Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die unfeine unenglische Unart

Im 18. Jahrhundert eiferte der schnupftabakverschmutzte Freiherr aus Deutschlands morastigen Flusstälern der französischen Mode nach. 3 Jahrhunderte später schnupft der Berliner Professional vielleicht anderes Zeug oder nimmt eventuell Ritalin, und sein Blick richtet sich nicht mehr nach Paris, wo die Autos wie in seiner Heimat brennen, sondern nach London, wo es noch Society's geben soll, und Lady's und Gentleman's. Und jede Menge Traditionen, die besser als die eigenen sind, und die so wunderbar in seine Weltstadt passen.

Members of the Public committing suicide from this tower do so at their own risk.
Lord Berners, Inschrift des Aussichtsturms seines Hauses in Faringdon

In der Altstadt von Verona findet sich ein Herrenausstatter, der sich, holzgetäfelt und mitteldüster, in der ganzen Aura britischer Eleganz produziert. Man findet dort – keine 300 Meter von meinem italienischen Schuster entfernt – feinste englische Schuhwaren, deren Preis zwei-, dreimal feinster als der meiner Schuhe ist, und ebenso feinste Stoffe, deren feinste Kosten noch zu steigern sind, wenn man dort nicht von der Stange kauft, sondern nähen lässt und dann im englischen Koffer mit nach Hause nimmt. Draussen gehen alte Italienerinnen mit den üblichen Insignien ihrer und der jungen Japanerinnen Gattung vorbei, bleiben stehen und überlegen, wie sie ihre Männer dazu bringen, sich ebenfalls dort einzukleiden, und nicht mehr diese italienischen Schuhe mit ihrem Zuhälter-Appeal zu tragen, der sich in Berlusconis Landen hartknäckig einer Kultivierung widersetzt.

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Dieses Geschäft ist in Verona nicht unbedingt deplaziert, es liegt in einer feinen, diskreten Seitenstrasse, aber ich finde, sie sollten unbedingt nach Deutschland expandieren. Denn bei uns fänden sie sicher begeisterte Kundschaft, nachgerade in angesagten Unternehmer- und Politikerkreisen zu Berlin, wo man eben jenes England seit ein paar Jahren für sich entdeckt hat, und es inzwischen ausgiebig zur feinsten Steigerung der Reputation nutzt. Buzziness-Denglisch nämlich ziemt sich ab dem mittleren Erbsenzählermanagement nicht mehr, ab einem gewissen steuervermeidungsfördernden Einkommen muss es schon echt britisch sein, am besten auch mit so einem allerfeinsten, allerbritischsten Apostroph, wie es jene Veroneser einsticken, und es sich unter all den Personality-Peer’s und Hunnen-Hon’s der Berliner Republik grösster Wertschätzung’s erfreut.

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Denn die dort zusammenströmende, selbst definierte Elite hat ein, sagen wir mal, Stil- und  Legitimationsproblem. Berlin war stets bestenfalls zweitklassig, wenn es nicht gerade der Sitz von Diktatoren und geschmacklosen Herrenmenschen war, und in deren Tradition zu stehen erscheint angesichts der langen Halbwertszeit von Geschichte, namentlich der deutschen Geschichte nicht wirklich schicklich. Gerne wird die kurze Blüte der Stadt zwischen Kaiser und Hitler zitiert, aber auch das war, man schlage nach bei Mehring, Goll und Hollaender, nur begrenzt eine grosse Zeit, mit Hunger, Strassenschlachten, Inflation und Arbeitslosigkeit. Also ist man an dieser tabula rasa des Stils und der Geschichte stillschweigend überein gekommen, sich eine anderen Kultur und ihre Erscheinung anzumassen: Die Kultur der Briten zu ihren besten, kolonialen Zeiten, ist eine Art grösster gemeinsamer Nenner der dort tätigen Aufmerksamskeitsmaschinisten. Eigentlich schon sinz 1966.

