Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Christian Morgenstern, Vice Versa
Diesem unserem Staat hat es gefallen, sich in den letzten Jahren zunehmend nicht mehr als “Staat”, sondern mehr als Bürgerkonzern zu verstehen. Aus dem Arbeitsamt wurde die Arbeitsagentur, aus den verstaubten Amtsstuben wurden Service Center, aus langweiligen Landesbanken global agierende Konzerne mit wirklich fancy klingenden Firmennamen auf den Kanalinseln und in Liechtenstein. Aus Staatsbürgern wurden Kunden, die man zufrieden stellen sollte. Ich nun, in meiner Eigenschaft als besserer Kunde dieses Konzerns, der ich als Angehöriger meiner Klasse Anteil an der Mehrheit des Besitzes dieses Landes habe, möchte nun diesem Bürgerkonzern eine Frage stellen, auf die er mir kaum antworten wird: Wie bitteschön mache ich einen Bank Run gegen diesen Staat?
Ich stelle diese Frage hier und heute, weil es das Privileg meiner Schicht ist, diese Frage rechtzeitig zu stellen. Die Schlange vor den Bankschaltern ist nur was für Idioten, die den Lügen von Banken zu lange Glauben geschenkt haben, und auch, wenn es gemeinhin nicht gern erwähnt wird: Es passiert öfters, als man glaubt. In besseren Kreisen war es nach der Lehman-Pleite allgemein üblich, das Geld zu stückeln und auf mehrer Banken zu übertragen, was letztlich dann auch zu jener epochemachenden Garantie von Frau Merkel für die Bankeinlagen und einige hektische Rettungsaktionen zu Folge hatte. Kaum zu glauben, aber nur ein Jahr ist es her, da man in den Abgrund blickte, und mancher einen Anlass sah, schönen Schweiz einen Besuch abstattete.
Der aktuelle Anlass nun ist der viel zitierte Schattenhaushalt, den die Bundesrepublik nach Willen der neuen Regierung anlegen wollte. Man wird mit etwas historischer Erfahrung natürlich, nun, sagen wir mal, misstrauisch, wenn ein Konzern anfängt, problematische Geschäftsfelder bilanziell auszulagern und separat zu führen. Würde etwa ein Immobilienfonds absehbare Belastungen aus der Bilanz nehmen, auf seine bereinigte Bilanz mit scheinbar höherem Eigenkapital dann mehr Schulden aufnehmen und das benutzen, um die Ausschüttung an seine Investoren zu vergrössern – da hätte man schnell mit dem Staatsanwalt zu tun. “Schneeballsystem” nennt man das in der Fachsprache. Man kann eine Weile davon profitieren, aber mittelfristig ist so etwas hochriskant und geht selten gut, wie man jüngst wieder bei den Falk-Fonds erleben durfte.
Es gibt natürlich keine Ratgeber für Kapitalanlagebetrug, kein “Raus mit dem Zaster! Der perfekte Moment, um mit maximalem Profit zu gehen”. Gemeinhin ist man als Anleger, wen einem solche Tricks zu Ohren kommen, stets gut beraten, den Anwalt, ja vielleicht sogar den Staatsanwalt aufzusuchen. Hier bei uns nun, im Staatskonzern, liegen die Dinge natürlich etwas anders; man weiss von der Bereitschaft des neuen Managements, solche “aussergewöhnlichen” Wege zu beschreiten, da sind Draufgänger am Werk, die lassen die Kugel rollen, die riskieren was: Denn, so deren Devise in klassischer Kapitalmarktmanier, wenn es gut gegangen ist, fragt nachher keiner nach den krummen Wegen, die man gehen musste. Und wenn es schief geht – ist man im Gegensatz zum Fondsabzocker in der komfortablen Lage, nicht den Staatsanwalt fürchten zu müssen, sondern selbst die Legislative zu sein. Und sogar der neue Finanzminister hat einschlägige Erfahrung mit der Finanzierung durch Gelder, die einfach so ins Büro gebracht werden.
