Wer in der Düsseldorfer Gaststätte „Uerige“ nicht zum Zecher wird, verpasst mehr als 150 Jahre Bierkultur. Rundgang durch eine der erstaunlichsten Hausbrauereien der Welt.
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Video: Der Weg zum Altbier im Uerige / von Daniel Blum und Uwe Ebbinghaus
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Was an Michael Schnitzler, dem siebten Baas des Uerige, einer der letzten vier verbliebenen Altbier-Hausbrauereien in Düsseldorf, sofort auffällt: Egal, mit welchem Argument man eines seiner Produkte kritisiert, die inzwischen vom Bier über den Whisky bis zum Solei reichen – er kennt den Einwand schon, reagiert aber keinesfalls gereizt. Beispiel: Warum enthält die seit 2011 angebotene Fassbrause Süßstoff und nicht, wie man es von den Qualitätsfanatikern der Uerige-Brauerei erwarten könnte, irgendein natürliches Süßungsmittel? Schnitzlers Begründung: Die Variante mit dem Süßstoff habe bei den Testläufen einfach mit Abstand am besten geschmeckt – und er bezweifelt, ob Rohrohrzucker seinen Kunden in der Fassbrause lieber wäre. Das ist typisch für Schnitzler: Sein Anspruch an den Geschmack eines Produkts ist am Ende wichtiger als unbegründete Reinheits-Romantizismen.
Wahrscheinlich gehört es zu den aufreibendsten Jobs überhaupt, einem Unternehmen vorzustehen, das mutmachende alkoholische Getränke verkauft und mit dem sich viele Stammgäste zugleich in einer Weise identifizieren, als ginge es um das eigene Wohnzimmer. Hinzu kommt, dass der Schauplatz Düsseldorf heißt, eine Stadt, in der die Frotzelei gewissermaßen zu Hause ist. Nicht umsonst wird Michael Schnitzler, der uns an einem leicht regnerischen Tag unter großen Marktschirmen auf der Außenterrasse des Uerige empfängt, von zwei Telefonen umringt, die regelmäßig klingeln oder aus Informationsbeschaffungsgründen in die Hand genommen werden.

Dabei jammern die Kunden des Uerige auf allerhöchstem Niveau. Denn das hausgebraute Alt gilt unter Kennern längst als Sortenklassiker, Brauer aus der ganzen Welt kommen in die Berger Straße, um hinter das Geheimnis der Rezeptur zu gelangen. Und dennoch ist es von den Düsseldorfer Stammkunden gar nicht so unklug, den Laden auch mal mit nur halb-gerechtfertigter Kritik auf Trapp zu halten: Die sollen sich ruhig anstrengen beim Uerige, lautet wohl die Devise, damit das Bier so bleibt, wie es im Jahr 1862 erfunden wurde.
In Sachen Qualitätssicherung kommt nun der Mann ins Spiel, der neben Michael Schnitzler am Tisch sitzt: Christoph Tenge, promovierter Brauwissenschaftler, alter Bekannter Schnitzlers aus Weihenstephaner Studientagen, früher eine Zeitlang Erster Braumeister bei Löwenbräu in München, seit 2014 technischer Leiter des Uerige. Er hat die Qualitätssicherung im Haus derart verfeinert, dass er nun von seinen vielen Messergebnissen geradezu getrieben wird, wie er verschmitzt feststellt.
Dabei kann man sich die Arbeit am Bier kaum schwerer machen, als es in der kleinen Düsseldorfer Hausbrauerei mit ihrer ausgetüftelten Raumaufteilung ohnehin geschieht. Schnitzler und Tenge führen uns jetzt durch das Uerige-Labyrinth, das aufgeschnitten etwa so aussieht:

Wir beginnen unseren Rundgang im Sudhaus, das sich in der Skizze ziemlich genau in der Mitte des Gebäudekomplexes befindet. Die beiden pittoresken Kupferkessel aus den Sechzigern sind innen mit Edelstahl ausgekleidet und bringen es bei einer Würzetemperatur von 102 Grad Celsius auf eine Raumtemperatur von etwa 40 Grad. Kurz: Man schwitzt im Sudhaus, wo das Malz mit Wasser verdünnt, dann gekocht und mit Hopfen verfeinert wird (Details im Video) und freut sich auf das Kühlschiff unterm Dach, in dem die Würze während eines uralten natürlichen Prozesses von 100 Grad Celsius auf etwas über 50 abgekühlt wird.
