Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der sehr lange Todesatem der nicht ganz so guten Kreise

Wo man hinschaut: Prozente. Was früher ein sicheres Zeichen für Ramsch war, frisst sich wie ein Geschwür in gute und beste Lagen, und noch nicht einmal die noble Brienner Strasse - bestes München für die beste Gesellschaft - bleibt verschont. Kissenbezüge für 15 Euro, Quasten 70% Nachlass, Lampenfüsse 550 statt 1200 Euro - es wird billig, und es ist alles so entsetzlich billig. Weil es zu viel davon gibt. Noch.

 

Das Penchant fürs Bizarre und Exzessive, das ich mit so vielen meiner Altersgenossen teilte, ist gewiss nicht nur auf Snobismus und Originalitätssucht zurückzuführen.
Klaus Mann, Der Wendepunkt

[Nächtliches Gerede ohne Hand und Fuss] Wir waren jung, verwöhnt, vielleicht ein klein wenig dumm und ziemlich unerfahren. Wir studierten ohne grosse Begeisterung und brachten die Nächte an den Orten zu, wo man uns kannte und andere nicht einliess. Es waren die letzten Tage der alten Bundesrepublik, der Osten war noch rot und nicht langweilig verkommen. Manchmal standen wir am Montag Morgen im Brunnen des alten botanischen Gartens, eine Reminiszenz an jene berühmte Szene in Fellinis Dolce Vita, die Ohren dröhnten noch vom Rausch der Nacht, und vor uns floss der Berufsverkehr vorbei; eine Welt, die wir nicht verstanden, und, so das Versprechen der Jugend, auch nicht verstehen mussten.

Wir trugen schwarze Anzüge von Gaultier und Hemden von Byblos, und I., die auch nach München gewechselt war, hatte das leichte Sommerkleid von Laura Ashley an, das sie sich ein paar Tage vorher in unserem Beisein ausgesucht hatte. Kurz darauf beging ihr Vater einen Selbstmordversuch, ein paar Wochen später, als es zu kalt für den Brunnen war, fiel die Mauer, und wir sassen leicht derangiert in einem TV-Studio, als Vertreter der Jugend angesichts historischer Zeiten, und benahmen uns schrecklich unpatriotisch daneben, weil wir ahnten, dass es nicht gut enden würde. Deutschland wurde wiedervereint, I. musste ihr Kleid einpacken und München verlassen, und bald war auch das Park Cafe nicht mehr das, was es einmal war.

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Kleider von Laura Ashley waren und sind, wie der ganze Konzern, so eine Sache, die nicht allen und jedem gefallen muss. Auch ich hatte meine Vorbehalte, aber an I. sah es sehr fein aus. Es gibt für alles einen gewissen Typ. Zudem wird man milde, und als ich vor drei Jahren meine aktuelle Hauptwohnung renovierte, nahm ich Farben eben jener Marke, und strich den Hauptraum in I.s kühlen Sommerkleidtönen. Es war gar nicht so leicht, die Farben zu bekommen; billig sind sie nicht, und trotzdem waren sie praktisch kaum lieferbar. Zu viel globaler Bedarf, von den Lofts in Manhattan über Cottages in Surrey bis hin zur Münchner Isarvorstadt. Es war die Zeit der Inflation bei den Luxusmarken; es gab immer mehr Firmen mit immer höheren Preisen und dennoch steigender Nachfrage.

Und so gegen 2004, zuerst im angloamerikanischen Sprachraum und dann auch in Deutschland, stellte man fest, dass man all das Geld in diesen kalten Designerwohnungen nicht unterbringen kann. Dolce&Gabbana präsentierten ihre Modelle auf persischen Teppichen unter Kronleuchtern. Schlagartig ging das alles wieder. Muster. Farben. Byzantinische Pracht. Mosaik. Schwere Stoffe für den Winter, leichte Stoffe für den Sommer. Goldene Wände. In einem goldenen Zeitalter, finanziert durch Überschuldung, wertlose Bankpapiere und den Glauben, es werde schon alles gut gehen. Und die Käufer würden auch jede Saison neue Vorhänge brauchen, neue Quasten und andere Posamenten. Glaubte man. Wohl auch bei eben jener Firma.

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Nun, jung bin ich nicht mehr, verwöhnt schon eher, und immer noch ein klein wenig dumm genug, mir grüngoldgestreifte Vorhänge aus Naturseide nähen zu lassen. Dazu fand ich in einem kleinen Laden in Mantua die passenden Quasten. Die Wohnung am Tegernsee ist ergänzend grün gestrichen, und mit goldenen Schnitzereien der Rokoko versehen. Auch der Brokat der barocken Stühle greift die Farben auf. Ich wäre verrückt, würde ich das ändern. Das alles ist zeitlos, hält praktisch unbegrenzt, und gerade jetzt werde ich sicher nicht anfangen, in dieser Krise, mich neu einzurichten. Es hält, es ist gut, es war nicht billig, und so werde ich keine neuen Stoffe und Quasten kaufen, auch wenn es heute weniger als die Hälfte kostet. Season Sale nennt sich das.

