Reinheitsgebot

Reinheitsgebot

Das Blog zum Bier

Die Entdeckung der Bierlücke

Weizenbier riecht nach Gewürznelke, sagen Kenner. Das kann aber nicht sein, weist Max-Planck-Forscher Thomas Vilgis nach – und erklärt im Interview, wie sich das Bieraroma zusammensetzt.

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Wie definiert ein Chemiker Bier?

Bier ist insofern ein spannendes Gebräu, als es auf vier klaren Säulen ruht. Mit Hopfen, Malz und Hefe spielt man auf der Klaviatur der Geschmacksnerven, die Urbasis ist das Wasser, das ebenfalls einen gewissen Einfluss aufs Aroma hat. Ich muss aber zugeben, dass ich kein Chemiker bin, sondern Physiker.

Wie kommt es, dass Sie sich in Ihrem neuen Buch, „Beerpairing“, in dem es um die Kombination von Bier und Speisen geht, hauptsächlich auf chemischer Grundlage mit dem Bier auseinandersetzen?

Geschmacks- und Geruchsstoffe sind chemischen Ursprungs, sie sind Teil der Naturstoffchemie. Für die Wahrnehmung dieser Stoffe ist aber auch die physikalische Umgebung entscheidend. Ganz grob gesagt: Alles, was wir schmecken, ist wasserlöslich, alles, was wir riechen, ist hochgradig nicht oder nur sehr schwach wasserlöslich. Sensorik wird gesteuert durch elementare physikalisch-chemische Eigenschaften. Vor einiger Zeit habe ich das Buch „Aroma“ geschrieben, für das ich sehr tief in die Welt der Geruchsstoffe einsteigen musste, die mich immer fasziniert hat.

Was halten Sie vom Reinheitsgebot?

© Fona VerlagThomas A. Vilgis

Ich bin weder Befürworter noch Gegner des Reinheitsgebots. Wenn man sich aus dem Reinheitsgebot verabschiedet, so wie viele Craft-Beer-Brauer, dann hat man natürlich eine Reihe von Möglichkeiten mehr, für die man sich sonst sehr anstrengen muss – mit Fasslagerung, der Kombination verschiedener Malze, Hopfen und so weiter.

Als Naturwissenschaftler interessiert einen das Reinheitsgebot wenig in der heutigen Zeit, vor 500 Jahren hatte es ja noch einen anderen Zweck. Für mich wäre es jetzt kein Problem, einen bestimmten Geschmack durch entsprechende Stoffe zu verstärken, zum Beispiel den harzigen Geschmack einiger Biere durch Beigabe von Fichtennadeln oder Baumharz. Aus meiner naiven naturwissenschaftlichen Sicht gibt es viele Möglichkeiten. Und so sehen es ja auch viele Craft-Beer-Brauer, die mit allen möglichen wilden Zutaten experimentieren – einige haben wir auch im Buch aufgegriffen. In einem Vortrag vor Biersommeliers habe ich neulich einmal gesagt: Eigentlich ist das Reinheitsgebot ein Aromen- und Geschmacksverhinderer. Und man muss ja auch sagen: Die Biere, die man in Deutschland vor zwanzig Jahren fast ausschließlich gebraut hat, waren schon eine relativ eintönige Geschichte.

In Ihrem Buch erwähnen Sie physikalisch-chemische Tricks, mit denen man das an sich uneffektive Kalthopfen oder Hopfenstopfen (die Hopfenzugabe im Lagertank) effektiver gestalten könnte. Sie nennen als Beispiel die „Aromaextraktion über Ultraschall“ – wird die schon angewendet?

In Italien wird mit Gravitation durch Verwirbelung experimentiert, das weiß ich. Das Ziel dabei ist, die Hopfenzellen besser aufzubrechen, denn an die Hopfenöle kommt man ohne dies nur schwer heran. Ultraschall erzeugt den gleichen Effekt wie die Verwirbelung. Durch Ultraschallwellen werden Gasbläschen (Kavitäten) angeregt, die dann mit relativ großem Druck platzen, dadurch brechen die Pflanzenzellen im Hopfen auf und die ätherischen Öle werden freigesetzt. Beim normalen Kalthopfen wird ja meist Doldenhopfen verwendet. Wie soll der aber ohne weiteres in einem wasserreichen Milieu viel von seinem Aroma abgeben? Wenn die Natur das so eingerichtet hätte, müsste eigentlich jeder Regenguss die Aromen ausspülen. Eine Beschallung hingegen könnte eine Reihe von Aromen lösen, die sonst beim Kalthopfen nicht freigegeben werden. Das ist im großtechnischen Maßstab allerdings nicht billig.

© Fona-VerlagAbbildung aus “Beerpairing”: Kirschknödel mit Haselnussblättersauce und Kirschbier

Man könnte also mit diesen mechanischen Hilfsmitteln beim Bier noch in andere Aromendimensionen gelangen?

Ja, die Aromatik könnte noch deutlich verbessert werden.

