Wenn du weisst, dass die meisten Männer wie Kinder sind, dann weisst du alles.
Coco Chanel
Oh. Der Bekleidungsfirma mit dem vielleicht hässlichtsten geschäft von Rottach-Egern – und Rottach hat wirklich viele nicht hübsche Geschäfte – geht die Luft aus. Nun, ich bin nicht wirklich traurig, wenn die Modemarke “Escada” aktuell von der Insolvenz bedroht ist. Es gibt Opfer der Krise, die man getrost unter dem Motto gesunder Marktdarwinismus abheften kann, und geschmacklich war bei Escada nie die Kollektion, sondern eher die Existenz der Firma das Übel.
Etwas anders sieht es mit der S-Klasse aus [Disclosure: Im Besitz meines Clans befinden sich noch ein paar sehr alte und höchst seltene 1000-DM-Aktien von Daimler-Benz]. Die jeweils neueste S-Klasse ist zwar immer vom gleichen aufdringlichen Popanz, der auch eine 50-jährige Escadaträgerin nur zu oft auszeichnet, aber je älter eine S-Klasse wird, desto gefälliger wird sie für das Auge. Nach 30 Jahren ist sie interessant, nach 40 begehrenswert.Wichtiger jedoch als das Fahrzeug ist dieser Typ in der kollektiven Erinnerung besserer Söhne: Jedem wird es so irgendwann so ähnlich gegangen sein wie mir, der ich nach einem von einer Bank finanzierten Ball mit der Tochter des Bankchefs – ein Beruf, der damals übrigens noch nicht verrufen und anrüchig war – in seiner S-Klasse sass, auf jenen dicken Ledersesseln, die Stunden verstreichen liess, bis sich der Himmel zartrosa färbte und nichts geschah, aus Gründen und auch ohne.
Die S-Klasse, aber auch der 7er BMW und der Audi A8 sind aktuell krisengeplagte Spitzenmodelle und schwer verkäuflich, gleichzeitig aber Inkunabeln des Wohlstandes und zugleich unverzichtbar für die Herzensbildung des Nachwuchses. Ich werde nie das saphierblaue BMW 2800 CS Coupe vergessen, das mein Vater eine Weile fuhr und, ach, ich darf gar nicht daran denken, irgendwann verkaufte, damit seine Kinder im Audi 100 hinten mehr Platz hatten. Ein zum Sterben schönes Auto. Und schnell. Rasend schnell. Mein Vater am Steuer, die Tachonadel bei knapp 200, hoch oben auf der Europabrücke über Innsbruck, ein Hai zwischen all den Käfern und Opels, und wir Kinder fanden es grandios. Das prägt.
Es ist eine verfluchte Schande, wenn heute staatlich gefördert rumänischer und rüsselsheimer Automist auf die Autobahnen mit Staatsförderung gekippt wird. Es ist auch eine verfluchte Schande, dass nur die wenigsten nach 10 Jahren in der kleinen Schüssel das Geld haben, sich nun ein gscheids Auto, wie man in Bayern sagt, zu kaufen, und auch die nächsten 10 Jahre in koreanischem Giftmüll Stabilitätskontrolle braucht, damit das Leben auch weiterhin öde, klein und langweilig bleibt. Die Abwrackprämie ist der Köder für die Ärmeren, alte Fehler erneut zu machen. Der BMW meines Vaters hatte mal einen Bremsenausfall auf der Strasse von St. Andrä nach Brixen. Das war eine Gaudi für uns Kinder, mit einem Papa, der den Hai trotzdem mit quietschenden Reifen ins Tal brachte. Wir hätten dabei sterben können. Na und?
Wir werden Zeugen eines doppelten Elends: Der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch der gleichmachenden Kleinwägen, und der massive Absatzeinbruch bei den Fahrzeugen der Oberklasse. Als sei die Oberklasse der Gesellschaft gerade am Aussterben, als zöge sie sich zurück und überliesse einer Community das Feld, deren Götze Sandero heisst und auch irgendwie ganz nett fährt, wenn man von A nach B kommen muss. Autos, mit denen man vielleicht schnelle Sexerlebnisse mit einer Aufgabelung eines Onlinenetzwerkes hat, oder an die man Flügel und Spoiler schraubt, damit sie nach mehr Dummheit aussehen. Autos des real existierenden Krisensozialismus, die legitimen Erben des Wartburgs, und wer will, dass seine Kinder später mal auch in ein Toskanareihenhaus ziehen und pastellfarbene Tüpfelwände hübsch finden, der greife jetzt zu einem dieser praktischen japanischen Kleinkisten.
Das ist in Ordnung. Egal, ob man das schätzt oder verurteilt: Viele wollen es genau so. Schlimm ist nur, dass man in der Schicht darüber offensichtlich nicht mehr so will, sei es nun aus kleinlicher Sparsamkeit, Angst vor dem Neid, oder dem Glauben, dass man jetzt erst mal unbedingt Rücklagen bilden muss, um nach der Krise immer noch reich zu sein, und reicher als andere. Dieses elende Daciadenken, per asperam ad Dieselastra oder zum Klein-SUV, der ebenso praktisch wie hässlich ist, Blechescadakopien für Vorstadtmamis, die die beste Zeit hinter sich haben. Eine ganz widerliche Vergessenheit der eigenen Herkunft scheint da durch, ein neureicher Hautgout, eine Anpassung an eine aktuell schwierige Realität, an die man sich nicht anpassen darf, denn die Krise wird nicht enden, solange man sich für sie zum Idioten macht und verzichtet.
Und darüber hinaus vergisst, antizyklisch zu denken. Darüber vergisst, dass das Glump zweimal teuer ist. Darüber vergisst, dass Horten von Geld gar nichts bringt, wenn die Krise durch zu viel Geld entstanden ist und mit noch mehr Geld bekämpft wird, bis es sich in der Inflation selbst auffrisst. Darüber vergisst, dass man am Ende so wird, wie man sich gibt. Die Kostenbremse macht das Leben nicht schöner, für niemanden. Schon gar nicht für die Kinder, deren “wann sind wir endlich da” der beste Beweis ist, dass man beim Autokauf danebengelangt hat.
Wenn dieser Beitrag online geht, bin ich schon nicht mehr da. Ich bin auf dem Weg nach England. Ich habe zwar schon ein Auto, aber ich kaufe noch eines, und das ohne die wohlfeile Ausrede, dass ich es brauche, weil ich am Tegernsee auch zwei Stellplätze habe. Ein Auto für einen einzigen Zweck: Um damit von London nach Rom und zurück zu fahren. Das ist gut für England, denn die brauchen auch nach einem halben Dutzend Silberkannen immer noch Geld. Das ist gut für mich, denn dank des britischen Peso kann ich mir einen Kindheitstraum erfüllen, einen Wagen in british racing green unter pistaziengrün, wie die Farben des immer undichten Cabrios meiner Mutter in den 60er Jahren. Das ist auch gut für meine Frau Mama, die schon lange findet, dass ich mir einen Wagen mit vier Türen und festem Dach kaufen sollte, es ist gut für alle meine Freundinnen, die damit an der Oper vorgefahren werden möchten, es ist es ist gut für die Leserschaft, denn damit nehme ich Sie in zwei Wochen mit zur Mille Miglia, den ganzen Weg von Brescia nach Rom und wieder zurück, und gut für Ihren Nachwuchs, der hinterherschaut und sich dann hoffentlich querstellt, wenn Sie etwas Durchschnittliches, Normales und Billiges kaufen.
Luxus ist gut für uns alle. Wenn der Wagen nicht zusammenbricht, natürlich.