Das Königreich des Biers heißt Franken und wird von Bamberg aus regiert. Der Nachteil für Antialkoholiker und Weintrinker: Jeder Einwohner muss im Jahr 280 Liter Rauchbier konsumieren.
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In der Stadt, die ich seit 1996 bewohne, fließt das Bier in Strömen. Sie ergießen sich seit Jahrhunderten aus den Zapfhähnen von neun Privatbrauereien. Bisweilen kann man’s auch fest genießen, es gibt Biereis. Mälzereien sorgen bei Wetterumschwung für ein duftintensives Stadterlebnis. Man schweift umher, und alles ist in Malz getaucht: das Spiel der Symphoniker, die Betrachtung der modernen Kunst am Ort. Malz hält sich in den Sinnen und im Gedächtnis. Bucht man eine Besichtigung der Brooklyn Brewery bei New York City, so liegen dort die Säcke der Bamberger Mälzerei Weyermann. Und so ist die Welt wieder etwas kleiner, passt fast auf den Boden eines Kruges, in meiner Stadt „Seidla“ genannt.
Bierkennern fällt beim Wort Bamberg sofort das Rauchbier ein, das unter Verwendung geräucherten Malzes entsteht und vorgaukelt, man würde ein Stück Schinken in flüssiger Form genießen. Es ist ein dunkles Bier bei „Schlenkerla“ und „Spezial“, einige Tupfen heller als Guiness, und wird „auf dem Keller“ genossen. Wo man „nai die Bosch“ (in das Bosch-Werk) zum Arbeiten und „nauf die Keller“ zum Entspannen geht, da liegt Bamberg sprachtopographisch in den fränkischen, präziser: den hochfränkischen Raum eingepasst.
Die Keller sind die Biergärten, die im wahrsten Sinne über den Lagerstätten der Brauereien alter Zeit eröffnet wurden und im Sommer Einheimische wie Touristen hinanlocken, sogar noch über die Erhebung des Dombergs hinaus. Gut 280 Liter Bier im Jahr werden den rund 72.000 Kehlen der Stadt per capita zugesprochen.
Das Trinken von Bambergs Bieren ist eine so herrliche Angelegenheit, dass man mit einem Bierfahrrad, einem Bierdiplom, einer Bierdegustation und verschiedenen Biermenüs seinen Aufenthalt abrunden, aufrunden oder auch einfach nur sich selbst „runden“ kann. Seit gut sechs Jahren führe ich regelmäßig die neuen Stipendiaten des Künstlerhauses Concordia auf Einladung des Freistaates durch den Ort und erzähle davon, wie man hier auch zur Fastenzeit Bier trinken darf, weil es zur Stärkung beiträgt und die Menschen bei Laune hält. Das leuchtet fast allen ein, und mutig probieren Portugiesen, Isländer, Schweizer, Russen, Spanier, Norweger (die besonders gerne!) und derzeit Italiener das süffige Rauchbier. Gerne wird es zum fränkischen Bratenteller mit „Glees“ (Klößen) gereicht. Und nur Frauen, die ordentliche Exemplare herstellen können, werden geehelicht, so wie bei den Männern die Seidla-Konsum-Menge entscheidend ist für das weitere Fortkommen.
Strahlend die Gesichter derer, die sich mit Wonne ein Seidla bestellen und es genießen wie eben nur Kenner den giftigen Kugelfisch der Japaner, die Tausendjährigen Eier der Chinesen, den Buttertee der Tibeter. Der Genuss des Getränkes verbindet die Generationen in meiner Stadt. Schon als Schüler wächst man in die Tradition des Bierstaates Bamberg hinein, wenn am letzten Augustwochenende die Zapfhähne ihr Krähen nicht mehr lassen wollen und Tausende Besucher die Stadt für die Sandkerwa fluten – eine Variation der Kirchweih im Sandgebiet der Stadt. Auf den Schaumkronen der Biere wogt dann die Masse dahin. Allein ich sitze stets mit „weißer Limo“ da, weil noch kein Tropfen Gerstensaft jemals in meine Kehle kam. Wie dies geschehen kann? Zur Antwort schenk ich hier das „Bamberger Lächeln“ und lass meinem Nächsten die Freude an den statistisch mir zugedachten 280 Litern.