Besitz ist das Verhältnis zwischen Menschen.
Lew Dawidowitsch Bronstein, gen. Trotzki
Beim Aufräumen hinter dem Bett darübergestolpert: Ich weiss nicht, wer in jenen Frühlingstagen des März 2006 die deutsche Architectural Digest gekauft und dann bei mir vergessen hat. Ich war es sicher nicht; allein schon die geistig unterfordernde Einleitung der Chefredakteurin dieser mit “THINK BIG” überschriebenen Ausgabe ist mir unerträglich, und die Neigung dieser Möchtegern-Zeitschrift für Möchtegern-Reiche, alle möglichen Begriffe auf Englisch zu einfliessen zu lassen, um Kennerschaft vorzutäuschen, empfinde ich als Beleidigung.
In der besagten Ausgabe wird von einem Modearchitekten berichtet, der einen Chauffeur entliess, der sich verspätet hatte – aber erst, nachdem er ihm das Gepäck getragen hatte. Und in der besseren Gesellschaft, tönt diese Werbekloake, seien “unverplante Abende so rar wie frische Austern im Mai”. Ein klarer Fall für die Papiertonne, denn der Gast von 2006 wird dieses Monument der Dummen Berliner Republik und ihrer Einrichtungssünden kaum mehr haben wollen – wäre da nicht jene entzückende Anzeige der Bank des Hauses Liechtenstein aus besseren Tagen, gleich neben einem Beitrag über den florierenden Kunstmarkt, und das wird später mal Geschichtswert haben. Das muss man aufheben.
Denn das waren noch tolldreisten Zeiten, als das Fürstenhaus in einer deutschen Zeitung verbrämt auf die steuerlichen Freuden ihres Landes hinweisen konnte. Es gab keine Finanzkrise, keine CDs mit Daten, Zumwinkel war noch in Amt und Würden, in Amerika erreichten Immobilien Rekordpreise und der Tegernsee war reichlich uninteressant für Anleger, die Wirtschaft florierte und die Umverteilung in den westlichen Industrienationen suchte händeringend nach Investitionen. Und seien es, wie in jener Zeitschrift aufgezeigt, Spielsachen aus einer gräflichen Manufaktur, deren Chefin früher bei einer Werbeagentur war und nun – der Mann ist TV-Produzent – in Berlin hübsche Sachen für die Kleinen der grossen Gesellschaft oder was sich dafür hielt fertigte. Kurz, der ganze Irrsinn jener Jahre vor dem Crash tritt uns noch mal entgegen, es räkelt sich eine Blonde mit LV-Täschchen, ein Bentley wird gestestet, und ein Ofen darf auch mehr als 20000 Euro kosten.
Das war einmal. Verschwunden ist das Anzeigenaufkommen, verschwunden ist die Selbstsicherheit beim Verlag Condé Nast, verschwunden auch der gute Ruf des schnellen Geldes und all derer, die in seinem Windschatten nach vorne ziehen wollten: Der Hedge Fonds Manager ist ebenso bedroht wie die PR-Chefin, der Werber stöhnt kaum leiser als der schlecht abgefütterte Journalist; viel hört man auch von Entlassungen, aber so gut wie nichts von neuen Erfolgen. Die wirklich Reichen verlieren Buchvermögen, diejenigen, die sich auf einem guten Weg wähnten, dagegen ihre Arbeit, ihre kleine Firmen, die Aufstiegschancen. Journalisten jammern unschön öffentlich, aber das wahre Drama spielt sich unter Juristen und anderen sekundären Branchen ab, die sich die Reichen und ihre Finanzkonglomerate nicht mehr leisten können oder wollen.
Überhaupt scheint das Gerede vom Aufschwung, passend vor der Wahl, bei den Reichen nicht wirklich auf offene Ohren zu treffen. Man merkt es im Grossen wie im Kleinen. Angesichts der aktuellen Kurse und Firmenbewertungen müsste wie überall fusioniert und übernommen werden; allerdings sind die diversen Beispiele der Wirtschaftskrise nur Fälle für Lehrbücher der Wirtschaft und der Geschichte des Besitzbürgertums, wie man sich dabei übernimmt: Die Familie Porsche bei VW, die Familien Schickedanz und Oppenheim bei Arcandor, Schaeffler bei Conti, oder grösser und auch nicht weiser: Cerberus versagt bei Chrysler, Microsoft dagegen verschleuderte jüngst die teuer gekaufte Agentur Razorfish, und Ebay verkaufte Skype – der Zeitgeist geht klar zur Schuldenfreiheit, zur Konzentration auf das, was man kann, auf kleine, effiziente Strukturen; man möchte kein Räuber und Eroberer mehr sein, sondern beständig, traditionell und grundsolide. Alles andere kommt im Moment nicht so gut an.
