Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die MM auf dem großen Kurs wieder mit Begeisterung aufgenommen, die damit verbundenen Risiken beurteilte man im Vergleich zu den gerade erst erlebten kriegerischen Auseinandersetzungen als untergeordnet.
Wikipedia über die Mille Miglia
Der Niedergang der Eisenbahnen als gern genutztes Verkehrsmittel begann weniger mit dem Automobil, dessen Zuverlässigkeit in den frühen Jahren doch sehr zu wünschen übrig liess – nein, der Niedergang begann mit dem Irrglauben, man könnte Eisenbahnen betriebswirtschaftlich betreiben. Es folgten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts heute noch wohlbekannte Höhepunkte der freien Marktwirtschaft: Die Gründung von Aktiengesellschaften, die Spekulation mit Land und Rohstoffen, hohe Erwartungen, überraschend gestiegene Herstellungskosten, unangenehm dünne Kapitaldecken bei gleichzeitig hochspekulierten Aktienkursen, dann die Erkenntnis, dass sich die Linie doch nicht so rentierte, Kursstürze, hektische Rettungsversuche, Pleiten, ruinierte Anleger, ein gestörtes Vertrauen in die Marktwirtschaft und massive Eingriffe des Staates, indem die wichtigen Bahnen übernommen und in eine Staatsfirma überführt wurden.
Zugfahrten wurden von da an staatlich subventioniert, mit den alten Aktien konnte man die Sanitäranlagen weitaus hübscher als mit Hypo Real Estate Aktien tapezieren, und in dem unter staatlicher Hoheit zusammengepferchten Volk machte sich die Überzeugung breit, dass es das ja wohl nicht sein könnte, alle in so einem Eisenzug. Die Jungen machten sich lieber zum Wandervogel auf, die Mittelschicht entdeckte Fahrrad, Motorrad und Faltboot für sich, und wer es sich leisten konnte, liess sein Leben beim Untergang von Hochseedampfern, beim Sturz aus dem Aeroplan, oder in sich überschlagenden Automobilen. Womit wir bei dieser einschneidenden Massnahme für den Genpool der besseren Gesellschaft wären:
Ein Mercedes 720 SSK von 1929, eben jenem Jahr, als die Börsen die Generalprobe zu unseren heutigen Problemen aufführten. 225 Pferdestärken hat das Monstrum, und wer wollte, konnte die Zuverlässigkeit der Konstruktion bei 190 km/h während der Mille Miglia auf unbefestigten italienischen Strassen testen – auch ein Mittel, um der Tristesse der Wirtschaftskrise zu entgehen, sei es nun durch Ablenkung oder Einlenkung in den Strassengraben, wie es dem Futuristen und Rennwagenverehrer Gabriele D’Annunzio sicher gefallen hätte, der im Bett mit den Worten “Ich langweile mich” scheiden musste.
Daimler-Benz gab es damals übrigens erst seit drei Jahren: Schon vor dem gigantischen Knall ging es den deutschen Autoherstellern reichlich dreckig. Um zu überleben, schlossen sich Daimler und Benz 1926 mit Hilfe der Deutschen Bank zusammen, reduzierten Kosten und begradigten Produktlinien. Gerade noch rechtzeitig: Der grosse Krieg war damals erst 8 Jahre vorbei, die üble Inflation von 1924 dürfte noch in bester Erinnerung gewesen sein, und als Hersteller eines Spassmobils für frisch verarmte Spekulanten hatte man sicher nicht die besten aller Überlebenschancen. Trotzdem haben sie alles überlebt.
Andere hatten weniger Glück. Die französische Marke Gordini etwa, die in den 30er Jahren mit kleinen Motoren reichlich glücklos versuchte, die damals staatlich geförderten Silberpfeile des Dritten Reiches auf der Rennstrecke in Schach zu halten. [Edit: Einem stilistisch zum frohen Löschen einladender Kommentator (geht es auch ohne Beleidigung?) ist insofern Recht zu geben, als sich Gordini erst in den 50er Jahren mit den “Silberpfeilen” im Grand Prix und in den 30er Jahren nur mit den Sportwägen wie BMW herumschlagen musste] Eine höchst sympathische Marke voller Geschichte und Geschichten, mit vielen heldenhaft verlorenen Rennen und einer Francoise Sagan als Kundin, die mit frischem Führerschein und Bestseller einen schnellen, luxuriösen 24s wie im obigen Bild fuhr – soviel dann auch zum Thema “Bonjour Tristesse” und seiner real existierenden Durchführung. Der Marke hat es langfristig nichts geholfen, 1968 war Schluss mit dem Rennsport, und Frau Sagan raste sich dann doch lieber mit einem Aston Martin ins Koma. Wie sagte sie nicht so schön? Sie glaubte nicht an die Liebe. “Nur an die Leidenschaft.”
