Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Von Stresa am Lago Maggiore lernen heisst siegen lernen: Während in Deutschland Kleingeister und Bedenkenträger ein paar lumpige Problemchen bei der Auferstehung des Berliner Stadtschlosses aus Ruinen zum Anlass nehmen, ungefragt zum Thema Demokratie und Repräsentation radikale Thesen zu äussern, ist in Oberitalien die Welt noch in Ordung. Hier werden zukünfige Generationen die Antwort finden, wie man moderne Herausforderungen des Volksgeschmacks mit alten Mitteln zur allgemeinen Zufriedenheit löst. Die Stützen der gesellschaft erlauben es sich deshalb, der Zukunft zu deren Beschleunigung ein wenig vorzugreifen.

zu Stresa, den 15.IX.2032

Hochverehrter Herr Direktor, ehrenwertes Komitee, Gott zum Grusse,

wir haben uns nun in Stresa am Lago Maggiore eingefunden, und freuen uns, Ihnen erste Überlegungen zu den komplexen Problemen, die unser geliebtes Hauptstadtschloss seit der Vollendung vor 2 Jahren heimgesucht haben, übermitteln zu dürfen. Um es kurz zu machen: In Stresa ist man bislang nicht auf die von Herrn Prof. v. Gamsenbruch von der Charité Fondsgesellschaft präferierte Lösung verfallen, die Räumlichkeiten für volksnahe Fitnesscenter und Botoxbehandlungen zu nutzen. Auch der Vorschlag von Kommerzienrat Blauschnabel, die von der undankbaren Bevölkerung nicht wirklich angenommene, ja sogar als Obrigkeitssymbol verhasste Baulichkeit in eine Vergnügungs-Shopping-Area seiner Wellnessbuy AG umzuwandeln und dabei auch die sinnlosen Flächen der insolventen, durch Pro7Sat1RTLI-VIARDZDF aufgekauften Humboldforumsgesellschaft mit einzubinden, um damit kleinlicher Kritik vorzubeugen und den Massen zu geben, was den Massen zusteht, findet in durchaus vergleichbarer Architektur in Stresa keinerlei Widerhall.

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Vielmehr ist es in Stresa offensichtlich gelungen, neue Wege zu gehen, die eigentlich die alten Wege sind, oder besser: Hier ist alles noch so, wie es sein soll. Diese Lösung wäre unseres Erachtens auch bestens für das neue Wahrzeichen unseres Landes geeignet, das in seinem Rückgriff auf Preussens Gloria den Weg ebnete für die umfassenden gesellschaftlichen Reformen, die dem Bewährten aus dem Zeit vor dem 14er Krieg zu neuen Ehren verhalf, und sicher bald so respektiert sein wird, wie es sich für Leistungsgesellschaften geziemt. In Stresa jedenfalls gibt es keine Unruhen wegen der Sozialistengesetze, hier hat sich das wohlige, allumfassende Gefühl alter k.u.k.-Herrlichkeit gehalten. Staunend und traurig gaffen unsere dort weilenden, älteren Landsleute die Ruinen jener grossen Epoche an, die sie aus den frühen Sissi-Filmen bestens kennen (wir empfehlen übrigens dem Staatsparteisekretär und Komiteemitglied Freiherrn Ziegenleder, auch sämtliche wohlgefühlzersetzenden Werke von Schnitzler und anderen Feinden jener Epoche (Anton Kuh, Karl Kraus etc.) auf den Index zu setzen, die würden beim gesellschaftlichen Ausgleich nur stören).

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Kurz, hier in Stresa rotten sich keine Arbeitslosen zusammen, hier wünscht sich der anständige Deutsche des verbliebenen Mittelstandes derartige Bauten jener glanzvollen Adelsepoche so sehr, dass es sicher kein Problem wäre, die Allgemeinheit für deren Erweckung in public-private Partnership – Kassenwart Baron Eulengreif wird das gerne hören – finanziell zu beteiligen. Die Imageprobleme, die Joint-Venture-Parties der Deutschen Bank und der Hohenzollern zur Feier der allgemeinen Schulgeldeinführung im Stadtschloss 2031 mit sich brachten, kennt man hier nicht, denn die bewaffneteren Kräfte der Berlusconistiftung sorgen für die nötige Diskretion zu solchen Anlässen, wie in der Guten Alten Zeit unter Metternich.

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Auch alte Werke staatskirchlich-privater Natur werden von unseren Mitbürgern, für die wir die Verantwortung haben, hier sehr geschätzt. In einem Bild sehen Sie die Isla Bella, seinerzeit Vergnügungsschloss und Park etlicher Bischöfe und Kardinäle aus dem Hause Boromeo, die gänzlich frei von kleinlichen Überlegungen dem deutschen Touristen als wünschens- und erhaltenwerte Bleibe erscheinen. Kein böses Wort über Günstlingswirtschaft und die Verbrennung von Sündenböcken, mit denen Mitglieder jenes Hauses weiland ihren Ruf als herausragende Vertreter des christlichen Abendlandes begründeten. Mag der Deutsche daheim über den wieder eingeführten Zehnten auch jammern  – hier in Stresa geniesst er die Früchte jener Abgaben für einen kleinen Betrag, und steht ehrfürchtig, mit kurzen Hosen, weissen Socken und Plastikrucksack angetan, in Uniform also vor den Zeugnissen grosser Vergangenheit.