Das ist fein für die Leitungsebene des Staatskonzerns, aber ich meine in meinem Umfeld eine gewisse Sättigung zu verspüren, was riskante Strategien angeht. Wir haben das in letzter Zeit ein paar Mal erlebt; da gab es etwa einen Vermögensverwalter in der kleinen, dummen Stadt an der Donau, der beim Dollarkurs von 1,45 zum Euro geraten hat, jetzt einzusteigen. Vor ein paar Monaten wäre das ein gutes Geschäft gewesen, heute jedoch wäre man schon wieder in den Miesen. Zu unsicher ist das alles, man hätte gern solide, sichere Finanzen, die ruhige Bauernbank statt der laut werbenden britischen Geldhäuser, die in Deutschland enorme Zinsen unter Verschweigung hoher Risiken offerieren. Kurz, nach einer Epoche der Renditejagd steht uns allen die Sicherheit gut zu Gesicht, weshalb der Münchner Immobilienmarkt leergefegt, das Gold jenseits der 1000 Dollar und die Vermögensverwaltung in einer leisen, aber durchaus fühlbaren Krise ist. Man schliesst nicht mehr gerne riskante Wetten auf die Zukunft ab, man ist froh, die Gegenwart gut zu durchleben. Wir sind, seien wir ehrlich, gerade noch einmal durchgekommen. Und nun stellt sich natürlich die Frage, wie man die letzte, grosse Risikoposition glattstellt: Den hoch verschuldeten, oder schöner gesagt, den hoch geleverageden Bürgerkonzern, der seit einem Jahr auch noch für die Risiken von Banken und Wirtschaft garantiert.
Natürlich kann man nicht so einfach zum Staat gehen und dort sein Vermögen, seinen Anteil daran abheben. Hinter der bürgerfreundlichen Fassade ist es immer noch die alte Zwangsgemeinschaft, und es gibt auch keinen Sekundärmarkt wie etwa beim Grauen Kapitalmarkt, an dem man die paar Quadratmeter Strasse, ein paar Schuss aus Bundeswehrbeständen, eine lockere Schraube aus Frau Merkels Dienstwagen und einen Kubikmeter verstrahlten Salzsteins im Endlager verkaufen könnte. Der Staat hat das Vermögen seiner Bürgerinvestoren ziemlich fest angelegt, und ich fürchte, dass man nicht umhin kommt, diesen Teil des Vermögens im Staate zu belassen. Man sollte sich an den Gedanken gewöhnen: Dieser Staat ist keine Bank. Sondern eher etwas wie ein Fonds des Grauen Kapitalmarkts, dessen persönlich haftende Gesellschafter wir sind, mit Kündigungsfrist erst beim Ableben. Das ist spät. Bis dahin kann viel passieren.
Zu hoffen bleibt allerdings, dass dieser Bürgerfonds schlau genug ist, sein Wesen auch weiterhin geschickt zu verbergen, indem er scheinbar Wohltaten verteilt und an seiner Corporate Identity strickt. Früher nannte man das Nationalismus, das ist nicht wirklich fein, aber ein wenig Identifikation für die Massen sollte schon sein. Und mit dem Hinweis auf die spätere Rentenauszahlungen hat auch so mancher Betrüger der Fondsszene seine Investoren lange bei der Stange gehalten: In den Sektoren des Schiffsbaus und der Filmförderung konnte man auch wirklich reiche, gebildete Leute ihr Geld im Prinzip Hoffnung verlieren sehen. Wenn der Starnberger Zahnarzt schon auf solche Maschen reinfällt, sollte der Bürgerkonzern doch auch in der Lage sein, seinen meist weniger erfahrenen Gesellschaftern zukünftige Wohltaten schmackhaft zu machen.
Gar nicht überrascht wäre ich jedoch, wenn sich in den nächsten Jahren nicht der ein oder andere Gesellschafter doch leise und still vom Acker macht: Das Vergleichen von Renditen nämlich ist für bessere Kreise das, was in den schlechteren Vierteln das Studium der Werbeprospekte darstellt. Sollte aber, was zu befürchten ist, am Ende der Vergleiche feststehen, dass dieser hiesige Bürgerkonzern bei allen Risikofeldern und doppelter Buchführung immer noch mit einer der Solidesten ist, wird man wenigstens hoffen dürfen, dass andere aus weniger glücklichen Bürgerfonds ihr Geld lieber hier anlegen, und so zur Rettung beitragen, während andernorts die Konzerne den Bankrott anmelden müssen.
Trotzdem erstaunt mich die Penetranz, mit der mein Staat seine eigene Rolle als Wirtschaftskonzern neu vermitteln möchte: In eimem Staat mit einer ideologischen Basis denke ich durchaus auch an andere. Als Kunde einer Firma dagegen ist der eigene Vorteil mein Begehr, die Rendite, der Zins. Und da würde ich als haftender gesellschafter gleich einmal vorschlagen, nicht die Bahn zu privatisieren. Outsourcing von Bundesländern und eine Bad Berlin Bank zum Beispiel würden den Marktwert und die Eigenkapitalrendite des wirtschaftlichen Kernlandes sicher erhöhen.