Der Dienst im Hause war ein patriarchalischer, familiärer, alle lebten in guter Freundschaft miteinander.
Emile Zola, Germinal
Diese Schwelle, gefertigt aus schwerer Eiche des Donautales und wie der Türstock gut 290 Jahre alt, ist eine Grenze. Es war die Grenze zwischen dem Eingangsbereich und jenen Räumen der Familie, die man nur betreten durfte, wenn man eingeladen war. Es war für manche auch die letzte Schwelle, die sie überschritten, wenn sie daheim starben und danach die erste, die sie auf dem Weg ins Nichts überquerten. Diese Schwelle führt nun in meinen grössten Wohnraum, und es gibt manche, die ich eintreten lasse. Andere würde ich sie nie überschreiten lassen. Teils, weil ich sie nicht eingeladen habe, teils, weil ich Schlimmstes befürchte. Die Putzfrau jedenfalls ist jene Person, die mir nicht über diese Schwelle kommt.
Was Reinigungspersonal angeht, ist die Lage bei mir im Haus so komplex wie mittelalterliche Rechte verschiedener Herrschaften in einem Dorf. Als Verantwortlicher für ein grosses, altes Haus könnte ich natürlich Hof und Treppen selbst reinigen, was die Mieter sehr freuen würde: Ihnen entstünden keine Kosten durch meine Arbeit. Engagiere ich aber eine Reinigungskraft, so werden die Kosten unter den Bewohnern aufgeteilt. Als Verantwortlicher habe ich also ein Ehepaar engagiert, das das Treppenhaus und den Hof besorgt. Als Wohnungsbesitzer dagegen wehre ich mich energisch gegen Hilfe beim Reinigen, so sehr sie mir auch angetragen wird. Zu gerne etwa würden es meine Eltern sehen, dass meine Wohnung einmal richtig nach ihren Sauberkeitsmassstäben durchgeputzt wird. Ab und an wird mir auch gedroht, man würde die Reinigungskräfte damit beauftragen, wenn ich in Urlaub bin. Und es besteht kein Zweifel, dass sie das auch perfekt tun, alle Staubmäuse ausrotten und die Photos der verflossenen Geliebten in Reih und Glied aufstellen würden, selbst wenn meine gestaffelte Anordnung durchaus ihre tiefere Bedeutung hat.
Allein, meine Vorbehalte dagegen sind fest und unumstösslich, wenngleich es auch, wie bei jedem Krieg, eine Kampfzone, ein Niemandsland gibt. Diese Kampfzone ist mein Bad. Wir hätten natürlich im Hof auch ein Waschhaus mit fliessendem Wasser, aber das ist im Winter wegen der Frostgefahr abgestellt. Es ist also unumgänglich, dass das Wasser für die Reinigung in meinem Bad geholt wird, und über diesen Umstand hat es sich nun auch ergeben, dass mein Bad, nachdem das Spülwasser dort auch wieder verschwindet, geputzt wird. Was vollkommen überflüssig ist, denn mein Bad ist ungenutzt – als Freund des Duschens meide ich die Badewanne und präferiere die Dusche in der Gästewohnung. Die Reinigungskräfte können sich sagen, dass sie wenigstens mein Bad erobert haben, und ich kann mir sagen, dass sie nur eine Attrappe besetzen. Mit bisweilen allerdings fatalen Folgen.
“Niemals Putzfrau” etwa sagte ich als Wohnungsbesitzer zum Hausverwalter an jenem Samstag, da ich auf den Wochenmarkt wollte. Bin ich daheim, lasse ich meinen Schlüssel aussen stecken, damit die Perlen an frühen Morgen wissen, dass ich da bin und – in aller Regel – noch tief und nicht immer allein schlafe. Normalerweise machen sie danach einfach die Tür zu, aber an jenem Samstag schlossen sie gedankenverloren ab, und legten den Schlüssel in das Versteck, wo er ist, wenn ich nicht da bin. Man ahnt es, einen anderen Schlüssel hatte ich gerade nicht in der Wohnung. Klettere ich eben durch das Badfenster in den Gang, dachte ich mir. Es ist schon erstaunlich, wie wenig man die architektonischen Besonderheiten des eigenen Stammsitzes im Kopf hat, bis man das Fenster aufmacht und sich vor einem Gitter sieht. Und es tut der Autorität durchaus einen gewissen Abbruch, wenn man die Mieter durch ein Gitter bitten muss, einen wieder zu befreien.
“Niemals Putzfrau” ist aber auch meine innerste Überzeugung, gespeist aus meiner Erziehung, in der mir auch niemand das Zimmer aufräumte. Bei uns trug jeder selbst den Teller ab, und auch dem Spülen entging man nicht. Ich finde das richtig – will man Blagen zu verantwortungslosen Scheusalen erziehen, lasse man diese Arbeiten von anderen bezahlt verrichten, der Nachwuchs gewöhnt sich schnell daran, dass immer jemand da ist, der einem den Dreck wegräumt. So züchtet man Banker und Fahrerflüchtige, aber keine verantwortungsvollen Mitglieder der Gesellschaft. Ausserdem leben wir im 21. Jahrhundert. Für jemanden wie mich – allein wohnend, nicht überarbeitet, ausreichend grosse Wohnungen – gehört das einfach dazu, dass ich aufräume, was ich schmutzig mache.