Als ich zur Präsentation der Zeitschrift “Der Freund” im sog. Journalistenclub des Springerhochhauses zwischen all den runtergetretenen Webteppichen und verbeulten Sektkühlern war, wurde mir das von diversen Mitarbeitern des Hauses während der Bebröselung des Bodens versmalltalkt: Dass Axel Springer hier oben unbedingt die Atmosphäre eines englischen Clubs haben wollten. Edel. Gediegen. Manche Kollegen, die nicht Neigung, sondern ein armes Elternhaus und Broterwerb zum Journalistendasein brachte, und die offensichtlich nicht den Unterschied zwischen einem echten Teppich und Hotelware kannten, schrieben das auch. Das Absteigenambiente lobpreisend, flegelten sich die Mitarbeiter auf überstrapazierten Ledersesseln, trugen Rolex Submariner und hielten die Teller mit dem Buffetessen äussert nah an den oberen Eingang ihres Verdauungstraktes. In englischen Club hätte man ihre Mitgliedschaft für dieses Benehmen vermutlich mit der schwarzen Kugel aus der Elefantenbüchse beendet, aber das ist Berlin. Da hat es Tradition, wenn es von ganz unten nach vierteloben britelt.

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Da gibt es, um in jenem Haus zu bleiben, Figuren wie einen gewissen Herrn Körzdörfer aus der Oberpfalz, deren Zugehörigkeit zu Bayern man als Landeskind nur unter Folter zugeben würde; ein Herr, der sich in Berlin einen englischen Namen “Blieswood” zulegte und eine Stilkolumne in der Bildzeitung schreibt (man halte kurz inne und vergegenwärtige sich die Abgründe, die sich in diesem Satz auftun). Aus dem reichlich unprätentiösen Nürnberg gesellt sich ein gewisser Herr Poschardt bei der “Welt” dazu, der, grosszügig ein Opfer vergessend, Freundlichkeiten über den Veranstalter einer tödlich endenden, britischen Raserveranstaltung mitteilt, sie und ihre Teilnehmer gleichsam in die Tradition der englichen Exzentrik stellt (https://www.welt.de/vermischtes/article3622974/Gumball-3000-das-Leben-auf-der-Ueberholspur.html), und über die polo-, Polo!behemdete Stilsicherheit von FDP-Mitgliedern fabuliert.

Nicht ohne Witz ist es dann, wenn hauptstädtischen Medien Begriffe wie “Ehrenmann” oder “Dame” nicht mehr ausreichen, und man bereitwillig englische Titel wie “Society-Lady’s” oder “Gentleman’s” wie sonst nur Verdacht auf Geschlechtskrankheiten und Scheidungen verteilt, angefangen bei der TV-Prominenz über Spassparteileute bis zum Haarschneider. Der stete Vergleich mit London – ist nicht die Friedrichstrasse fast so bedeutend wie die Bond Street, ist die Galerieszene nicht ebenso gut wie an der Themse, kommen nicht viele Briten hierher, denen London zu teuer ist – rundet das Verhältnis von Vorbild und Nachahmung ab. Eine “Upper Class” hat man noch nicht, weil man sich unsicher ist, ob man dahinter noch ein ‘s anfügen kann, und mit Klasse hat man es in Berlin nicht so, aber bei Society’s ist das kein Problem. Society’s trifft man im Adlon im postkolonialen Tscheinah Klapp, wo die dazugehörigen Firmen gerade ein paar unfeine Probleme haben, über die die Chefin nicht so gerne redet, wie etwa über ihren neuen Laden an der Friedrichstrasse. Aber immerhin: Die Firmenbesitzer sammeln angeblich britische Roll’s Roy’s, und fördern die Ausbreitung des Polosports in den unwirtlichen Weiten Mecklenburgs, das angesichts der Probleme in Heiligendamm und trotz grenzenloser Golfplatzmöglichkeiten wohl eher nicht so schnell zu Mecklenborough`s wird, so sehr das dem Lebensstil der neuen Briten auch entspräche.

