Herzog: Ich wünscht, Du wärest eines anderen Sohn.
William Shakespeare, Wie es euch gefällt
Man kann Ihnen nicht nachsagen, dass Sie nicht vieles getan hätten. Haben Ihrem Kind Nachhilfe zukommen lassen, als es übernächtigt von all den Feiern die 11. Klasse nicht schaffte. Haben es in der 12. und 13. dann in ein Internat gesteckt, wo es das Abitur praktisch in Golf und Wohlstandsverwahllosung machte. Das war teuer, aber nur das Ergebnis zählt. Sie haben Rechnungen beglichen und Geld zugeschoben, ohne nachzufragen, und sogar die Abtreibung haben Sie bezahlt – obwohl Sie sonst ein strikter Gegner solcher modernen Umtriebe sind. Zum Glück, sagen Sie sich, können Sie es sich leisten. Sie sind halbwegs reich, schlimmstenfalls Kleinmillionär, und Ihr Kind soll es natürlich besser haben. Oder zumindest ein Leistungsträger nach der Vorstellung der FDP werden: Privilegiert, fleissig wie Silvana Koch-Mehrin und grundehrlich wie Otto Graf Lambsdorff. Auch das kostet. Denn Sie stecken Ihr Balg nicht in eine ordinäre Universität, sondern in eine kostenpflichtige Elitehochschule. Eine Business School. Und wenn dann Ihr Balg anruft und sagt, dass es dieses Wochenende nicht kommen kann, weil es einen sportlichen Wettkampf gegen andere Business Schools bestreitet, die sogenannte Summer Challenge, denken Sie an Kontakte mit Firmenvertreter, Networking und die Chance, dass das Balg vielleicht doch jemanden kennenlernt, den man daheim in die Familienplanung mit einbeziehen kann. Sie sind weit weg, Sie haben keine Ahnung – bis jetzt:
Da sitzen sie dann. Im teuersten, keinesfalls aber besten Cafe der kleinen, dummen Stadt an der Donau, wo ihre Summer Challenge von einer Universität ausgerichtet wird, über die die Nation herzlich lacht. Und wie sie dort sitzen. Beine breit auseinander, damit man das Primärgenital auch deutlich zu Schau trägt. Lässig, cool, eingesackt, als zukünftiger Herrscher kann man es sich leisten, so in der guten Stube der Altstadt rumzuflacken. Haltung ist nur was für Spiesser. Man ist, weit zurückgelehnt, natürlich weit auseinander, also brüllt man sich über den Tisch an, ist doch egal, ob das jemand mitbekommt. Guck mal, mein neues Aipfoun, damit esemese ich Dir meinen Kontakt. Toll, ich schau gleich mal in meinem Louis-Vuitton-Täschchen nach. Wirtschaftselite im Entstehen. Und ich frage Sie, Herr Papa in der Provinz irgendwo: War es das, was Sie wollten?
Am Abend besaufen sich dann zwei Elitestudenten, der eine macht die Freundin des anderen an, der wird grob, und dann prügeln sie sich mitten auf dem Fest, bis die Polizei kommt. Als wären es Russendeutsche. Am nächsten Tag steht es zusammen mit den Russendeutschen in der Zeitung. Seien Sie froh, dass Ihr Balg hier nicht daheim ist. Wer es hier mit solchem Verhalten in das Provinzblatt schafft, ist mitsamt Eltern auf Jahre erledigt. Da hilft auch kein Anwalt mehr, es gibt keine Revision beim Gericht der alten Tanten. Und es dauert hier nie länger als einen Tag, bis jeder weiss, wer da bei der Erziehung seiner Kinder versagt hat. Dabei wäre es so einfach gewesen, den Blagen Haltung beizubringen, ohne dafür gleich so grob zu werden, wie Sie es sind, wenn ein Mitarbeiter nicht spurt:
Ich darf Ihnen das einmal zeigen. Es handelt sich hierbei um einen sogenannten “Piecrust Table”, eine typische Form der Regierungszeit des britischen Königs George III, 2. Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. Er ist aus Mahagoni gefertigt, hat drei geschnitzte Beine, einen Balusterschaft und, das ist für Sie und Ihren verkommenen Nachwuchs wichtig, eben jene Tischplatte mit einem Piecrust-Rand. Umlaufend ist ein Rahmen aus durchbrochenem Mahagoni, nach oben spitz zulaufend und sehr dekorativ. Heute sind diese Stücke exorbitant teuer – bei Auktionen erreichen sie, der richtigen Hersteller vorausgesetzt, bis zu 7-stellige Beträge – und werden zumeist als Ablagetische für teure Bücher verwendet. Bei mir steht so ein Tisch im Aufenthaltsraum der Gästewohnung – allerdings ist es kein Original aus der Zeit George III., sondern nur eine victorianische Nachschöpfung, die man problemlos für ein paar tausend Euro beschaffen kann. Die allerdings ist dann auch geeignet, damit Blagen zuzurichten. Und zwar ohne dass die wirklich merken, wie ihnen gerade geschieht. Denn an Piecrust-Tischen kann man nicht herumflacken und sich daneben benehmen, bäuerische Sitten vorführen und sich aufführen, als sei man Internet-Berater aus Berlin-Mitte.
