Stützen der Gesellschaft

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Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Mille Miglia IV – Der Tod in Rom

Ankommen kann jeder. Aber da sind auch noch all jene, die unterwegs liegen bleiben, deren Motoren absterben und die verloren im tosenden Verkehr stehen, da sind die Unglücklichen, für die die Mille Miglia der Höhepunkt des Jahres hätte werden sollen, und die irgendwo zwischen dem Ortsschild von Brescia und Rom aufgeben müssen. Dabei macht Scheitern mit Grösse die grössten Abenteuer und die besten Bilder.

Wir bekommen entweder eine Kugel oder einen guten Kaffee.

Nach dem 6-Tage-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn erhielt der Kriegsphotograph Micha Bar-Am von einem amerikanischen Magazin den Auftrag, Mosche Dayan zu portraitieren. Bar-Am hatte die Idee, Dayan mit Palästinensern in den gerade eroberten Gebieten zu konfrontieren, und Dayan sagte mit obigen Worten zu. Zusammen mit einem Journalisten quetschten sie sich in ein kleines Auto, fuhren ohne jeden Schutz in die Westbank, und hielten in einem arabischen Dorf an. Dayan redete mit den Bewohnern, bekam seinen guten Kaffee und Micha Bar-Am eines der eindrucksvollsten Bilder des israelischen Verteidigungsministers, der aufmerksam den Palästinensern zuhört.

Bild zu: Mille Miglia IV - Der Tod in Rom

Ich mag diese Art Fatalismus. Die Mille Miglia hat entlang ihrer Route von Brescia über Verona und Umbrien genug Momente des Gleitens durch schöne Landschaften, Überholvorgänge und winkenden Fahrer, es ist wie aus dem Bilderbuch. Sie können immer anhalten und einen guten Kaffee bekommen, ein Werkstattteam kümmert sich um die Technik, und am Ende erreichen sie die Engelsburg in Rom, wo ihnen Tausende zujubeln, wenn sie über die Rampe fahren und endlich angekommen sind. Darum geht es. Aber auch und besonders um jene, die eben nicht den Kaffee, sondern die Kugel bekommen und auf der Strecke bleiben.

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Da waren diese beiden Ferraripiloten, nur 100 Meter vom Zieleinlauf entfernt. Sie standen mitten auf der breiten Strasse, die um die Engelsburg führt, über die der abendliche Partyverkehr der ewigen Stadt entlang des Tibers brauste. Von allen Orten der Welt, an denen man nicht liegen bleiben möchte, ist das jenseits der Wüsten und Ostdeutschland einer der Unangenehmsten. Mitten auf der Hauptstrasse im tosenden, rücksichtslosen Verkehr, als menschliches Schutzschild vor dem zerbrechlichen Auto, das einen verlassen hat, angesichts der schlimmsten Raser und Drängler des europäischen Kontinents. Das hat Grösse.

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Da war dieser Mercedes 300 SL. Aufmerksame Leser werden entdeckt haben, dass ich hier wenig Beachtung vor dem Fuhrpark des schwäbischen Herstellers gezeigt habe, zu sehr war deren Sponsorengehabe eine Beleidigung für guten Geschmack und Anstand. Da steht nun dieser Traumwagen der 50er Jahre am Strassenrand im Stau mit Warnblinkanlage, und all die Smarts, mit denen der Konzern in eine neue Ära aufbrechen wollte, haben ihn eingekeilt. Die Moderne wird mit ihrer traurigen Vernunft immer siegen, der Smart weist die Zukunft, und der 300 SL ist ein Relikt einer abgeschafften Vergangenheit. Aber selbst in einer toten Isetta würde ich lieber im ewigen Stau dieser Stadt stehen, als in  einem fahrbaren Smart, der ebenso wenige Defekte wie Charakter besitzt.

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Und dann war da noch der Chrysler 75 Le Mans, schon im Jubel der Menge unterhalb der Engelsburg, keine 30 Meter vor der Rampe der Zielankunft, aber näher noch am Tod. Irgendetwas Schlimmes dürfte mit dem Kühlkreislauf passiert sein: Der Wagen klang furchtbar, als würden die rotglühende Ventile gleich durch das Metall des Zylinderkopfes schiessen, und der Beifahrer musste sich Mineralwasserflaschen von den Umstehenden holen, um den Kühler zu füllen. Flasche und Flasche kippte er hinein, verschraubte hastig den Deckel, und dann quälte sich der Chrysler weiter zum Ende eines brutalen Tages, und die bange Frage muss gelautet haben:

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Wo zum Teufel bekommt man in dieser heissen römischen Nacht einen neuen Kühler für ein fast 80 Jahre altes Auto her? An exakt der Stelle, an der das Mineralwasser in den Kühler gelangt war, fand es sich auch gleich auf der Strasse wieder. Manchmal bekommt man einen guten Kaffee, und manchmal eben nicht mal einen Schluck Wasser. Jeder Jahr schaue ich mir die vielen hundert Bilder von der Mille Miglia durch, von millionenteuren Rennwägen und kunstvoll patinierten Bugattis, von Fahrern in Partnerbekleidung und all jenen Details, die Zeit, Geld und Arbeit verschlingen, bis sie hier, auf den staubigen Strassen zwischen Rom und Brescia vorgeführt werden können. Jeder Depp, mit Verlaub, kann hier teilnehmen, wenn er den Sponsor bezahlt oder ein Vermögen für einen überteuerten Wagen  ausgibt, die Organisatoren umwerben russische Oligarchen und amerikanische Sammler, es ist bei der Bewerbung fast so viel Eitelkeit mit im Spiel, wie beim Ergattern der Karten für Wagners Ring bei den Münchner Festspielen, und der Stil mancher Teilnehmer könnte auch bei den Freundinnen von Elekrtrofachmarkterben bei mir daheim anzutreffen sein, die einem aber nicht vorgestellt werden. Jedes Jahr sehe ich all diese Bilder, und bleibe letztlich dann an einem zertrümmerten Maserati in Mantua hängen, der in Modena noch heil war, am frierenden Piloten eines Wagens ohne Windschutzscheibe im Wolkenbruch, der 1500 Kilometer Regen ertragen musste, nur um auf den letzten hundert Kilometern doch noch auszufallen, oder eben an jenem Kind, das die Fahne nicht mehr schwenkt und sich vielleicht fragt, was wohl am nächsten Morgen mit diesen Fahrern sein wird, die inmitten des Gewühls der Nacht über der ewigen Stadt um ein paar Schluck Wasser für ihr Auto bitten, ohne auch nur einen Moment der Schönheit achten zu können.

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Vielleicht bekommen sie einen guten Kaffee. Vielleicht auch nicht.

Die anderen Bilder sind natürlich auch nicht unbedingt schlecht:

Bild zu: Mille Miglia IV - Der Tod in Rom

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