Man könnte es auch als Käuferstreik bezeichnen. Käufer entdecken gerade, dass man in den letzten Jahren einen grossen Fundus angelegt hat, an Tagesdecken und Bettüberzügen, an Schuhen und Nippes, an Möbeln und Geschirr. Gewisse Kreise lebten sehr davon, dass Mode nicht mehr die Kleidung war, sondern alles, was einen umgab. Geraffte Lampenschirme statt silbergestreifte Exemplare, Seidenbrokat statt Ledersofas, Labradoodle statt Siamkatzen. Nicht jede dieser Entwicklungen gereichte der Klasse zum Vorteil, und nun, da man sich enthaltsam gibt, ist alles auf diesem Status eingefroren. Die tonangebenden Zeitschriften, frei von Werbung und Wallstreet-Wohnungen, zeigen Bauernhäuser und Biedermeier. In dieses Nichts, dieses monetäre Vakuum hinein ist entlang der Brienner Strasse in München Räumungsverkauf. Nicht schick.

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Auch die Saudis frequentieren diesmal andere Geschäfte; ihre Blagen krakeelen auf der Strasse herum, während die Verschleierten billiges Zeug in einem Souvenirgeschäft erwerben. Auch andere zurückgebliebene Wüstenregionen müssen sparen: So hat die Landesbank Baden-Württemberg gerade allen besseren Immobilienbesitzern Münchens einen Schock verpasst, als sie die feierliche Grundsteinlegung zweier Prestigebauten im Stadtzentrum vorerst absagte. Sollte, so fragt man sich, nun die Zeit vorbei sein, als man den Quadratmeter noch für 6000 Euro anbieten konnte? Gibt es gar eine Blase der Residenzen, eine Krise im Palaisgeschäft, droht die Pleite im Carrée? Fast drei schwäbische Milliarden sollten in den München Boden sickern. Wenn die das jetzt in Frage stellen…

Nun, dann muss sich auch so mancher Münchner überlegen, ob seine Immobilie wirklich so viel wert ist wie das, was in edel auftretende Anzeigen offiziell verlangt wird. Dazu kommt der Umstand, dass nur die wenigsten ein paar Millionen haben, die sie auf Risiko investieren können. Immobilienerwerb in München ist schuldenbasiert. Diese Dinger, die gerade in Amerika so üble Folgen haben. Nebenbei wird in München gerade eher entlassen. Nicht die beste Zeit für ein neues Luxussofa, wenn das alte Sofa auch erst zwei Jahre alt ist. Und so kommt es dann zum grossen Innehalten, die Maden brauchen tatsächlich erst den alten Speck auf, und wenn sie in ein, zwei Jahren immer noch da sein sollten, werden sie bei den Überlebenden vorbei schauen und wieder konsumieren. Wenn sie nicht nach Nordschwabing ziehen mussten.

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Es ist nicht die beste Zeit, um jung, verwöhnt, vielleicht ein klein wenig dumm und ziemlich unerfahren zu sein. Sorglosigkeit ist kein Zukunftskonzept, man muss genau rechnen und natürlich dennoch so tun, als gäbe es keine Probleme. Die Verweigerung schön reden, auch wenn man nicht weiss, was man in der Zeit tun soll, die man mit dem einkaufen verbracht hat. Worüber man redet, wenn man nichts Neues besitzt. Die Gründe für diesen Umstand sind jedenfalls nicht geeignet, einen Abend ansprechend zu gestalten. Den man auch nicht mehr in den teureren Restaurants zubringt. Im Sommer lässt sich das leicht durch den Besuch der Biergärten kaschieren. Statt der Wohnung dekoriert man das Leben um.

Und überlässt jenen das Geschäft mit den Prozenten, die gerne Luxus hätten, aber den Preis nicht zahlen wollten. Ein seltsames Publikum ziehen solche Aktionen an. Der charmante Herr P. etwa wird sich anschauen, wenn Creti und Pleti durch seinen Laden marodiert, alles anfasst und noch handeln will. Aber es gibt zu viel Luxus für die Krise der reichen Leute, das alles muss erst mal weg, und dann wird es Leichen geben, Ausverkäufe, leere, teure Immobilien, und die Gewissheit, dass die guten Zeiten erst mal vorbei sind. Jetzt wären ein paar innere Werte ganz nett. Oder zumindest eine DVD-Beilage.

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Begleitmusik: Ganz sicher unmodern und zeitlos ist dagegen der Tonträger 40 voices, der zu einer Entdeckungsreise zur polyphonen Vokalmusik der Renaissance einlädt. Zu komplex, um wie die Vulgärgregorianik als modischer Entspannungssingsang zu enden, der Masse unbekannte Komponisten, die nicht partysmalltalktauglich sind, und eine erfreuliche Alternative zu all den Netrebkovereien, mit denen eingängige Konzertsommer aufzuwarten belieben.