Was halten Sie von dem bei Bierpuristen verpönten Klärungsmittel PVPP, das die Trübstoffe im Bier bindet? Gibt es keine elegantere, natürliche Alternative?

Das ist ein Universalklärstoff, man könnte auch Gelatine oder Tonmaterialien einsetzen, das ist immer Geschmacksache. PVPP ist leicht zu produzieren, ist rückstandsfrei herauszufiltern, insofern ist das schon eine relativ elegante Lösung.

Was ist die Grundlage der Aromaanalyse in Ihrem neuen Buch? Sie schreiben, eigentlich spielten nur 300 Geruchsstoffe eine Rolle beim Bier.

Nicht nur beim Bier, auch generell. Wichtig ist immer: Was gelangt überhaupt in unsere Nase? Wie geruchsaktiv sind die Aromen, mit denen wir es zu tun haben? Das wiederum hängt stark von der Umgebung ab. Ein Beispiel: Rosenwasser. Die Extrakte und ätherischen Ölen der Rosenblüte duften im Wasser sehr stark. Wenn Sie die gleichen Aromastoffe in geruchsneutrales Öl geben, würden Sie wenig riechen. Der Grund – im Öl sind sie gut löslich, da haben sie keine Veranlassung, aus dem Öl heraus in Ihre Nase zu gelangen. Wasser hingegen mögen diese Aromastoffe nicht und setzen sich daher an der Luft-Wasser-Grenzfläche ab, sie werden frei. Beim Bier lösen sich die Aromastoffe vor allem durch den Alkohol, weniger durch das vorherrschende Wasser. Deswegen ist die Geruchsaktivität der jeweiligen Stoffe sehr wichtig – wie flüchtig sind die entsprechenden Moleküle und bei welcher Temperatur werden sie es? Im Grunde kann man sich auf die Analyse von ein paar aromaaktiven Molekülen beschränken. Mit um die zehn Aromastoffen kommen Sie schon relativ gut an den Originalduft heran.

© Fona VerlagDiese Abbildung zeigt, dass sich die Geruchsfamilien, welche Hefe, Hopfen und Malz besetzen, im Zusammenspiel ein fast lückenloses Bild ergeben.

Sie haben acht Geruchsfamilien gebildet. Wie kamen Sie auf diese?

Die habe ich schon in meinem Aromabuch über Gewürze entwickelt. Zunächst haben wir die grünen Gerüche, die man von der gemähten Wiese her kennt oder dem Stielansatz der Tomate, sie zeichnen sich durch eine wachsige Fettigkeit aus. Und tatsächlich beruhen sie auf Fetten, die Pflanzen erzeugen. Die zweite Familie wird durch einen Geruch von Schwefel geprägt, man kann an Kohl denken, einen Geruch von Katzenurin, der im Wein, in abgeschwächter Form, als Johannisbeeraroma geschätzt ist. Dann kommen die Blütendüfte, Gerüche von Geranie oder Rose. Es folgen die Zitrusdüfte, die auch bei vielen Hopfensorten eine Rolle spielen, außerdem die kräuterigen Geruchssttoffe: Oregano, Rosmarin, die harzig riechenden Terpene, die im Hopfen vorkommen. In einer Familie zusammenfassen kann man auch die schweren harzigen Duftstoffe und ebenfalls die sehr aromatischen, benzolartigen Geruchsstoffe, die Aromaten.

Weiter unten in meinem Schema befinden sich noch die Aromen, die durch die Röstung vom Malz entstehen. Und genau oberhalb gibt es eben die Bierlücke. Übliche Biere besetzen sämtliche Geruchsfamilien, bis auf die der stark würzigen, schweren Dufstoffe, wie wir sie von der Gewürznelke, der Petersilie oder der Muskatnuss her kennen. Diese Gerüche können Sie weder über das Malz noch über die Hefe und schon gar nicht über den Hopfen ins Spiel bringen. Die einzige Chance ist, das Bier ins Barrique, ins kleine Holzfass, zu legen oder mit Rauchmalz zu arbeiten. Ich wusste von dieser Lücke vor dem Schreiben des Buchs nichts, ich habe davon auch nirgends sonst gelesen.

© Fona VerlagAromaschema von Thomas A. Vilgis, das zur Einteilung von Gewürzen entwickelt wurde, aber auch auf Bier übertragbar ist.

Man hört ja immer wieder, jedes Weizenbier sei geruchlich entweder mehr auf der Bananen- oder mehr auf der Gewürznelken-Seite. Jetzt sagen Sie: Weizenbier riecht gar nicht nach Gewürznelke.

Ja, es gibt sehr aromatische Stoffe wie 4-Vinylguaiacol oder 4-Vinylphenol, die man zum Beispiel über Rauchspeck mit der Gewürznelke assoziiert, diese Stoffe aber finden sich in der Gewürznelke kaum. Dort ist vor allem das Eugenol geruchsbestimmend. Für das Bierpairing ist dieses Phänomen eigentlich gut, weil man mit dem Essen und Gewürzen in die Bierlücke hineinspringen kann.

Um das festzuhalten: Weizenbier kann nicht nach Gewürznelke riechen?

