kita kommt, anders aussieht.

Etwas Reinigendes hatte unser Umzug diesmal nicht, wir schmissen die Sachen einfach in die Kisten, ohne groß auszusortieren. Diesmal war nicht das Umziehen das Unwiderstehliche – sondern die Aussicht auf unser neues Zuhause: ein Haus im Grünen, auf drei Etagen, mit einem kleinen Garten und Apfelbäumen rings herum.

Auch unsere Möbel zeigen, dass wir nicht so bald wieder an einen Umzug gedacht hatten. „Ihr Schrank ist für die Ewigkeit gebaut – aber ne ganz schöne Bitch“, sagen die Möbelbauer, nachdem sie über Stunden nur damit beschäftigt sind, ihn auseinanderzubauen. Auch unsere Lampen, unser Bett, unsere Regale und unser Esstisch sind wuchtig, schwer und eher für Sesshafte.

Wir haben es trotzdem geschafft, aber das war jetzt erst mal mein letzter Umzug, hoffe ich. Wir hatten Kind und Hund am Umzugstag bei meinen Schwiegereltern untergebracht – und bis zum Schluss war nicht sicher, ob wir Max noch vor dem Schlafengehen würden holen können. Es wurde schon dunkel, als unsere Umzugshelfer unser Bett noch schnell über den Balkon in den ersten Stock wuchteten. Doch wir schlafen inzwischen ganz wunderbar darin und wenn wir morgens die Vorhänge aufziehen, fühlen wir uns wie im Urlaub. Bis wir im Badezimmer über Kartons stolpern …

Neulich rief mich eine Freundin an, die im September umgezogen ist, wann sie mal unser Haus anschauen könnte. Ob wir schon alle Kartons ausgepackt hätten?, fragte sie. „Was denkt die denn“, wollte ich schon sagen, als sie schon weitersprach: „Wahrscheinlich eine blöde Frage, oder? Ich weiß, ein Umzug mit Kind dauert gefühlt Monate.“ Recht hat sie.