Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Generationenkonflikt auf meiner Terrasse

Das Leben ist auch unter Reichen nicht leichter: Die Kinder lassen sich nichts sagen, sind frech und aufmüpfig, schlagen gute Ernmahnungen in den Wind und lachen auch noch all der Bedenken, die alte Weisheit vorzutragen weiss. Sogar öffentlich, in einem Blog der FAZ!

Damien bemerkte, naserümpfend, die heutige Jugend sei reaktionär.
Louis Aragon, Damien schüttet sein Herz aus

Bisweilen erweckt diese kleine Plauderei hier den Eindruck, als wäre die bessere Gesellschaft nichts anderes als die Tradierung alter Vorstellungen und Ansprüche in die Moderne; immer ein Schritt hinter der realen Entwicklung und bewusst der Vergangenheit verhaftet; durchaus Gegenstand von Diskursen, aber grosso modo von Alt und Jung gleichermassen mitgetragen, einig in Ablehnung und Befürwortung der Methoden der Erhaltung von Art und Sitte. Und natürlich, steht hier oft zu lesen, ist der Tegernsee die reiche Alpenfestung, der Hort und das Zentrum eben jener Einigkeit in Urteil und Vorurteil, die den Wesenskern aller ausmachen, die angesichts der Alternativen in Glotze, Medien und Blockbebauung einsehen, dass es besser ist, zu den besseren Kreisen zu gehören. Ausserdem ist es hier wirklich

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wirklich ganz anders. Es scheint nur so. In vielen Fragen jedoch gibt es zwischen jungen und alten Angehörigen der besitzenden Klassen absolut keine Einigkeit. Die Generationengrenzen sehen anders aus, sie sind nicht von Piercings gelöchert und in Ballonseide gekleidet, sie werden nicht beim Versandhaus bestellt oder bei I*ea erramscht, aber doch war es bezeichnend, als vor Kurzem das Telefon bei meiner Mutter klingelte. Dort nun wurde etwas herumgedruckst und nach diversen Nachfragen, was denn nun mit Ihrem Sohn, also mir, sei, endlich ein schon länger schwelendes Problem um meine Anwesenheit am Tegernsee angesprochen, von dem die Anrufende nun der Meinung war, dass es nicht mehr tolerabel sei.

Nun möchte man denken, dass es vielleicht um laute Musik von Cherubini und Lasso ging – aber am Tegernsee steht noch nicht mal ein Tonmöbel. Auch gab ich mir stets Mühe, Vergnügen wie Sex und anderes angemessen dezent zu inszenieren. Die Freundinnen, die mich besuchen, sind allesamt repräsentativ und aus gutem Hause. Ich habe weder ein Planschbecken auf dem Rasen aufgebaut, noch anderen die Parkplätze genommen. Mein Verbrechen gegen die öffentliche Meinung und das, was sich ziemt, sieht vielmehr so aus:

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Das ist mein Frühstück auf der Terrasse. Man sieht meine selbstgebackene Kürbistarte auf einem irdenen Teller des 19. Jahrhunderts, mein aus einer Flohmarktkiste geklaubtes Geschirr mit Streublumen und Goldrand, Blutorangensaft in einem geschliffenen Glas, silberne Salz- und Pfefferstreuer, ein paar Untersetzer, und eine versilberte Kanne aus den Tagen von Königin Victoria. Nach meinen Vorstellungen ist das ein normales, kleines und unaufgeregtes Frühstück für mich allein; bei Gästen sähe das alles noch mal erheblich üppiger aus. Das Alltägliche, das sich über die Jahre aus Erbgängen, Reisen und Occasionen angesammelt hat, kann man schlecht den Gästen zumuten.

Aber wohl auch nicht der Anruferin. Denn die Anruferin fand es unangemessen, ja sogar gefährlich, würde ich etwa auf den vor der Terrasse liegenden Berg gehen und dabei nicht mein petit déjeneur wieder in die Wohnung räumen. Auch reiche es nicht, wenn ich nur Verderbliches wegräumte und die Kanne, die nach der Bergtour sofort wieder benutzt wird, wenn ich ein Buch lese oder einfach nur den Kühen vor der Terrasse beim Grasen zuschaue, draussen stehen lasse. Das nämlich könnte Vorbeigehende auf die Idee bringen, hier wohnten reiche Leute. Als ob es in dieser Gegend, wo im Winter ohne Pelzkollektion gar nichts geht und jede Kirche mit ostentativem Prunk aufwartet, so eine Sensation wäre, wenn hier Reiche – man stelle sich das vor, Reiche am Tegernsee! Wie extraordinär! – wohnten.

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Würde hier die Kanne stehen, wurde meiner Mutter beschieden, wer weiss, ob sich diese Erkenntnisse des Reichtums nicht ausgehend von den alten Tanten, die auf dem Heilklimawanderweg runter zum Konditor vorbeikommen, auch herumsprächen, und dann würde der Einbrecher mit der rumänischen Diebesbande kommen, weil die Kanne eben verrate, dass hier etwas zu holen sei. Und so wäre es wirklich schön, wenn mir meine Mutter sagen könnte, dass ich zumindest während des Bergsteigens, beim Tortenholen, bei der Spritztour nach Tyrol oder beim bald beginnenden Badevergnügen darauf achtete, dass die Terrasse dieses Anwesens, das in Bestlage zu finden ist und Quadratmeterpreise wie in der noblen Maxvorstadt hat, nicht so reich, sondern eher schlicht und ärmlich wirken würde. Zurückhaltend. Nicht wie ein Happen für rumänische Diebe.