Den gehopften Getreidesaft in die riesige Kupferwanne einlaufen zu sehen, ist ein Erlebnis für alle Sinne. Schnell bilden sich über der gleichmäßigen Fließbewegung warme Nebelschwaden und ein Duft breitet sich aus, der leicht nach Fuselöl riecht und gar nicht so angenehm ist. Experten schwören auf dieses fast schon ausgestorbene Verfahren, weil bei ihm viele Stoffe “ausgefällt” werden, die vor dem Abfließen in Wanne und Luft zurückbleiben.

Bevor wir nun in den lilafarben erleuchteten Gärkeller mit seinen 20 Grad Celsius hinabsteigen, wo die Hefe ihre Arbeit verrichtet und das CO2 trotz guter Belüftung das Hirn benebelt, machen wir einen Zwischenstopp im Hopfenlager des Uerige, einem Raum, der so klein ist, dass Christoph Tenge, wie man im Video sieht, kaum aufrecht darin stehen kann. Die Temperatur beträgt hier aus Aromagründen nur ein Grad Celsius – und trotzdem ärgert sich Christoph Tenge über einen deutlich wahrnehmbaren Hopfen-Geruch in der Luft, der dem Bier, so seine perfektionistische Überlegung, als Geschmack später abgeht.
Jetzt fehlt noch der Lagerkeller mit seinen Edelstahlfässern, Temperatur: zwei Grad Celsius. Michael Schnitzler sagt, er finde, dass die jüngste “Sticke” – so heißt die Bockvariante seines Altbiers (6%) – auf ungewöhnlich gute Weise das Hopfenaroma wiedergebe, welches eben noch im Lager einzuatmen war. Er lässt einige Gläser füllen, nötigt zum sofortigen Trinken, und gerade wollen wir uns für die verzögerte Geschmacksbewertung entschuldigen, weil wir im Mund nur Schaum spüren, da breitet sich plötzlich ein Aroma auf der Zunge aus, das einfach nur erstaunlich ist: Hopfen in zusammenfallender Schaumform, sehr klar und köstlich. Schnitzler lächelt zufrieden.
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Zur Gaststätte gelangen wir in der Hausbrauerei nun so leicht wie vom heimischen Keller ins Wohnzimmer. Wobei: Wenn man die Gasträume zum ersten Mal betritt, stellen sich sofort unzählige Fragen, und der Ethnologe in einem erwacht. Was zum Beispiel hat der Mann zu bedeuten, der an einer Stange hängend wie ein Wetterhahn das Dach und sämtliche Bierdeckel ziert? (Es ist Rudolf Arnold, der Uerige-Baas von 1937 bis 1976, der den Gästen zuprostet.) Was heißt eigentlich Uerige? (Das Wort stammt aus der Düsseldorfer Mundart und heißt so viel wie „schlecht gelaunt“ – eine Eigenschaft, die sowohl dem Brauerei-Gründer, Wilhelm Cürten, als auch seinem späteren Nachfolger, dem bereits erwähnten Rudolf Arnold nachgesagt wird.)