Man könnte viele unerfreuliche Geschichten von all den Schicksalsgenossen Gordinis erzählen, oder auch das Ende von Frazer-Nash betrauern, die 1957 im von Rezession geplagten England die Rennwägen abstellten; im gleichen Jahr, da man wegen eines schweren Unfalls die Mille Miglia untersagte. Es begann die Zeit der Sicherheit und der sicher sinnvollen Bedenken, das Volk mobilisierte sich, raste zuviel und eiferte Futuristen, Rennfahrern und reichen Erben nach, das Ableben am Steuer wurde banal und verlor nun als letztendliches Merkmal des Deppen jeden falschen Anschein des Heldentodes. Der DADA-Autonarr Francis Picabia hatte wieder einmal recht, als er sagte: “Die Moral verkürzt den Menschen, der Mensch verkürzt das Leben.”
Der Weg des Autos verlief seitdem nicht nach oben; aus dem Luxusgegenstand wurde ein Massenprodukt, aus dem Lieblingskind der Deutschen ein Gebrauchsgegenstand, den man abschreiben kann, allenfalls noch ein Zeichen der Firmenhierarchie. Das Auto verlor jeden Anschein des Abenteuers, die Strassen wurden glatt und die Linien gerade, die Motoren säuseln leise und brüllen kein Lied vom Tod mehr, die Pannen verschwinden und die Maschine winkt beim Parken ein. Man kauft einen SUV, damit der andere beim Unfall den größeren Schaden hat. Autofahren ist kein Abenteuer mehr, man meidet Pässe, und die Klimaanlage entkoppelt vom Draußen. Man kann mit 200 Sachen gegen den Betonpfeiler der Brücke rasen, mit aller Zuversicht, intakter aus den Airbags gekratzt zu werden, als man nach einem 100 km/h langsamen Überschlag in einem ungeschützten Ferrari der frühen 50er aufgefunden wurde.
Und nun, in einer tiefgreifenden Krise wie dem Gründerkrach und seinen insolventen Eisenbahnen, stehen wir vor dem nächsten Schritt der Entwertung und Entmystifizierung: Das Auto verkommt vom Gebrauchsgut zum Subventionsmoloch. Autobanken bekommen staatliche Garantien, eine Spekulantin im Pelz verlangt vom Staat Milliarden für ihren gescheiterten Raubzug auf einen Autozulieferer. Ein Autohersteller, dessen letzter relevanter Beitrag zur Automobilgeschichte auf den Namen “Manta” hörte, soll mit Milliardengarantien gestützt oder gar zum Staatsbetrieb gemacht werden, und wer ein altes Auto hat, bekommt 2500 Euro als Handgeld für einen Neuwagen wie den opelianischen Dacia, den der Hersteller aus seiner russischen Halde unverkäuflicher Fahrzeuge nach Deutschland umleitet. Willkommen im Land der Zwangsbeglückung mit dem DaciaGolfKombiOpel, wo man 3 Cent für den gefahrenen Kilometer bekommt, um sinnlose Überkapazitäten zu erhalten und ungeliebte Produkte zu verschleudern.
Es mag im ersten Moment Rüsselsheim retten, aber es macht aus dem begehrenswerten Gut des Automobils das Wegwerfprodukt Auto, und das ist dann sicher kein 720 SSK oder Gordini mehr. Was schert die Subventionspolitik die Erfahrung: Großbritannien hat in den 70er Jahren auch versucht, mit einem Staatskonzern seine unbeliebten Automarken zu retten – MG und Rover gehören heute den Chinesen, Jaguar und Landrover einer indischen Firma, Mini, Rolls Royce und Bentley den Deutschen.
Es ist vielleicht nicht das Schlimmste für eine Marke, in Schönheit zu sterben. Nur so kann es noch die Sehnsucht geben, die den Staatsbetrieben immer abgeht, egal ob Zug, Airbus oder Wartburg und seine Nachfolger. Nur Tote betrauert man und wünscht sich wirklich, in einem wollüstig geformten Allard nach Rom zu brausen, oder mit einem Sunbeam Talbot 90 Mk II über die lichten Hügel der Toskana zu gleiten. Nichts evoziert die Leidenschaft, von der uns die Werbung vergeblich überzeugen möchte, so sehr wie der Tod und das Unwiederbringliche. “Am Steuer seines Rennwagens hat er das Bewusstsein, nur noch von sich selbst abzuhängen”, schreibt Philippe Soupault, Großneffe des Autofabrikanten Louis Renault, 1929 über einen Rennfahrer, wenige Monate vor der Weltwirtschaftskrise. Es wäre sehr schade, würde man nach deren Neuauflage nur noch vom Staat abhängen.
Stellen Sie sich einfach die Frage: Würden Sie lieber neben Francoise Sagan und Francis Picabia durch Südfrankreich oder neben Angela Merkel und v.u.z. Guttenberg durch Brandenburg fahren?