Dieser Zeitgeist jedoch schlägt sich nur begrenzt in den typischen Magazinen der Gefolgschaft dieser Leute wieder. Zwar sind die Bankerappartments am Central Park mit goldgestreiften Wänden verschwunden, und reizende Cottages in England und Bauernhäuser in den Bergen tauchen vermehrt auf; unabhängig davon muss aber zugunsten der Werbekundschaft das hohe Lied des Konsums weiter intoniert werden, mag auch die Kehle kratzen, ohne dass einem jemand dafür einen Champagner reichen würde. In der Realität jedoch knallt die Neue Leipziger Schule gegen die Betonwand der Unverkäuflichkeit; man erzählt sich so gar nichts mehr von den Kunststars in den Strandcafes am See und wenn doch, dann ist es der erstaunliche Umstand, dass so mancher sich nun nicht gefeit gegen die Auftragsarbeiten zeigt – von irgendwas muss man ja leben, bis der Markt wieder kommt. Aber käme er wieder – müssten da nicht schon längst wieder Aufkäufer unterwegs sein, die sich nun zu günstigen Preisen mit einer ganzen Krisenjahresproduktion Kunst eindeckten? Doch vom Kunstmarkt hört man absolut nichts Ermutigendes; “tot” nennt ihn ein mir bekannter Restaurator; wer nicht muss, behält seine alten Meister, und gleichzeitig jedoch erreicht das Gold wieder die Höhe von 1000 Dollar pro Unze. Nicht, dass ich das für weise halten würde; es ist eben so, dass man nur Gold momentan mit Gold aufwiegt.
Zu gerne würde ich Studien zu diesen Phänomenen lesen; aber hier rächt sich der Mangel an übergreifenden Forschungen, und so bleibt mir nur die Vermutung: Die Annahme, dass wir nicht nur ein Problem wertloser Vermögen in der Finanzwelt und überteuerten Bildern bei Auktionen haben, sondern auch ein Problem ziemlich entwerteter Mitglieder der Gesellschaft. Rund um die steigenden Geldmengen bildeten sich Berufe, Berufsbilder, ganze Branchen aus, die wiederum eigene Medien, Kommunikation, Beratung, Verwaltung und Büroausrüster nach sich zogen, die mitschrieben am “THINK BIG” mit den grossen Zahlen und der immer präsenten Möglichkeit, es in Liechtenstein zu optimieren. Es entstand eine ganze Welt, die direkten Zugang zu diesem Vermögen versprach; und jetzt, da es sich aufgelöst hat, geflohen ist oder sonst wie zwischen all den Hebeln und Schmierstoffen der Finanzbranche verschwunden ist, braucht man sie auch nicht mehr.
Nicht nur für heute. Sie können gehen. Für länger. Jenseits der irrationalen Szenen an den Börsen, die durch irrationale Konjunkturprogramme befeuert werden, ist in Wirklichkeit gar nichts mehr wie früher. Die Welt von 2006 ist absolut tot, aus, vorbei, 2008, 2009, 2010 stehen in der besseren Gesellschaft für die neue Orientierungslosigkeit und Zukunftsangst, angetrieben durch Staaten, die ernst machen mit der Besteuerung, um ihre STAMOKAP-Versuche zu refinanzieren, ohne daran bankrott zu gehen, und andere Staaten, die ihre Anleger verraten und verkaufen. Es ist noch nicht sehr lang her, als Frau Schickedanz mit ihrer Kinderkrebsstiftung noch als Vorbild für soziales Engagement gehandelt wurde, und mit ihren seltenen öffentlichen Auftritten üppige Spenden einsammelte, statt – wie gerade jetzt – Spott und Hohn. In Zeiten wie diesen ist ein fluffiges Umfeld junger, eloquenter Geldausgeber, die ihre Ideologie den bei Springer verlegten Texten des Herren Poschardt zu entnehmen scheinen, extrem unpassend. Das wird man eine Weile nicht tragen, denke ich. Allenfalls in der Hauptstadt, mag sein, aber sicher nicht dort, wo es eine bessere Gesellschaft gibt.
Brutal gesagt: Es reicht schon ein kurzes Blättern in dieser Zeitschrift, um das enorme Sparpotenzial zu erkennen, das sich durch den Konsum während der Blase gebildet hat. All diese Leute, die irgendwas machen, ohne etwas Notwendiges herzustellen, sind wegrationalisierbar, und das auf die bequemste Art und Weise. Niemand braucht das wirklich. In Tagen wie diesen braucht man auch keine Hedge Fonds Manager, man kann an Einladungen sparen, die Kleiderschränke sind noch voll, und auch ohne Feng Shui Beratung kann man sein Regal an die richtige Wand stellen. Das wird für die Betroffenen kein Spass, auch wenn sie sich im oft gehörten Glauben trösten, mit dem Ende der Krise gehe sofort wieder das Prassen los.
Ich glaube das nicht. Nach der Krise geht erst mal der Versuch los, die Verluste zu kompensieren, neue Reichtümer anzuhäufen, von den Nachbarn und Freunden nicht abgehängt zu werden, wieder dabei zu sein. Es wird lange dauern, bis man das wieder öffentlich zeigen und feiern möchte, selbst wenn es wieder aufwärts gehen sollte. Vielleicht, welch Horror, gewöhnt man sich aber auch wieder an das stille Geniessen, an die Ruhe, an das angenehme Leben, ganz ohne die Frage, ob man überhaupt noch ohne tibetanisches Steinsalz kochen darf, und das auch noch in einer Küche ohne die must-havige, kombinierte Herd-Bar-Arbeitstisch-Insel aus von kasachischen Jungfrauen formgestreichelten Tropenholz in der Mitte. Das wäre dann ganz schlecht für das Umfeld. Allerdings, so höre ich, braucht man wohl Grundschullehrer und Altenpfleger, und Call Center – das Wort wird bei AD und ihren denglophilen Lesern sicherlich gefallen! – sind immer auf der Suche nach Leuten mit einnehmendem Wesen.