Warum heißt Alt eigentlich “Alt”? (Weil es nach „alter“, obergäriger Brauweise hergestellt wird, also mit einer Hefe, die auf höhere Temperaturen reagiert als das untergärige Bier, welches seine Erfolgsgeschichte erst mit der modernen Kühltechnik antrat.) Warum benehmen sich die blau gekleideten Köbesse so stolz, als ob sie es gar nicht nötig hätten, Bier unter die Kundschaft zu bringen? (Das ist eine Frage, die im Grunde einen eigenen Essay verdient hätte. Hier nur so viel: Kriecherei, das steckt wohl dahinter, würde die Würde des ausgeschenkten Grundnahrungsmittels untergraben.) Warum hängt zwischen Tresen und Eingangstür der historischen Stube eine Fotografie, die wie ein echter Gursky aussieht? (Es ist ein echter Gursky. Der weltbekannte Fotograf ist Stammgast im Uerige und hat die Aufnahme, die genau jene Eingangsfront zeigt, an der sie hängt, als Student geknipst.)
Jetzt endlich ist es Zeit für ein frisch gezapftes Alt, und das Gefühl, das dieses dunkel-bernsteinfarbene Getränk hervorruft, ist fast jedes mal dasselbe: die typische Düsseldorfer Glasstange geht zum Mund, man nimmt einen kräftigen Schluck – und es ist ein bisschen wie eine kalte Dusche an einem heißen Tag. Den knackigen, herb-eleganten Geschmack, der eigentlich aus mindestens einem Dutzend Geschmäckern besteht, spürt man bis in die Haarwurzeln. Und selbst wenn einem der leicht harzige, belebende Geschmack zunächst ein wenig fremd erscheinen sollte – nach dem ersten Glas hört man alleine aus Neugierde nicht auf.

Es ist schwer, im Uerige nicht zum Zecher zu werden. Und eines kann man hier wie sonst fast nirgends lernen: Die vielbeschworene “Drinkability”, die Fähigkeit eines Biers, zum Weitertrinken zu animieren, hängt viel stärker vom Hopfen ab, als die meisten wahrhaben wollen.
Und dann ist da noch die Geschichte...
…aus Anfang der 1980er Jahre: Eine fast 80-jährige Dame kehrte nach ihrem Theaterbesuch ins Uerige ein. Pfeiferauchend (!) gab die ältere Frau beim Köbes ihre Bestellung auf: “Junger Mann, ich hätte gerne eine Gulaschsuppe, einen Korn und ein Selters”. Weder ihre Begleitung noch der Köbes wollten sie aus gutem Grund auf die damals im Uerige nicht vorhandene Speise und ebenso Getränk aufmerksam machen.
Keine zwei Minuten später stellte der Köbes der resoluten Dame ein frisch gezapftes Uerige mit den Worten hin: “So, Mädchen, hier ist alles drin”.
Kilepitsch
Weil eben in Uerige kein Schnaps gab, mußte man über die Straße zum Kileptsch gehen, um Schnaps zu trinken. Der künstler Evalt Mataré war dort Stamgast.
Alt ist auch ein Lebenselixier
Als Düsseldorfer in der Fremde verteidigt man “sein” Alt bis auf´s Blut.
Mein Favorit ist Schumacher aus dem Haupthaus Oststraße. Als Stamm-
gast war es immer schwer, den Scheidebecher zu nehmen. Wenn ich nun
da bin, ist immer “Open End” und die Schwemme-Kellner (Siggi…) ver-
sorgen mich stets gut.
Wenn es mal kein Alt sein soll
Kann ich nur die kleine Dortmunder Brauerei Bergmann empfehlen, die vor einigen Jahren die alte Marke “DBB” hat wiederaufleben lassen. Pils, Export, Spezial und noch einige Sondersorten stellen sie mittlerweile her. Mit ihrem “Kiosk” am Dortmunder Wall, wo man sein frisch gezapftes mit anderen draußen unter dem Vordach genießen kann, ist sie originell – und das Bier schmeckt auch noch gut. Das Motto (ganz in Ruhrgebietstradition): Harte Arbeit, ehrlicher Lohn.
