Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Vom Wesen des Unglücks im Reichtum

Typischerweise steht man an einem Grab, lässt das ganze Elend so eines Lebens Revue passieren - und bei dieser Revue fliegen in der Regel keine Frauenbeine - und fragt sich: Wie konnte es bei all dem Reichtum letztlich nur so enden. Wieso hat der verstorbene nicht besser gelebt, was hat ihn davon abgehalten, seine Vorzüge zu nutzen? Darauf gibt es viele Antworten, aber zumeist ist eine dabei, die eine ganz bestimmte, in besseren Kreisen weit verbreitete Krankheit zum Thema hat: Das Unglück in Form von Persönlichkeiten, die für den kleinsten eigenen Nutzen anderen ohne Bedenken den grössten Schaden zumuten. Typisch für die Oberschicht wie ein Konto in der Schweiz, aber leider weder strafbar noch dortselbst im Schliessfach zu vergessen.

Ce monde est un grand Bedlam, où des fous enchaînent d’autres fous.
Voltaire

In den letzten Wochen war ich in der kleinen, dummen Stadt an der Donau verhindert, und so hatten Freunde das Vergnügen, meine Wohnung am Tegernsee zu geniessen. Es hat ihnen sehr gefallen, sie waren am Strand und im Wasser, besichtigten einiges und kamen auf dem Rückweg noch mal vorbei, um Kürbistarte oder Zwetschgendatschi als Wegzehrung zu essen, und zu berichten. Vom italienisch-blauen Himmel über dem See, vom Kaiserwetter, vom Müssiggang, und – sie kamen bekindert – von den Leuten am See. Den reichen Leuten, die aussehen, als gehörten sie nach St. Tropez, was durchaus passt, denn die Region rund um den Spielplatz bei Seeglas ist so eine Art Bayerisch St. Tropez – mit allen Nach- und Nachteilen. Frauen mit Geld und Kindern ohne Arbeit suchen sich, eingeengt von der Konkurrenz, Lebensinhalte und Lebensstile. Jedenfalls, meinten die Besucher unisono, hätten sie selten so viele unzufriedene Menschen auf einem Haufen gesehen, obwohl die allesamt sicher reich waren.

Der Besuch hat eine scharfe Beobachtungsgabe. Tatsächlich würde ich nicht darauf wetten wollen, dass “Reiche”, die Oberschicht, die bessere Gesellschaft prinzipiell glücklicher ist. Es kann sein, aber nach nunmehr 4 Jahrzehnten in diesen Kreisen habe ich meine eigene Theorie, warum das in der Regel nicht so ist. Denn abstrakt gesprochen, ist Reichtum nicht “Geld”, sondern nur die Fähigkeit, die Optionen zu nutzen, die Geld bietet. Ob man eine Woche bei einer blöden Zwangsarbeit in einem stickigen Büro sitzt, putzen gehen muss oder kurz entschlossen nach Meran fährt, um dem Regengebiet nördlich der Alpen zu entgehen: Diese offene Option, diese Möglichkeit, unangenehmen Dingen auszuweichen und das Angenehme zu tun, wenn andere nicht anders können, das alles macht Glück aus, und die besseren Kreise haben diese Möglichkeit. Meistens.

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Es sei denn, die Optionen fallen weg, weil sie nicht genützt werden können. Tod, Krankheit, körperlicher Zerfall, Familientragödien, all das, was man gemeinhin als Schicksalsschläge bezeichnet, sind von den Folgen her mit Geld vielleicht abzufedern, aber mehr auch nicht, und die Gefühle bleiben. Neben diesen wirklich grossen Dramen der besseren Gesellschaft gibt es aber auch noch die alltäglichen Unausweichlichkeiten, und die halte ich nach meinem – bislang ruhig und fern der meisten schweren Verwerfungen verlaufenen – Leben für wirklich entscheidend für die schlechten Gefühle.

Denn es gibt neben dem Schicksal auch noch menschlich gemachtes Elend. Nun sollte man denken, dass materielle Sorglosigkeit zusammen mit den üblichen menschlichen Problemen die bessere Gesellschaft immer noch erheblich dastehen lässt, als den Rest der Bevölkerung. Diese Annahme aber lässt zwei Phänomene ausser Betracht: Einerseits wird die materielle Sorglosigkeit zur Gewohnheit, wenn man es überhaupt je anders gekannt hat. Sprich, wenn man immer nur Nirostabesteck gegessen hat, kommt einem das 800er Familiensilber als etwas Besonderes vor. Wenn man nichts anderes als Silber kennt, wird es normal – oder gar banal, gewöhnlich. Es erhebt einen nicht mehr. Man kennt es nicht anders.

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Im rein Menschlichen jedoch bleibt natürlich ein materieller Abstand zu anderen Schichten und zum Niedergang erhalten. Und diese grosse Höhe darf man sich nicht als Luft vorstellen, durch die man abstürzen kann. Dieser Abstand ist eher wie ein gummiartiger Brei oder gar eine Feder, die einen, wenn man sich gehen lässt, zurückschnalzen lässt. Denn dieser Abstand wird auch geschützt von einem Umfeld – Familie, Freunde, Firma, Vermögen. Lakaien, Kriechernaturen – das mehr oder wenig freiwillig bereit steht, um im Zweifelsfall zu helfen, wenn sich so einer mal wieder voll daneben benimmt und dabei davon ausgeht, dass es geht, weil die anderen schon helfen. Irgendjemand wird es schon in Ordnung bringen. Womit wir zum dritten Mal in Folge bei Josef Ackermann und dem Mysterium seiner lockeren, die Gesellschaft ins Gesicht tretenden Einlassungen sind, einfach so, mit der Banalität des Könnens und ohne Rücksicht auf Verluste.

