Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Kleiner Ausreiseführer für Gehirnausfliessende

Gehören Sie auch zu jenen Neureichen, die allenthalben drohen, dieses neidige Land Ihrer Anwesenheit verlustig gehen zu lassen? Glauben Sie auch, dass man hier als Leistungsträger nur drangsaliert und ausgenommen wird? Suchen Sie neue Herausforderungen für sich und ihre 125.000 Jahreseinkommen? Dann habe ich ein paar Ratschläge für sie, mit denen sie ganz sicher nicht als Opfer baltischer Währungskrisen oder als Spucknapfreiniger an der Riviera enden werden.

Das Komitee hatte entschieden, angesichts des Beginns einer neuen Ära die Prostitution für abgeschafft zu erklären und das Bordell in der Firmen Galan zu schliessen.
Ilja Ehrenburg, Was der Mensch braucht

Es ist ganz erstaunlich – in den letzten Tagen habe ich mal im besseren Viertel der Stadt ein wenig rumgefragt, wie hoch der Anteil der Deutschen ist, die mehr als 125.000 Euro im Jahr verdienen. Die Schätzungen lagen stets zwischen 10 und 25%. Was möglicherweise damit zu tun hat, dass der Anteil dieser Leute im Viertel sehr viel höher ist; das verzerrt natürlich die Perspektive. 125.000 wird übrigens auch nicht als unbedingt “viel” angesehen. Der Umstand, dass eine Steuererhöhung für diese Gruppe nur 1,6% der Bevölkerung betrifft, wurde mit Erstaunen, aber doch auch mit einer gewissen Mannhaftigkeit aufgenommen. Niemand polterte im Sinne von Wirtschaftsverbänden, Klientelpolitikern und anderen Mietmäulern los, man werde seine Sachen packen und gehen.

 Für Letztere sind das natürlich grosse Zeiten, und nachdem neben dem wirtschaftsliberalen Irland nun auch Grossbritannien Abgaben erhöht und dabei die Reichen von 40 auf 50% Abgabenlast hochsetzt, trennt sich auch dort die neureiche Spreu der Cityarbeiter mit lautem Klagen vom wohlhabenden Weizen der Upper Class. Zwischen Mitleid und einem gewissen Ekel nehme ich zur Kenntnis, wie sich manche leitende Journalisten, die es mit Hängen und Würgen über die gar nicht mal so magische Gehaltsgrenze schaffen, die Blösse geben und nun dergestalt geplünderten Leistungsträgern anraten, mit einem “Brain Drain” zu gehen und jene Länder aufzusuchen, die noch nicht so leistungsfeindlich sind.

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Ekel, weil es der weinerliche Verrat des Landes und der Demokratie für ein paar lumpige Euro ist, und Mitleid, weil ich es irgendwie verstehen kann: Diese Leute ahnen, dass die Reichensteuer so oder so kommen wird. Nach den Wahlen wird man wieder zusammenrücken, und diejenigen Volksvertreter, die dergleichen Elitenschröpfung schockiert, schockiert! ablehnen, werden sagen, dass die SPD in dem Punkt absolut unnachgiebig war, und so habe man sich darauf geeinigt, die Reichensteuer gleich mal auf 50% anzuheben. Abgesehen davon würde es mich auch gar nicht überraschen, wenn es demnächst wieder die ein oder andere Vermögenssteuer gäbe, denn die wohlhabenden Deutschen haben so viel auf der hohen Kante, dass sie mit ein wenig Konsum jede Krise locker wegverschwenden könnten. Da könnte eine Steuer ein probates Mittel sein, sie vor die Wahl zu stellen: Möchtest Du Dein Geld lieber dem Staat oder dem Rieslingwinzer, dem Galeristen und dem Möbelrestaurator zukommen lassen?