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Auch stört es ihn absolut nicht, wenn andere im Grand Hotel verweilen, und schon in der Einfahrt offensichtlich wird, für wen der Luxus hier ist – und für wen die Gastfreundlichkeit nicht gilt. Eben jenes Grundproblem des nach so vielen Verwerfungen, Skandalen und Verhaftungen kleiner Subunternehmer bei erwiesener Unschuld aller Komiteemitglieder endlich vollendeten Sahnestücks deutscher  Geschichte – ein Symbol der Klassentrennung, mit der Deutschland von 800 bis 1918 eigentlich ganz vorzüglich gefahren ist  – wird hier in Stresa einfach durch Verweis auf eine lange Tradition gelöst. Es war so, es ist so, es wird so bleiben. Niemand käme hier auf die Berliner Idee vorzutäuschen, als wäre das für jeden, für alle und ein altes Symbol einer egalitären Gesellschaft. Mit mehr liberalem Mut und deutlich prohibitiven Preisen wird dem Deutschen deutlich gesagt, wo sein Platz ist, und selig lächend akzeptiert er den Blick auf Grösse am Seeufer.

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Geschmacksfragen jedoch spielen dabei keine besondere Rolle. Gerade der vor der grossen Grundrechtsreform oft geäusserte Vorwurf, man baue da zu Berlin ein Disneyland in grauem Stein, muss absolut keine Hoheitsbeleidigung mehr sein. Ganz im Gegenteil, in Stresa sind die Züge ins Kitschige unverkennbar, das Sentimentale feiert fröhlich-tränenreiche Urstände, man kann hier gar nicht anders als zu erkennen: Kitsch wirkt. Rosa funktioniert. Gold kommt prächtig. Wer in Kronleuchter starrt, vergisst den Hunger und auch die zugewiesenen 1Mio-Euro-Jobs. Unserer Beobachtung nach ist das Stadtschloss für unsere Landeskinder nicht zu wenig demokratisch, sondern zu wenig prunkvoll. All die schlichten Innenräume, die demokratischen Stühle, die schlichten Treppenhäuser: Zur Hölle damit! Der Mensch schätzt den Prunk. Es war falsch, dem Russen die stalinistischen Marmorbauten zu nehmen, nie hätte sich der Rumäne durchgerungen, den Ceaucesku-Palast abreissen zu lassen, und so sagen wir: Die Schönheiten in Stresa lehren uns, das Stadtschloss als das zu begreifen, was es ist: Ein Symbol der Herrschaft, hineingesetzt in eine Stadt, die beherrscht werden möchte. Und genau so sollte es auch wieder wirken. Also, rufen wie Baurat Graf Schmieretzky-Schmuklammer zu: Mehr Rosa! Mehr Gold!

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Und natürlich auch für die deutsche Frau: Mehr Blumen. Blumen erfreuen Mütterherzen. Blumen wirken volksnah, in ihnen zeigt sich das gleiche Interesse von Schlossbewohner und Kleingärtner, Blumen müssen an das Stadtschloss, an jedes Fenster. Wir sind zuversichtlich, dass die Styroporplatten des verehrten Sponsors Hoflieferant Knacksnriss, die jene Fenster begründen, zumindest ein paar Blumenkästen tragen können, zumal, wenn es gelingt, Kunststoffblumen von einem Sponsor zu erhalten: Vielleicht sind unsere Freunde von der chinesischen Handelskammer ja bereit, unserem Jahrestribut ein Gegengeschenk folgen zu lassen.

Bild zu: Briefe aus Stresa II: Bericht an die Stadtschloss-Societät zu Berlin

Wir also sind prinzipiell der Ansicht, dass beim Stadtschloss durchaus behebbare Fehler bei Gestaltung und Marketing gemacht wurden. Wir brauchen für die noch anstehenden Sozialreformen mehr gute, alte Zeit nach dem Vorbilde des Sissi-Habsburg, das wir trotz leichter historischer Unkorrektheiten übernehmen sollten. Unsere Geschichte muss für das Volk einfach liebenswerter werden. Und wir müssen aus dieser Geschichte heraus elitärer werden, nicht einfach nur so elitär sein, weil wir das Sagen haben. Wir dürfen nicht mehr wie früher die Veränderungen verstecken und schönreden, wir müssen sie offensiv propagieren. Unser Land muss keine Pension für alle sein, sondern ein Grand Hotel mit Ballsaal für die einen und Dienstleistungsjobs für die anderen. Genau das muss das Stadtschloss ausdrücken. Formen wir es um in ein Grand Hotel Habsburg-Hohenzollern mit 5 Sternen, geniessen wir, was wie erschaffen haben, in vollen Zügen, und nicht nur in kleinlicher Heimlichkeit. In Stresa sieht man, dass die Leute es schätzen, wenn es nur schön bunt, laut, dem normalen Geschmack angepasst und obendrein am See gelegen ist.

Mit besten Empfehlungen aus Stresa, Ihr

Hofberichtssecretarius Alfons Borstenfrau

Handschriftliche Notiz von Baudirektor Herzog McKinzlei: Potzblitz, der Mann hat recht. Prima Sache. Sofort in die Wege leiten. Neue Sissiserie bei Intendant v. Niederwurm beauftragen: Sissi in Love in Berlin. Spree mit Staumauer v. Charlottenburg bis Wedding anstauen, Helmholtzplatz als Insel. Seebad Marzahn f. Arbeiter? Blumen auch vor alle Überwachungsroboter. Orden pour le Merite 7einhalbte Klasse am kleinen Bande f. unseren treuen Alfons. Aus dem wird noch mal ein guter Lakai.