https://harte-arbeit-ehrlicher-lohn.de/
Profi-Alt-Trinker
Wir wohnen im Bermudadreieck zwischen Krefeld, Mönchengladbach und Düsseldorf. Einfach genial um die gesamte Bandbreite des niederrheinischen Altbieres zu genießen. In Düsseldorf ist das Füchschen immer ein Muss.! Aber auch die anderen vier beschriebenen Düsseldorfer Biere haben ihre Qualität. Das Uerige ist halt speziell. Im Raum Mönchengladbach hat sich BOLTEN fast ein Monopol geschaffen. Das spezielle Bolten-Uralt ist so süffig, es fehlt bei uns auf keiner Grillparty. Im Raum Krefeld ist Diebels sehr verbreitet und die ehemalige Rhennania-Brauerei heißt jetzt Brauerei Königshof und produziert auch ein leckeres Gesöff. Kölsch und Pils geht aber auch. Wir sind offen für alles…. 🙂 Prost.
Dann sollten Sie vielleicht einmal
das Schumacher in D’Dorf besuchen. Die haben nicht nur ein erstklassiges Alt – probieren Sie mal die Bratkartoffeln….
Schumacher...
… verdammt gutes Bier 🙂
Informativ und wohltuend
Wohltuend: Ein schönes Beispiel wie man im Internet Meinungen austauschen kan. Eben Bierliebhaber.
Informativ: Eine ausgewogene und interessante Berichterstattung! Danke. Eben FAZ.
Das möge hier noch erwähnt sein:
Wir hier in Franken haben auch viele tolle Hausbrauereien – ein weiteres “Paradies” für Bierliebhaber. Unter den Düsseldorfer Hausbrauereien, die alle (!) sehr gutes Bier brauen, bevorzugen wir auch den “Uerige”.
Was sind Ihre Favoriten in Franken?
Hier eine kleine Auswahl meiner Favouriten:
https://www.faessla.de/
https://www.brauerei-spezial.de/
https://www.braugasthoefe.de/gasthoefe/brauerei-keesmann/
https://www.huppendorfer-bier.de/
https://www.elchbraeu.de/
https://www.hausbrauerei-altstadthof.de/
https://steinbach-braeu.de/
Jetzt viel Spaß beim Ausprobieren!
Titel eingeben
Das Uerige ist mit Abstand das bitterste Alt und damit bestens dafür geeignet, “Haare auf der Brust” wachsen zu lassen 😀
Sicher nicht jedermanns Sache, aber schmeckt am besten allen Fans von herbem Gebräu frisch aus dem Fass. Vor allem draußen auf der Straße vor der Brauerei. Dort ist immer was los und mit entsprechendem Ambiente schmeckt alles nochmal so gut.
Schöner Bericht. Der Trend zu kleinen Hausbrauereien geht auch an Düsseldorf nicht vorbei. Neben den Traditions-Hausbrauern Uerige, Schumacher, Schlüssel und Füchschen gibt es seit wenigen Jahren mit dem Kürzer Alt die fünfte Hausbrauerei in der Stadt.
Muss man erlebt haben
Was soll man ihren Ausführungen noch dazu fügen? Mir hat immer imponiert, dass ein Fass immer eine kurze Halbwertszeit hat und man deshalb immer frischestes Bier gezapft bekommt. Für uns war “Zum Uerige” ein Muss in Düsseldorf, wobei die anderen von ihnen aufgeführten Hausbrauereien auch nicht zu unterschätzen sind. Herzliche Grüsse – jetzt aus Südbaden.
Mehr als man glaubt
meine Lieblingsbrauerei in Düsseldorf ist Johs Albrecht in Niederkassel, dort gibt es ungefiltertes Altbier, sowas ist selten.
Ergänzung
Das Gulasch Alt, welches seit 2012 in Oberkassel gebraut wird, darf man nicht vergessen. Sehr köstlich!
Haare auf der Brust...
… völlig richtig, nach ausgiebigem Genuß kann man sich immer noch epilieren. Das muß es einem wert sein, man ist ja nicht zum Spaß beim Alt trinken.
Schu(h)macher...
immer ohne “h”