Sie würde gerne etwas für mich tun. Ich solle doch einmal etwa 30 Freunde und Freundinnen einladen aus Deutschland und der Welt, mit denen ich gerne einen Abend zusammen sein würde im Kanzleramt. Und ich muss Ihnen sagen, es war ein wunderschöner Abend.
Josef Ackermann, Schweizer und Chef der Deutschen Bank
Für uns hier, die wir uns mit dem Phänomen der Klassengesellschaft und ihren erfreulichen Seiten beschäftigen, und zumeist auch das Vergnügen haben, das von der Doppelspitze der Sozialprestige- und Reichtumspyramide aus zu tun; für uns, die wir gewissermassen im virtuellen Gipfelrestaurant der Republik sitzen und wie die Wüstlinge Weintrauben essen, sind das spannende Wochen. Eben noch durften wir erleben, wie die Gesundheitsministerin des Staates in den Abgrund torkelte, weil die als proletarische Sozialdemokratin die Vorzüge einer Staatskarosse in Spanien usurpierte, und somit auch im Urlaub ihren Willen zum Klassenkampf von unten zeigte. Recht geschieht ihr. Und nun dürfen wir von der Bundeskanzlerin Merkel lesen, die in ihrer Funktion als Regierende und alle vom Volke ausgehende Macht Haberin den Chef der Deutschen Bank halbanlässlich seines 60. Geburtstags in das Bundeskanzleramt einlud.
Also – nun ja. Ackermann, dem diese Einladung galt, ist Schweizer. Die Schweiz ist nicht nur eine Demokratie, sie ist auch schon so lange demokratisch, dass sie es nicht mal zu ein paar ordentlichen Schlössern des Absolutismus gebracht hat. Insofern wundert es nicht, wenn sich Ackermann aus diesem Bergesland schon vom, sagen wir es deutlich, bis an die Grenze zur Askese schlichten Betonbaukörper des Kanzleramtes und dem dort servierten Essen beeindruckt zeigte. Und auch Frau Merkel, die ja in der Betonwüste des Ostens aufwuchs, fand das angemessen. Ich will hier nicht verhehlen, dass ich zu diesem Zweck ja eher einer der Schlösser in Potsdam oder Charlottenburg vorgeschlagen hätte.
Dort wäre der angemessene Ort für die Huldigung gewesen. So aber, wie es nun gelaufen ist, ist es angesichts des typisch deutschen Sozialneids absehbar, wenn Frau Merkel nun Kritik und Ärger entgegenschlägt. Man stört sich an den hohen Kosten und am Umstand, dass hier das Staatsoberhaupt dem globalen Bankoberhaupt ein Herrschaftssymbol zur kostenfreien Verfügung stellt und dort mit ihm ein Festessen veranstaltet, während es in den kargen Weiten Brandenburgs den Avecchinoisculotten nicht so richtig prächtig geht. Und wie schon während der französischen Revolution, die ihren Urgrund in einer nachgerade bundesrepublikanischen Schuldenpolitik hat, denkt sich die Nachfahrin des Marktweibes aus Paris, die unterbezahlte Kassiererin werweisswas über dieses Fest, Völlerei, Fettwänste, ein Schwarm liederlicher Weibspersonen… die Empörung ist allseits gross.
Dabei hilft ein Blick in die besten Kapitel der deutschen Geschichte, um diese Petitesse, diese kleine Geste auf dem Kostenniveau eines halben Guttenberg’schen Gesetzesentwurfs von seiner präferierten Anwaltskanzlei, wieder in die richtige Perspektive zu rücken. Gehen wir nur mal vom Schlimmsten aus und nehmen wir wirklich an, dass es sich bei dem externen Personal, wie die Kassiererin mutmasst, um leichtbekleidete Venusjüngerinnen gehandelt hat – na und? 1489 etwa hat die Stadt Frankfurt zu Ehren von Kaiser Maximilian bei dessen Empfang Prostituierte tanzen lassen und sie dafür entlohnt, und zum Reichstag in Regensburg wird gar berichtet, dass der gleiche bis heute äusserst beliebte Herrscher selbst mit derartigen Damen tanzte. Wenn nicht noch mehr. Und das betrachtete man als Ehre für die Stadt!
Auch sonst kann man schlecht etwas gegen das Betragen von Frau Merkel sagen. Es war durch die gesamte Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vollkommen üblich, hohe und höchste Gäster dergestalt zu empfangen, und das selbstverständlich im Ratssaal zu tun – man halte sich etwa nur den goldenen Saal des Rathauses in der freien Reichsstadt Augsburg vor Augen. Sollten sich Ackermann oder seine Freunde gar am Bundeskanzleramtsservice bedient haben: Die Augsburger und Nürnberger Goldschmiede lebten geradezu davon, dass Ratsherren, Kleinadlige und andere nicht Standesgemässe den Grossen ihrer Zeit das Beste nicht nur vorführten, sondern auch als Geschenk überliessen. Niemand nahm an solchen Dingen Anstoss, im Gegenteil, alles andere hätte als extrem unhöflich gegolten, und dabei wären die Untertanen ganz anderer Pfründe verlustig gegangen, als, sagen wir mal, die lumpigen 280.000 Euro, die Ackermanns Bank Merkels Partei für den Wahlkampf gegen die Handwerkerzünfte der SPD und das Aufrührergesindel der Linken spendete. Vielleicht hätte es sogar mehr gekostet als jene Postbankaktien, die Ackermann dereinst zu teuer kaufen wollte und die ihm der Postanteilseigner Bund zusammen mit anderen zu günstigen Konditionen überlassen hat – und all das nur wegen ein paar Tellern? Dieser alte Krempel von Arzberg? Also bitte!