“Weil ich kann”, wäre vielleicht die Antwort solcher Leute. Und sie haben recht. Es klingt banal, aber sie tun es, weil sie es können. Man trifft in diesen Kreisen oft, zu oft solche, die keine Rücksichten nehmen müssen. Nach meiner Erfahrung gibt es einen sehr speziellen Typus in der besseren Gesellschaft, den man vielleicht so umschreiben kann: Leute, die für einen minimalen eigenen Vorteil stets bereit sind, für möglichst viele anderen einen maximalen Schaden anzurichten. Diese Leute sind die Pest der besseren Gesellschaft; es sind sehr wenige, aber dafür mit Auswirkungen, die vollen Nutzen aus den Schwächen der Klasse ziehen. Das muss kein Bankchef sein. Das gibt es in der Version der Grosstante, die alle so lange terrorisiert, bis sie exakt den Blick bekommt, was sie will – und dann meint, daheim wäre es schöner. Es sind die Elitessen, die ihre Eltern 300 Kilometer bis zum Studienort fahren lassen, damit die ihren Saustall aufräumen, während sie selbst gelangweilt auf dem Balkon des Studentenheimes telefonieren. Es sind Privilegienritter, die ganze Abteilungen auf Trab halten, nur damit der Dienstwagen auch ja Extras bis zum Limit hat. Schön, wenn diese Leute eine Firma, eine Partei, eine Bundeskanzlerin oder eine niedrigere Klasse haben, an der sie das feist grinsend austoben können. Leider spielt sich das aber nur zu oft in der eigenen Umgebung ab. Kaum eine bessere Familie, die dergleichen nicht in der Verwandtschaft hat.

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Denn gerade die bessere Gesellschaft ist extrem anfällig für solche Freunde des maximalen Schadens. Der maximale Schaden für andere ist unabdingbarer Teil des eigenen Profits. Es gibt bei uns leider einen gewissen Anstand, der einen zwingt, auch Entgleisungen bis zu einem gewissen Punkt wort- und klaglos hinzunehmen, und auch nicht hintenrum darüber zu reden. Asoziales Verhalten wird dadurch sehr spät bestraft, und oft haben die Verursacher nicht nur ein Gefühl für den maximalen Schaden für andere, sondern auch für Zeitpunkte, da man ihnen direkt nicht die Meinung sagen kann. Fragen wie “Könntest Du morgen, wenn Du ohnehin nichts zu tun hast, für mich vielleicht diese oder jene kleine Arbeit machen, (beiseite) die eine unsägliche Drecksarbeit ist, deren fatale Konsequenzen erst offensichtlich werden, wenn Du nicht mehr zurück kannst, die Rechnung zahlen musst und ich nicht an mein Handy gehe, denn im Cafe will ich nicht gestört werden” – solche Fragen kommen bevorzugt in Anwesenheit Dritter. Dann geht es. Dadurch entsteht bei diesen Personen der Eindruck, das wäre möglich. Es würde schon jemand kommen und das tun, was man selbst nicht tun möchte. Es gäbe schon eine Lösung des Problems, die man anderen aufdrücken könnte. Die bessere Gesellschaft sei auch eine bessere Absicherung.

Tatsächlich – haben sie nicht unrecht. Es war schon immer so. Im britischem Empire jedoch konnte man solche Leute noch in die Kolonien verfrachten, wo sie an Malaria krepierten oder von Militärs abgeknallt wurden, denen sie die Frauen streitig machten. Hierzulande jedoch bekommen sie leitende Versorgungsposten in Anwaltskanzleien, Personalabteilungen, Parteien und staatsnahen Firmen.

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In diesem Umfeld können sie sich auch ungestört entwickeln. In anderen Klassen wären weder die unangemessen freundlichen Manieren da, noch die finanzielle Kraft, die Schäden und Sonderaufwendungen zu verkraften. Würde sie sich in anderen Klassen privat dergestalt benehmen, sie wären schnell ausgeschlossen, pleite, auf der Strasse, ganz unten angekommen, ein Fressen für Müllformate des Privatfernsehens und auf keiner Liste für Verdienstorden. Die typisch mittelklassige Angst vor den Abstieg ist nicht wirklich gut, hilft aber mitunter bei der Disziplinierung, die in besseren Kreisen spätestens dann nicht mehr möglich ist, wenn der besagte Vertreter finanziell unabhängig ist. Wenn er sich nicht mehr auf pflegeintensive, gegenseitige Verpflichtungen verlassen muss, sondern auf Abhängigkeiten, auf Unausweichliches, auf Familienbande zurückgreifen kann. Man kann ihnen nicht einmal nachsagen, sie hätten keine soziale Intelligenz; sie haben sie sehr wohl, aber mit einem extrem asozialen Beweggrund.

Hin und wieder dringt davon etwas an die Medien; ein zertrümmertes Hotelzimmer, eine mühsam kaschierte Vergewaltigung mit anschliessender Verbringung in ein Internat in die Schweiz, ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue, ein Victory-Zeichen, Internetzensur, eine Todesanzeige mit sehr formalen Trauerbekundungen. Weil man es – bis zum erreichen der biologischen Grenze – konnte. Hauptsache, es geht ihnen dabei gut, und sie haben ihren Vorteil gehabt.