So ist es. Es riecht eher in Richtung von aromatischen Speck- oder Rauchschinken, wachholderartig. Wenn ich Ihnen ein Fläschchen mit Eugenol, dem typischen Gewürznelkenduft, zum Riechen gäbe, würden Sie den Unterschied gleich feststellen.

© Fona VerlagDas Weizenbier weist Aromalücken in der zweiten und vierten Geruchsfamilie auf, die bei anderen Bieren durchaus besetzt sind. Das Gewürznelken-Aroma der vorletzten Kategorie fehlt aber bei fast allen Weizen- und Gerstensäften.

Bis auf die Lücke zeigt sich in ihrer aromatischen Darstellung des Biers ein recht komplettes Geschmacksbild. Ist breiter Geschmack gleich angenehmer Geschmack? 

Nicht unbedingt, ich würde es eher mit „vollmundig“ oder „rund“ beschreiben. Beim Weizenbier zum Beispiel fehlt aromatisch ziemlich viel, vor allem die Hopfenkomponenten, aber Sie haben diese wundervollen Fruchtaromen und eine leichte Malzigkeit. Das ist ein geniales Bier, mit dem man bestimmte Aromagruppen auf dem Teller gut betonen kann. Außerdem können Sie mit dem Essen in viele Lücken hineinspringen, Weizenbier lässt ihnen viel Freiraum. Bei einem Rauchbier ist zwar aromatisch alles drin, es ist runder, es ist aber kein Allrounder, den man zu jedem Essen reichen könnte.

Stimmt es, dass Bier mehr als doppelt so viele Aromen hat wie Wein?

Ob es doppelt so viele sind, weiß ich nicht. Im Vergleich zum Wein haben Sie beim Bier natürlich einen Einflussparameter mehr. Die Aromastoffe der Traube sind von denen des Hopfens gar nicht mal so verschieden, die Bitterstoffe der Traube befinden sich im Kern und der Schale. Der Rest beim Wein ist Hefe und Kellertechnik. Beim Bier haben Sie noch die Aromen des Malzes, die bis zu einem geringen Teil denen des Traubenzuckers entsprechen, aber vor allem durch das Darren, das Trocken, oder das Rösten des Malzes, kommen neue Komponenten hinzu.

Was bei den Rezepten Ihres Buchs überrascht, ist, wie häufig Bier dort als Gewürz für Saucen, Suppen und Cremes eingesetzt wird.

© dpaRezeptabbildung: Kopfsalat- und Karamellcremesuppe mit Haselnusscrumbles und Kilkenny

Ja, dieser Ansatz hat dem Koch Rolf Caviezel, mit dem ich das Buch geschrieben habe, großen Spaß gemacht. Es kommt dabei immer auf die richtige Dosierung an, und, wie beim Wein, auf den richtigen Zeitpunkt und die richtige Temperatur.

Welche Kombination hat Sie am meisten überrascht?

Wie gut Rauchbier einsetzbar ist, von der dunklen Sauce bis hin zum Dessert. Und auch das Porter war ein spannendes Kapitel.

Welchen Prinzipien sind Sie beim Foodpairing gefolgt – Ergänzung, Widerspruch, Geschmacksgleichheit?

Für mich spielt die Ergänzung eine große Rolle, man sollte aromatisch in die Lücken gehen, finde ich. Denn das Pairing selbst ist ja beim Bier eigentlich trivial gegeben. Die grün-wachsig-fettigen und fruchtigen Aromastoffe haben Sie fast überall drin, einfach bedingt durch die Pflanzen-Physiologie.

Beim Pils sollte man mit dem Teller, finde ich, eher in die blumigen Töne gehen, beim malzigen Bier sollte man die Süße abholen, dann aber eher in Gemüserichtungen gehen, die harzige Noten besitzen, wie etwa die Karotte. Und vor allem finde ich faszinierend, in diese Bierlücke vorzudringen. Seitdem ich davon weiß, arbeite ich viel mehr mit Gewürznelke, Tonka-Bohne und Muskatnuss.

Passt Bier besser zum Essen als Wein?

Ich persönlich finde Bier fast unproblematischer, weil die Bandbreite – mit Sauerbieren und Craft-Bieren – größer ist. Gerade auch die Röstnoten im Essen können sie durch Biere mit Röstmalz besonders gut abholen. Ich habe aber den Wein nicht aus dem Blick verloren, Bier und Wein stehen bei mir gleichwertig nebeneinander. Sehr spannend finde ich übrigens Bier und Käse, das passt oft besser als Wein und Käse.

 

Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus

 

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Prof. Dr. Thomas A. Vilgis ist Professor an der Universität Mainz und forscht am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz an Lebensmitteln. Zuletzt erschien von ihm “Aroma. Die Kunst des Würzens”. Thomas A. Vilgis ist Mitherausgeber des Journal Culinaire.

 

Thomas A. Vilgis, Rolf Caviezel: “Beerpairing”. Fona Verlag, Lenzburg 2017, 432 Seiten, 80 Foodfotos von Andreas Thumm, Hardcover, 69 Euro.