Denn die Tische sind selbst für uns Zeitgenossen reichlich hoch. Will man daran Tee trinken oder essen, kann man gar nicht umhin, aufrecht zu sitzen. Diese Tische wurden für Menschen gefertigt, die in Frack und Korsett eingezwängt waren. Wer da nicht aufrecht sass, bekam keine Luft und erstickte einfach. Auch das wäre natürlich eine Lösung, aber ich denke, der Tisch alleine ist ausreichend. Denn der spitze, gebogene Rand macht es zudem unmöglich, einfach die Arme auf den Rand zu legen, um so den Oberkörper sacken zu lassen.
Man kann es nicht. Es ist absolut umnöglich. Von solchen Tischen kann man nur essen und trinken, wenn man die Hände in der Luft über dem Rand hält. Alles andere tut auf diesem Rand sehr schnell weh. Die Bewegung der Hände in der Luft wirkt nicht nur fein und elegant, es wird auch jedes Zurücksacken verunmöglicht. Man bringt den Oberkörper instinktiv in eine aufrechte Haltung, um die Belastung der Oberarme gering zu halten. Man denkt darüber nicht nach, es passiert einfach. Weil die angemessene Haltung an diesem Tisch gleichzeitig die einzige ist, die bequem ist. Dieser Tisch an sich funktioniert wie die bessere Gesellschaft, in der man nur leben kann, wenn man die Normen akzeptiert. Er ist nur angenehm, wenn man sich anpasst. Alles andere geht nicht. Das lässige Zurückfallen der Grosskotze ist unmöglich. Aber auch der aufgestütze Ellenbogen, das Kennzeichen Berliner Schwaben, Sachbearbeiter, Kreativhungerleider und anderer Leute, die man, ohne Manieren und Anstand, keinem Geschäftspartner zumuten kann.
Es geht nicht, weil man an einem derartigen Tisch keinen Platz hat, die Ellenbogen aufzustützen. Es ist technisch unmöglich, weil dort, wo die Ellenbogen wären, entweder, wenn man sich sehr schmal macht, der spitze Rand ist. Oder aber.will man die Arme breiter auflegen, gähnt dort ein Nichts, fast so leer und gehaltlos wie das, was man bei Eliteschülern an Bildung findet. Dort ist noch weniger Tisch anwesend, als ein FDP-Abgeordneter im Europaparlament. Die Devise des Tisches lautet: Schräger Vogel, iss anständig oder stirb. Dieser Tisch ist kein Tisch. Er ist ein Hartholz gewordener Imperativ der victorianischen Erziehung. Aber wenn Sie, werter Vater des ungezogenen Balges, die Wahl haben, unbequem beim Tee oder unbequem beim Anwalt zu sitzen, sollte die Entscheidung zugunsten der Stammhalter eindeutig sein.
Und machen Sie sich keine Sorgen, dass über dem Tisch alles fein aussehen könnte, darunter aber mit den Beinen der alte, breite Schlendrian mit Einblick zum Gemächt einkehrt:
Es ist physisch nicht möglich, an diesen Tischen eine unangemessene Haltung einzunehmen. Nicht nur, weil dort wenig Platz ist – der geringe Raum wird auch noch durch die Tischbeine geteilt. Es ist genug Platz für eine ordentliche Haltung, und sonst – für nichts. Es gibt nur einen Weg, an diesem Tisch zu sein: Haltung. Perfekte Haltung. Perfekte Haltung ohne Überlegung, die irgendwann in Fleisch und Blut übergeht, auch wenn andere Tische, Stühle und Häuser kommen. Die perfekte Haltung der Stützen der Gesellschaft, die sich nicht so benehmen, sondern so sind. Danach können Sie gern daran denken, das Balg in eine Eliteschule zu stecken. Dann kommt vielleicht auch mehr dabei heraus, als ein Abmahn-Anwalt, ein Startup-Gründer oder eine unerfreuliche Notiz in unserer Heimatzeitung.