Ein Angebot, das man nur ablehnen kann, wenn man es vorzieht, das Land zu verlassen. Ich bedaure es absolut nicht, dass gerade die Propagandisten aus den Medien wenig Chancen haben werden, sich dem Zug der internationalen Leistungselite in Richtung freundlicher Gefielde anzuschliessen, denn die Moderatorenposten beim Urlaubsradio auf Malle sind bereits vergeben, und generell wird man im Stand der Journalisten keinem böse sein können, der im schönen Bayernland die charmante Auffassung vertritt, dass man mit ihnen gerade “d’Sei fuadan ko”. Ich bin ja gern in Deutschland, aber ich finde auch, dass man als Elite die Pflicht hat, nicht nur den Maulhelden zu spielen, sondern konsequent und entschlossen zu handeln. Also möchte ich hier nicht nur dazu aufrufen, gleich die modern-kahle Wohnung in den nicht gerade gesunden Immobilienmarkt mit ein paar Zehntausend Verlust hineinzuverkaufen, sondern auch gleich hochgelobte Länder in Augenschein zu nehmen, wohin man mit all den anderen globalisierten Leistungsträgern ziehen kann.

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Warnen muss ich jedoch vor dem in anderer Hinsicht so beliebten Österreich. Nicht nur, dass dort der Immobilienerwerb für Piefkes schwer und eine ausländerfeindliche Partei nie fern ist: Obwohl Österreich bei den einschlägigen Kreisen einen famosen Ruf für Steueroptimierung in Jungholz, wo angeblich auch deutsche Firmengrössen vertrauensvoll anlegen, und für die Vermeidung von Erbschaftssteuern hat, schaut es mit der Einkommensteuer nachgerade leninistisch aus: Bei 50% ab einer Grenze von 60.000 Euro ohne Ehegattensplittuíng darf man davon ausgehen, dass die KPdSU im Wiener Finanzministerium ihre Auslandsorganisation betreibt. Das finde sogar ich hart, aber für einen Bayern ist es ja auch kein Problem, Österreich zu verraten.

In der Schweiz ist natürlich alles besser. Gerade Zürich. Dieser wunderbare Blick über den See, die drollige Sprache, wegen der man gar nicht versteht, wenn sich die Eingeborenen über einen lustig machen, das Klima im Sommer, wenn  der Schnee weg ist, die Kultur, der internationale Flair, die unerreichbaren Villen in Locarno, und das alles bei lumpigen, knapp 20% liegenden Einkommensteuern. Paradiesisch. In der New Economy kannte ich einen Abteilungsleiter einer berühmten Beratungsfirma, der dort drei Wochen weilte und nicht anders lebte, als in München. Am Anfang. Am Ende kappte er die Kosten, wo es nur ging. Das machte er sonst nie. Das SchnellEss-Brötchen am Bahnhof für 8,50 Franken fand er immer noch teuer. Zürich hat niedrige Steuern. Und sehr hohe Kosten, die man spürt, wenn einem ein paar tausend Euro Steuern weh tun.

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Und dann ist da noch ein grundlegendes Problem mit der Schweiz. Das Land kann auf Steuern pfeifen, weil alle Welt dort Schwarzgeld bunkert. Das ging lange gut, aber mit dem Niedergang des Bankgeheimnisses und der Schweizer Grossbanken gerät das Land in eine bedrohliche Schieflage: Sollte die UBS wirklich schweren Schaden nehmen, bräuchte das Land plötzlich sehr schnell sehr viel Geld. Und abgesehen davon: Schon jetzt stellen Schweizer Banken eher aus als ein. Die Schweiz steht plötzlich selbst auf der Kostenbremse. Und wenn Zehntausende von Hochtalentierten aus den Firmen zwangsweise gehirnausfliessen, ist da ein deutscher Finanzmarktspezialist wirklich noch gefragt? Ausfliessen ist nicht schwer, aber wo kann man heute noch einfliessen? Eine schwierige Frage

In Steuerfragen sagenhaft günstig, gar nicht teuer und obendrein für ausländisches Geld immer offen ist Osteuropa. Bisher gewesen. Ich kenne Leute, die dort vor 10 Jahren Banken aufgebaut haben. Die waren begeistert von Osteuropa und dem Spirit, der dort in der Elite herrscht. Die fehlenden Grenzen, die unternehmerische Freiheit, und wenn man im richtigen Viertel war, gab es auch keine Kriminalität. Im Baltikum, in Ungarn und in Polen ging was voran, da konnte man sehr schnell sehr viel verdienen, und das bei läppischen Steuern. Diese Länder wussten mit ihrer “Flat Tax” für alle noch, wie man Leistung belohnt. Leider verbrennt man im Baltikum gerade Puppen, man redet vom Staatsbankrott, in Ungarn braucht man Geld vom Internationalen Währungsfond, und Österreich steht am Rande des Abgrunds, weil es dort zu viele Geschäfte gemacht hat. Vielleicht doch nicht so toll, dieses Osteuropa.

