Mit leerer Tasche und kochendem Blut erregte er sich an der Berührung mit den Strichmädchen, die an den Strassenecken herumlungerten.
Guy de Maupassant, Bel-Ami
Vanity Fair wird eingestellt , und folgt damit ähnlichen Versuchen wie “Rich” und “Park Avenue” in das Vergessen nach. Bei allem Mitgefühl für die Mitarbeiter ist das – pardon – erfreulich. Zeigt es doch den anderen Dienern meiner Klasse, welches Schicksal ihnen droht, wenn sie ihre Berufung vergessen und denken, man würde ihnen, deren natürliches Schicksal der Verbleib in demütiger Haltung ist, ein Leben als Herren in Saus und Braus finanzieren. Wie für viele Magazine kann es auch für Vanity Fair keine andere Bestimmung geben, als uns angemessen zu unterhalten. Ich habe mir deren Dienstleistungen einmal angeschaut, und muss sagen: Solche Diener mit Herrenattitüden will man nicht haben. In Bayern sagen wir “Wia da Herr, so as G’scherr”, was in etwa bedeutet, vom Diener kann man auf die Herren – und umgekehrt – schließen. Hätten es die Macher dieser Magazine tatsächlich geschafft, in meinen Kreisen als Speichellecker akzeptiert zu werden, hätte es kein gutes Licht auf uns geworfen.
Natürlich hat sich der Gründungschefredakteur Ulf Poschardt schon zu Beginn außerhalb jeder gesellschaftlicher Norm gestellt, als er “Mover und Shaker” als Zielgruppe ausmachte. Hätte Poschardt sich in seiner Funktion als Diener statt dessen, vom gestohlenen Whiskey betrunken, auf dem Perserteppich übergeben – es wäre für den Ruf des Projekts in meinen Kreisen nicht schädlicher gewesen. Die Pleiten von Park Avenue und Vanity Fair sind also nicht der Wirtschaftskrise zuzuschreiben, denn wir könnten uns solche Magazine ohne Probleme und auch ohne Werbung leisten, wir könnten ihnen jederzeit die vier Dublonen zuwerfen, mit denen sich Don Giovanni die Gefolgschaft seines Leporello erkauft. Es ist vielmehr das grundsätzliche Versagen des Konzeptes, das den Namen der Redaktionssitze hat: Berlin, eine fade Stadt ohne Demut und den Willen, etwas zu leisten. Für den Anspruch, vermögenden, einflussreichen und gebildeten Menschen ein kluges Magazin anzudienen, gibt es jedoch keinen Ort westlich des Urals, der weniger geeignet als Berlin wäre.
Als ich 2004 nach Berlin ging, kam eine gute Bekannte aus München zu Besuch. Sie war zum ersten Mal in Berlin, dessen Bild in unserer Jugend von Mauer, Heinrich Lummer und anderen treffenden, aber wenig erbaulichen Bildern geprägt war. Wir fuhren am Potsdamer Platz vorbei, und das Beisheim Center war noch hässlicher als auf allen Bildern. Wir stauten uns in der Friedrichstrasse, und das Russen quartier 206 der Jagdfeld-Gruppe spuckte unförmige Touristen aus. Weiter vorne warf sich eine sehr dürre Frau, angetan in Schwarz mit goldenem Klimbim, in Eile vor den Wagen, und meiner Freundin entfuhr ein “Mein Gott!”. Ich betonte, dass ich rechtzeitig gebremst hätte, aber sie sagte: “Das war ja ein Mantel Dolce und Gabbana von vor vier Jahren ! Und das tragen die hier noch in der Öffentlichkeit?”