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Die es, zugegeben, natürlich leicht haben, sich in den ideologischen Ruinen der Briten auszubreiten. Das England, das von den Rinnsteinschreibern bis zu deutschen Einrichtungszeitschriften als Stilbrennsuppe durch die Zeilen schwappt, ist nach Aussage der darin lebenden Briten wie Nancy Mitford oder Evelyn Waugh mit dem 2. Weltkrieg untergegangen. Das deutsche Beschmachten des Impire’s ignoriert nicht nur die eigene Herkunft aus finstersten deutschen Käffern. Es übersieht den Niedergang einer Nation, die ihre besten Häuser versteigern musste, das Silber in den 70er Jahren einschmelzen liess und ihre bekanntesten Marken an Amerikaner, Inder, Ägypter, Chinesen, Deutsche und – siehe Asprey – an die Familie des Sultans von Brunei verkaufte. Diese Blindheit erst macht Deutschbritannien zu jener idealen und konkurrenzlosen Berliner Erbgrafschaft, in dem man gepflegt beim Tee über die neuesten Affair’s spricht, vielleicht noch eine Style-Zeitschrift oder einen Grill Room oder einen holzgetäfelten Taylor’s gründet, die paar in Berlin ansässigen Läden mit britischen Waren besucht, und Frau Merkel zur norddeutsch-fastschonenglischen Vollendung von Frau Thatcher erklärt. Die Briten haben dank dieser Person und ihren Folgen gerade andere Probleme, als sich um die Bastardisierung ihrer Vergangenheit an der Spree und den angeschlossenen Städten zu kümmern.

Natürlich gibt es auch in der kleinen, dummen Stadt an der Donau einen Golfclub und englische Antiquitäten. Nur käme hier niemand auf die Idee, jemanden als Gentleman oder Lady zu bezeichnen oder sich anderweitig mit schlechter englischen Aussprache zu blamieren; das wäre in höchstem Masse peinlich und alles andere als ein Kompliment. Als “Ladies”, ergab eine Recherche im Internet, bezeichnen sich nur ab und an jüngere, für körperliche Freuden inserierende Frauen. Männer mit gutem Benehmen nennt man “Kavalier”. Eventuelle Adressaten haben englische Titel in einer weitgehend intakten und seit Generationen einbetonierten Klassengesellschaft nicht nötig, und wer es nötig hätte, gehört nicht dazu. Ungewollt – und vermutlich würden sie sich hier auch mit Händen und Füssen gegen den Vergleich wehren, weil man mit ausländischen Sitten nichts zu tun haben will – sind diese überkommenen Kreise erheblich näher dran am nicht weniger überkommenen britischen Gesellschaftsmodell, als jene Bewohner der Spreeinsel im ostdeutschen Morast, die sich nach der Zusammenrottung mit dem ‘s erst noch ihre eigenen, zukunftstauglichen Klassengrenzen erfinden und dann mit neuen Netzwerken gegen den Rest abschotten müssen.

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Wenn es aber stimmt, dass es drei Jahre dauert, ein Schiff zu bauen, aber 300 Jahre, eine Tradition aufzubauen – dann haben die neuen Briten a. d. Spree jetzt seit dem Bau des Springerhochhauses noch 257 Jahre Zeit zum Üben, Versuchen und Abstürzen – und ich bin mir sicher, dass sie bis dahin auch einen Weg gefunden haben, an ihre Upper Class das edle ‘s anzufügen: Upper’s Class etwa entspricht voll und ganz den Zielen jener Gesellschaft.

Offenlegung: Enstanden ist dieser Text auf einem englichen Mahagonischreibtisch, ca. 1870, und mit einer ebenso englischen Teekanne von Mappin & Webb, 1887 – aber der Mahagonistuhl kommt aus Wien des Biedermeier und die Lampenfüsse aus Italien, ca. 1770, die Biedermeierkerzenhalter aus dem Badischen, die Kuchengabel aus Würzburg und das Porzellan aus, ähm, also, der Oberpfalz, die, glaube ich, heute zu Österreich gehört.