Und hier nun haben wir den Generationenkonflikt, denn wir, meine Freunde und ich, sind da anders. Unsere Eltern stammen noch aus einer Zeit der Not, wo über das Erbe des 86-teiligen Rosenthalgeschirrs Familien zerbrochen sind. Damals hatte man noch billiges Alltagsgeschirr und Restservice, die man aufbrauchte, und ein paar Schränke voller feinster Keramik, die man nur für Feiern hervorholte. Nachdem wir aber gerade im Aussterben begriffen sind, stürzen all die Schränke voller Rosenthal und Meissen, Royal Doulton und KPM auf uns Junge ein. Zudem sind die Preise auf den Märkten so niedrig, dass dem gedeckten Tisch mit Limoges kein echter finanzieller Aufwand gegenüber steht. Silberkannen erwirbt man heute fast zum Materialpreis. Wir können jetzt schlecht anfangen, nur für etwaig auf dem Heilklimawanderweg vorbeilaufende Grosstanten rumänischer Diebeshorden bei I*ea das beliebte “Starterset für ein Leben in Elend” zu erwerben – wir haben ohnehin zu viel. Wir sind deshalb keinesfalls reich. Es sieht allenfalls so aus.

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Das Decken der überbordenden Tischen haben wir bei unseren Eltern so gelernt. Nachdem auch wir in diesen düsteren Zeiten Angst haben, als über dem Teller im Kopftiefflug fressender Berliner PR-Polo an der Kastanienallee zu enden, tendieren wir natürlich dazu, diese weichen Grenzen zum Niedergang neu mit Glanz und Tischkultur zu zementieren. Für uns ist zu Tisch immer Sonntag. Wir haben das Edelstahlbesteck unserer Eltern aussortiert und polieren lieber das Silber unserer Grosseltern. Wir möchten nicht an den Kulturbruch der Eliten nach dem zweiten Weltkrieg erinnert werden, der die Menschen nicht mehr stolz machte, wenn sie als einzige in der Strasse ein Automobil besassen. Um unsere Eltern in dieser Frage etwas zu erziehen, kaufen wir teure Espressomaschinen und besorgen venezianische Spiegel auf Auktionen, und es stört uns keineswegs, wenn wir sichtbar den Anspruch vermitteln, an dem sich der Rest eher orientieren sollte, als dass wir anfangen, unser Dasein im Elend der TV-Einrichtungssendungen zu verbringen. Die polierte Silberkanne auf der Terrasse ist so gesehen eine ständige Mahnung an die Vorübergehenden, sich nicht gehen zu lassen.

Nachdem mein Schicksal hier aber ohnehin schon besiegelt ist – letzthin hörte ich sogar, dass man meine verbeulte Barchetta für eine Porsche hielt – bleibt mir nichts anderes übrig, als diesen Konflikt der Generationen auch in aller Härte auszutragen. Ich habe letzte Woche eine Kanne für den Tegernsee bestellt; keinen plattierten, historistischen Plunder aus victorianischer Zeit, sondern gleich richtig, George IV und massives Silber bis zum Henkel, üppig verziert und alles andere als billig. Die werde ich draussen stehen lassen, bis entweder wirklich die rumänische Diebesbande kommt, oder man meine Mutter auf mich einzuwirken bittet, es doch wenigstens wieder auf das alte, bescheidenere Niveau zurückzufahren. Am grundsätzlichen Übel, der Verhuschtheit der Eliten nach 45 und ihrer Angst, jemand könnte ihr Treiben mitbekommen, wird das natürlich nichts ändern. Aber wir werden dafür sorgen, dass der Kulturbegriff unserer Grosseltern und Urgrosseltern wieder aus dem Staub ersteht. Heute nehmen wir den Tegernsee. Morgen dann die

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Begleitmusik, die dazu passt: Agostino Steffani war ein wahrlich unbescheidener Mensch. An der Wende zwischen 17. und 18. Jahrhundert als Sänger, Komponist und Diplomat tätig, trieb es ihn von Italien nach Deutschland und dort an Höfe, die verschwenderisch und prunkliebend waren. Steffani hatte keinerlei Hemmungen, auch zweitklassige Dichtversuche von Fürstinnen nach italienischer Mode zu vertonen und Herrschergeschlechter in Opern zu vergöttern – das allerdings war zu jener Zeit keineswegs ungewöhnlich, und tut seiner musikalischen Qualität keinen Abbruch. Die Cantaten, Duette und Sonaten, die die Sopranistin Monique Zanetti und der Countertenor Pascal Bertin im Stil der Zeit sehr feinsinnig eingespielt haben, sind bei Panclassics erschienen.