Vanity Fair und Park Avenue waren nichts anderes: Hässlicher und geschmackloser Klimbim mit grosser Attitüde, der nur in Berlin noch etwas gilt, wo man noch nicht erfahren hat, dass die Geschichte in der Zivilisation und ihrer Helfer weiter gegangen ist. Um Berlin herum ist eine mehrere hundert Kilometer breite Zone des Verfalls und des Niedergangs, die Berliner nur selten überwinden, und aus dieser Abgeschiedenheit heraus kann man sehr viele drittklassige Dienstleistungen erklären, die es nur hier gibt: Den angeblich für elitäre Menschen reservierten China Club im Hotel Adlon etwa, für den manche Leute wirklich bezahlen sollen. Die grottenschlechte deutsche Architectural Digest, deren Chefredakteurin rüpelhafte Titel wie “Think Big” oder “Let’s work” zulässt. Die weit verbreitete Kombination aus vopoesker Bedienung und schlechtem Essen, die immer noch DDR-Restaurants ahnen lässt, gerade in angesagten Lokalen. Ich wüsste nördlich des Balkans keine Stadt, in der ich Kakerlaken in der Küche eher erwarten würde.
Die Redaktionen aber überlegten erst gar nicht, was eine ihrem Stand angemessene Haltung und Aufgabe sein könnte, sondern definierten eine Zone zwischen Kanzleramt, Springerhochhaus und Bertelsmann-Stiftung. Was darin anzutreffen war, galt prinzipiell als vorbildlich und abdrucktauglich. Was einflog und halbwegs bekannt war, war ein Thema. Der kosmopolitische Ansatz war nicht mehr als eine durchzechte Nacht in Berlin, getragen von der Hoffnung, der Rest würde akzeptieren, dass dieses Berlin so schick wie New York ist. Die anderen. Die reichen Affen im Westen, die das Geld haben, um das Zeug zu kaufen, das in den Magazinen beworben wurde. Die Hinterwäldler, die froh sind, mal etwas Weltstadt zu erleben, wo die Frauen D&G tragen, vier Jahre alt, und mit dem Bürochef eines Hinterbänklers Essen gehen. Dazu die fertigsten Politiker der 70er, 80er und 90er Jahre, und danach nicht ganz so Prominente wie der halbnackte Sänger, die halbnackte Sängerin, der halbnackte Schauspieler, die halbnackte Schauspielerin von diesem Film da, der ganz toll ist, in drei Kinos in Berlin läuft und bei dem man noch nicht geklärt isz, ob man ihn auf DVD presst, aber sie geht vielleicht nach Hollywood und benutzt nur Kosmetik von […]
Man muss sich nur die letzte Pressemitteilung von Vanity Fair zur Berlinale vor Augen führen, und die dummdreiste Anwanzung an Leute, die offensichtlich kein Problem damit haben: Da gab es einen Klimbim-Auflauf mit Namen wie Mario Testino Dominic Raacke Julia Dietze Pepe Danquart Leander Haußmann Luca Gadjus Mario Barth Quirin Berg Max Wiedemann Christian Boros Klaus Biesenbach Ingrid Sischy Jeff Goldblum Paul Schrader Moritz Bleibtreu Juliane Köhler Joachim Król Jeunesse Dorée-Clique Maria Theresia Prinzessin von Thurn und Taxis Anna Prinzessin von Bayern Luziah Hennessy Johanna Oliver von Boch Nikolaus Jagdfeld Anne Philippi Anne Maria Jagdfeld. Auf wen, ausser auf Neureiche, soll das sinnbefreite Abfeiern irgendwelcher Namen Eindruck machen? Muss man das kennen? Und tragen die immer noch D&G Anno 2000 auf?
Es ist exakt diese Art, dieses Benehmen, diese übertrieben ostentative Freakveranstaltung, diese Melange aus hohen Preisen und niedriger Gesinnung, die es bei uns unmöglich macht zu sagen “Oh, ich habe in der Vanity Fair gelesen…” oder “In der Park Avenue stand…”. Man hätte betreten zugehört, auf die Schuhe gesehen und schnell mit der Frage, ob noch jemand Tee möchte, das Thema gewechselt. Man ist in unseren Kreisen wirklich froh, mit solchen Dingen nichts zu tun zu haben, man will auch keinesfalls in die Medien, oder hören, was andere in den Medien so treiben. Das kann man unter den Linden tun, aber nicht im Westviertel und am See . Deshalb sind diese Leute weit weg, und nicht hier. Die Westviertel aber sind die Orte, an dem sich das Schicksal solcher Projekte entscheidet. Nur wer dort dienen darf, gelesen und besprochen wird, wer einen Platz auf den Tischen bekommt und nicht peinlich berührt in das Altpapier geht, bekommt etwas von unserer Wertschätzung ab und wird so begehrenswert für die niedrigere Schichten, die dann dumm genug sind zu glauben, mit dem Konsum der abgebildeten Waren ein Stück des Glanzes erwerben , und zur erstrebten Schicht gehören zu können.