Man muss diesem kleinlichen, ungebildeten Pack endlich die Wahrheit sagen: So war es schon immer, und es hat stets zu aller Zufriedenheit bestens funktioniert. Im Versailles von Ludwig XIV etwa sass der Herrscher ganz allein über Wein und Braten inmitten eines Saales, und empfing so, kauend und glücklich, Bittsteller aus seinem Reich, die auf Gnade und Erfüllung ihrer Wünsche hoffen durften. Aber wenn Ackermann 30 weitere Herrscher und Machthaber invitierte, konnte die Bittstellerin Merkel gleich 30 wirklich bedeutenden Personen gleichzeitig ihre Wünsche vortragen. Nachdem Ludwig XIV 51 Diener und 24 Musiker beim Essen beschäftigte, nimmt sich der Merkel’sche Aufwand nachgerade uckermärkisch sparsam aus, ja, es ist fast eine traurige Reminszenz an die schlichte Stillosigkeit der DDR-Staatsratkantine. Prassen geht anders, davon können selbst mittelmässige Sparkassenvorstände der Kölner Bucht ein Lied – in Dur natürlich – singen.
Das Volk jedoch sollte froh sein, dass sich das Verhältnis zwischen Staatsmacht und Finanzierer an derartig exzellenten Personen orientiert. Schliesslich konnte unter Ludwig XIV. im Jahre 1713 der Staatsbankrott gerade noch abgewendet und weiter gefressen werden; der ungleich düstere und weltlichen Genüssen abholde Phillipp II. von Spanien musste dagegen 1557 den Staatsbankrott verkünden, was seinen Gläubigern, den immens reichen und mit Pfründen überhäuften Fuggern, den Niedergang einbrachte. Wie gut, dass Frau Merkel als neue Hofordnung der Berliner Republik kein derartig abgeschottetes, spanisches Hofzeremoniell führt, sondern beim Festbankett das Primat der Bankenwelt vor allen anderen anerkennt – es ist doch wirklich schön zu sehen, dass in diesen Tagen der Gleichmacherei wenigstens die Staatschefin noch versteht, wo ihr historisch gewachsener Platz ist. Und damit auch ihren eigenen Untertanen vor Augen führt, wie man sich zu benehmen hat.
Nachgerade peinlich dagegen das unangenehme Geplärre anderer ostdeutscher Politiker der Linken, hier würde die Kanzlerin gar Ackermann legislative Vorzüge zukommen lassen. Das ist der beste Beweis für die fehlende Regierungskompetenz und mangelndes Verständnis für die freiheitliche Grundordnung und ihren historischen Kontext. Der Beruf “Kanzlerin” , i. e. Herrschaftsakte unterstützende Amtschefin, umschreibt die Kompetenzen eindeutig, und natürlich konnten ihre Amtsvorgänger in historischen Zeiten selbst entscheiden, wen sie welche Urkunde ausfertigen liessen. Hier nun bietet es sich gerade zu an: Es stimmt zwar, dass das Strafgesetzbuch die Schuldknechtschaft für Menschen abgeschafft hat, aber angesichts der globalen Finanzmärkte und der Schulden des Staates sollte man sich da besser keine Illusion machen: Der Staat ist keine Privatperson, und er hat Schulden. Man frage beizeiten mal den Pöbel, ob er lieber die Schulden seines Staates tilgen, in Zukunft aber mehr Steuern zahlen und auf Leistungen verzichten möchte – oder ob für eine angenehme Gestaltung des Abhängigkeitsverhältnisses so ein kleines Essen und ein wenig Sachverstand bei der Gesetzesausarbeitung wirklich ein hoher Preis ist, damit es wie gehabt weitergehen kann. Denn die nächste Schuldenaufnahme kommt bestimmt, und wer weiss, ob Ackermann gegenüber den Deutschen noch so nett ist, und wenig Zins für seine Bank will, wenn er nun etwa sein Essen nachträglich selbst zahlen muss. Kommt man der Herrschaft knickrig, muss man damit leben, dass sie einem auch knickrig kommt.
Was bleibt also von dem Aufschrei nach dem kleinen Souper? Eine Bundeskanzlerin, die sich der real existierenden Klassengesellschaft angedient hat. Über die Form kann man streiten, über den Ort auch, und die historischen Traditionen, so gut sie auch waren, kamen nur verstümmelt und sehr vereinfacht in der Gegenwart an. Man möchte Frau Merkel also raten, sich ein Beispiel an den Bayern zu nehmen; so liess man es sich in München bis vor Kurzem nicht nehmen, Teilnehmer eines Venture-Capital-Kongresses – kleinste Fischlein im Vergleich zu Ackermann – in Schloss Nymphenburg zu hofieren. Wir, die wir Wert auf historisch gewachsene Umgangsformen legen, möchten Frau Merkel raten: Vielleicht könnte man im Bundeskanzleramt auch so etwas wie ein Prunkschlafzimmer einrichten, für ganz besondere Gäste, die dann dort das grosse französische Hofzeremoniell aufführen dürfen. Das wäre nun wirklich ein Zeichen, und wenn so ein Chef von General Motors in diesem Rahmen aufwacht, und Frau Merkel als Haushofmeisterin ihre Fraktion als Diener und Zofen mit Frühstück aufmarschieren lässt, findet sich garantiert auch eine treffliche und wunschgemässe Lösung für Opel. Ganz ohne Streit oder Bestechung, einfach mit Tradition und Verständnis für die Klasse, der man angehört.