Ich denke, dass jene zeitlosen Vielschufter, die ohne Putzfrau gar nicht mehr auskommen, keine Putzfrau brauchen. Die Putzfrau putzt bei ihnen nicht, sie schafft ihnen Zeit, anderweitig noch mehr zu schuften, typischerweise beim Verfassen arroganter Schnöselschreiben am Rechner und beim Besuch aufgeblasener Geschäftstreffen. Eine soziale Beschäftigung, die ihnen Verständnis für ihr eigenes Wesen und Disziplin geben würde, wird eingetauscht gegen Arroganz und Hochmut, gegen eine Belohnung für nicht wirklich gutes Benehmen. Sie entkoppeln sich vom scheinbar “Niederen”, um oben das zu tun, was häufig genug niederträchtig ist.
Die Wirkungsweise kann man an den asozialsten Orten der Republik betrachten: Man besuche nur mal verlängerte Frühstücke rund um die Berliner Kastanienallee oder den Helmholtzplatz. Die sind am Wochenende übervölkert, weil die Transferleistungsempfänger aus Lobbyvereinigungen, Politik, Juristerei und Projektjournaille gerade ihre schwarz arbeitenden Putzfrauen daheim haben, die sich nach der regulären Tätigkeit in ihren Büros etwas dazu verdienen. Man lausche dort den Gesprächen, wie diese dem Westen entflohene Unterschicht dann das neue Grossbürgertum gibt, indem sie sich über die Vorzüge der Putzfrauen austauscht und Kontakte zu osteuropäischen Studentinnen handelt. Denn das “Kopftuchmädchen” und die arbeitslose Russin aus den schlechteren Vierteln passen dem neokonservativen Sarrazinling nur so lange nicht, bis sie über seiner Toilettenschüssel für 5 Euro die Stunde schuften.
Bei uns ist das nicht so. Sehr wohl verstehe ich das Bestreben meiner Perle, meine Hemden am Morgen wegzuräumen, wenn sie nach dem Konzertbesuch noch am nächsten Morgen im Bad hängen. Nur macht mir Putzen auch Spass. Nicht immer, nicht überall. Aber nirgendwo kommen mir bessere Einfälle, als beim Geschirrspülen. Ich habe in meinen Wohnungen, alles in allem, 26 Kristalllampen, der grösste Kronleuchter hat weit über 1000 Glassteine – ich liebe es, sie zu putzen. Man frage mich nicht nach dem Silber, denn dafür bräuchte ich eine Personenwaage – es ist viel, und zwei Wochenenden würden sicher im Jahr dafür aufgewendet werden müssen, würde ich nicht die drei Minuten, die der Tee zieht, stets zum Putzen von drei Besteckteilen nutzen. Ich freue mich am Glanz und denke dabei gerne an Berliner in ihren schicken Lokalen, die mit Stahl von Ikeageschirr essen. Putzen ist nur eine Qual, wenn man dabei die Hässlichkeit der eigenen Existenz vorgeführt bekommt.
Natürlich, das muss ich gestehen, gibt es unterschiedliche Auffassungen von Sauberkeit. In den Augen meiner Perle und meiner Mutter, die sie über meine Schwelle schicken möchte, ist meine Wohnung immer noch dreckig und nicht im Mindesten mit dem vergleichbar, was man in den 50er Jahren Frauen an den Schulen lehrte. Und es ist richtig, ich sehe durchaus einen gewissen Sinn darin, Dinge nicht aufzuräumen. Ich gestalte in meiner Küche absichtlich Stillleben. Je krummer eine Aubergine ist, desto eher lasse ich sie sichtbar liegen. In einer alten, irdenen Suppenschüssel liegen ein paar Kilo Silberbesteck ohne Ordnung, weil es mir so gefällt. Andere Dinge bleiben liegen, weil sie an unerledigte Aufgaben erinnern. Ich muss jeden Tag mehrmals an den Unterlangen meines 55er Sunbeam Supreme Mk. III vorbei, der in Frankfurt immer noch des Schweissens harrt. Würde ich die Unterlagen wegräumen, vergässe ich um die Dringlichkeit des Anliegens. Ordnung ist es nicht, aber es ist in Ordnung.
Würde meine Perle die Schwelle überschreiten, würde sie mit Staubsauger, Tuch und deutscher Gründlichkeit hier einfallen, sähe es nachher aus wie im “Don Alphonso Museum für kreative Schreib- und Wohnkultur”, sauber, geleckt, deutsch und einem Bewohner weltenfern, der dann in seinem verrosteten Sunbeamwrack in einer Schlucht unterhalb des Stilfser Jochs verfault. Die Perle des Hausverwalters ist eine ebensolche, wenn es um das perfekte Aussehen des Treppenhauses geht, aber der Wohnungsbesitzer würde mit ihrer panzergleichen Sensibilität gegen die feine Abstufung vom funkelnden Kronleuchter über hingeworfene Jacken bis zum abgenutzen Stoff auf dem Arbeitsstuhl einfach nicht zurecht kommen. So bin ich nun mal. Das Segelboot bleibt bitte im Bad, das gehört neben die Wanne, womit sollten Gäste denn sonst im Bade spielen, dito auch die Kerzenleuchter. Wer die Schwelle überschreitet, sieht, wie ich bin. Und nicht eine gekaufte Konstruktion der Sauberkeit von Menschen, die inwendig vielleicht auch sauber sind, oder komplett verrottet – ich weiss es nicht. Ich bin zufrieden und Herr meiner selbst, was man nicht von jenen behaupten kann, die erst mal aufräumen müssen, um ihre Putzfrau eintreten zu lassen.