Dieses Ziel hat man in Berlin nie erreicht. Man hat Hefte für eine Berliner Gesellschaft der Medienfiguren und Adabeis gemacht, für eine Berliner Republik der Drängler und Drücker, die im Westen allenfalls ein deklassiertes Äquivalent besitzt. Das beste, was man über diese Anmaßung sagen kann, ist: Sie kamen zum Glück nie weit genug, um an unseren Stiefeln zu lecken. Wer als Herr verkleidet eine Society im Berliner Stil sucht, sollte sich nicht wundern, wenn er im Westen die bessere Gesellschaft nicht findet. Man hat es dort mit Menschen zu tun, die reich sind, weil sie sparen, und sich nicht jeden hochgeschriebenen Tand kaufen, mit Lesern, die intelligent unterhalten und nicht dumm angequatscht werden möchten. Man wäre sicher erstaunt, das explizit erklären zu müssen, wüsste man nicht, dass dies der Berliner Kardinalfehler ist: Der Glaube, der Westen wäre noch einmal so dumm, sich vom Osten reinlegen zu lassen. Wir haben schon den Solidaritätszuschlag. Eine weitere Idiotensteuer in Form eines Abos für Berliner Unarten der Untertanen lehnen wir ab.
Ich halte mir durchaus eine Zeitschrift aus dem Hause Conde Nast: Die World of Interiors. Es gibt sie nicht auf deutsch, sie hat kein geschwätziges Editorial irgendwelcher Berliner Promifreunde, verlangt aber vom Leser einiges an kulturgeschichtlicher Bildung und Bereitschaft, sich und seine eigene Einrichtung stetig zu hinterfragen. Außerdem halte ich mir die Intelligent Life. Auch dort werde ich gefordert. Ich bin klüger, wenn ich sie gelesen habe. Meist dauert es nicht lange, bis meine Bekannten sie ausgeliehen und nie mehr zurück gebracht haben. So, und nur so kommt man bei uns an, so steigt man auf vom Diener zum geschätzten Gesellschafter. Solange deutsche Magazine das nicht vollbringen, solange sie Herr spielen, aber ihr Dienerhandwerk nicht beherrschen, bin ich leider gezwungen, meine Seelenbildung und Freude allein aus ihrem Ableben zu beziehen. Ich denke, Sie werden mir das nachsehen
Begleitmusik: Komponisten wussten noch, wie man sich zum Freund aufschwingt. Man betrachte und erfreue sich etwa an den Kantaten, die der junge und lebensfrohe Georg Friedrich Händel in Italien für seinen dortigen Gönner und Freund, den Marchese Ruspoli schrieb. Glossa hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Schatz zu heben, und veröffentlicht eine ganze Serie von Tonträgern aus diesen sehr zu Unrecht kaum bekannten Liederbüchern. Soeben bekam und hörte ich mit grossem Vergnügen – Sie werden es vielleicht an der Milde der obigen Worte bemerkt haben – den vierten Teil, in dem die neckische Jagd zwischen der schönen Phyllis und dem liebeslustigen Amintas beschrieben wird. Amintas kann Phyllis nicht fangen, aber sie hält an und fordert ihn auf, seine Liebe mit Gesang unter Beweis zu stellen. Vollkommen zurecht endet das Bemühen in den sexuellen Freuden, die man sicher nicht hat, wenn die Angebetete Vanity Fair neben dem Bett entdeckt..