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Natürlich gäbe es noch Dubai. Da ist gerade wieder einiges frei. Und Steuern gibt es nicht. Solange man nicht wegen Sex am Strand verhaftet wird und kein Problem damit hat, dass die meisten Ausländer aus Bangladesch und Indien wie Sklaven gehalten werden, solange man mit Medien leben kann, die über das Land so offen und ehrlich wie deutsche Wirtschaftspresse über die FDP berichtet, und einem die Sandstürme nichts ausmachen, die netterweise Bauruinen verdecken, ist es super. Die Skorpione in den Bädern sind auch angeblich nicht sehr giftig. Nur einen Job müsste man dort bekommen. In einer Zeit, in der das Land selbst Hilfszahlungen braucht: Nicht ganz einfach. Wer gefeuert wird, muss sofort das Land verlassen. Nach Deutschland. Da will man aber nicht hin.

Monaco? Pardon, aber wer wegen ein paar tausend Euro mehr Steuern winselt, braucht in Monaco noch nicht mal als Spucknapfreiniger anfangen. Und wie lange das Fürstentum noch mit seinem Ruf als Geldwäschenation weitermachen kann und will, steht auch in den Sternen. Die USA, die angeblich so liberal sind, schrauben gerade auch an den Abgeben für Besserverdienende, und die dortigen Steuerbehörden sind nicht so nett wie ihre deutschen Kollegen. Es ist alles nicht einfach, aber dennoch, einen Rat möchte ich den Gehirnausfliessenden mitgeben, die es wegen der Steuern tun: Weitgehend unbekannt sind die famosen Bedingungen im Schweizer Monaco des Ostens, im Libanon. Man zahlt nie mehr als 21% Steuer, Sicherheitskräfte sind billig, es gibt massenhaft Organisationen, die Finanzfachleute brauchen, es gibt Meer und schöne Frauen und eine mächtige Geschichte als Handelsnation, und das Land gibt sich auch alle Mühe, Monaco als sicherer Geldhafen gerade für die aufstrebenden Diktaturen des mittleren Ostens zu beerben. Im Winter kann man Skifahren, im Sommer baden, und wer im drusischen Bereich etwas ausgefressen hat, indem er kein Schutzgeld bezahlt, geht einfach rüber zu den Schiiten. Im Libanon geht noch was. Drogen, Waffen, Geldwäsche, Korruption, lauter Geschäftszweige, für die sich die angebliche erste Welt zu leistungsfeindlich ist und die immer Konjunktur haben. Die wissen noch, was Leistung wert ist. Da heult keiner wegen Mobbing im Büro, da trägt man es mit Autobomben aus. Die tun was, im Libanon. Feine Sache.

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Begleitmusik: Nicht wegen der niedrigen Steuern, sondern für eine üppige Entlohnung kam der italienische Komponist und Musiker Giovanni Benedetto Platti 1722 an den Hof des Fürstbischofs Johann Philipp Franz von Schönborn, bekannt als Gründer der Würzburger Residenz und damals auch gefürchtet als Steuertreiber, mit dem er seinen Prunk finanzierte. Als er 1724 starb, wurde sein Tod in Würzburg bejubelt, und Platti war einer der wenigen Musiker, die bleiben durften. Er war wenig beschäftigt und hatte somit viel Zeit, für andere Herren zu arbeiten. So entstanden seine Concerti Grossi nach Arcangelo Corelli, die bei Harmonia Mundi erschienen sind und angenehm leicht den Tag versüssen, wenn man wieder bittere Tränen wegen ein paar Euro vergossen hat, die man wegen dieser bösen, leistungsfeindlichen Steuerpolitik nun nicht dem seriösen Betreiber eines Altersheimes auf dem grauen Kapitalmarkt zuschieben kann.