Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der roadsterfahrende Christbaumkugelbär

Ich übernehme für Folgen aus diesem beitrag keinerlei Verantwortung, und besonders nicht, wenn Frauen und Kinder an den Rechner gelassen werden. Mehr denn je gilt: Lesen auf eigene Gefahr. Denn nichts und niemand, ausser vielleicht Osama bin Laden und unangenehm kleinliche Schweizer Hasser von Minaretten, ist gefeit gegen die Verlockungen in bester Münchner Lage - und schon gar nicht die besseren Mütter aus Frankreich und Starnberg.

Wenn man das zierlichste Näschen von seiner liebsten Braut
Durch ein Vergrößerungsgläschen näher beschaut,
Dann zeigen sich haarige Berge dass einem graut.
Joachim Ringelnatz, Genau besehen

Die aschblonde Französin raucht hastig, und schaut nervös durch das Fenster. Sie muss rauchen, denn der Tag war menschlich eher schwierig, und sie muss schauen, denn mit der Zigarette darf sie nicht hinein. Drinnen quäken ihre Kinder mit denen einer typischen, jedoch nicht rauchenden Starnberger Mama um die Wette. Die aschblonde Französin trägt einen feinen Wollmantel über dem kurzen Rock und einen unfein gestressten Zug in den Mundwinkeln. Als sie noch keine Kinder hatte, sah sie rauchend vielleicht gar nicht unelegant aus. Hier jedoch, in der abendlichen Kälte des ersten Voradvents, sieht sie einfach nur aus wie eine vermögende Französin, die sich das Kinderhaben vermutlich anders vorgestellt hat.

Bild zu: Der roadsterfahrende Christbaumkugelbär

Die Kinder jedoch haben sich das Kindersein einer im Normalzustand immer noch eleganten und vermögenden Französin in Aschblond vermutlich genau so vorgestellt: Mama ist draussen, und drinnen richten sie maximales Unheil an. Alles ist zerbrechlich, aus dünnem Glas und teuer, mit jedem falschen Griff zu einem Gegenstand könnten sie, herkulesgleich, Bäume umreissen, und man sieht den Verkäufern an, dass sie am liebsten jede Sekunde zugreifen würden, um Schlimmeres zu verhindern. Eine unerträgliche Spannung der unausweichlichen Katastrophe liegt über der Szene, nur die Starnberger Mama bekommt nichts mit und fragt ihre Tochter in  blauem Flanell: Willst Du das? Oder das? Oder beide?

Keine hundert Meter wäre, glühweingeschwängert und sangesüberdröhnt, der normale Münchner Weihnachtsmarkt, voll mit Italienern und deutscher Provinz, die sich mal was in München gönnen möchte. Dort sind Kinder und Mütter durch eine Bretterwand und Personal von ihrem zerstörerischen Treiben getrennt, dort kann man schauen und kaufen, aber nicht anfassen. Hier, in jenem Tischdekorgeschäft, das sich in dieser Zeit zu einer kitschigen, goldüberladenen Schatzkammer wandelt, ist das anders. So offen man alles anfassen kann, so prohibitiv sind die Preise.

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Schuld ist natürlich nur das grosse Kleiderkaufhaus gegenüber und deren Unfähigkeit, Starnberg das zu liefern, was der Starnberger Wille ist. Bis vor ein paar Jahren gab es dort jene amerikanisch-britischen Besonderheiten, ohne die es in besseren Haushalten zu Weihnachten rund um den Baum kaum geht. Es ist die Sonnenseite der Globalisierung; dort die Unterjochung mit Chinesischkurse in den Luxuskindergärten, hier die Christmas Trinkles, Phantasiefiguren, Katzen mit gestreiften Socken und Geschenken, elegante Krokodile mit Pumps und Frack, nicht nur als Baumschmuck, sondern auch als Salz und Pfeffer (sagen Sie bitte nichts, neben meinem Dutzend Silberstreuern habe ich die auch), ja sogar eine Krokotasche: Das Damenkrokodil dieser Serie mit Henkel. Für das grosse Kaufhaus reichte der Umsatz wohl nicht ganz aus, und so verschwanden diese Oberklassenprodukte aus dem dortigen Weihnachtsmarkt.

Hier jedoch sind sie noch zu haben, und sind angetan, den kleinen Laden in ein Gewühl aus Entzückensschreien und patschender Kinderhände zu verwandeln. Nicht aller Kinderhände natürlich: Zu Preisen, da in den schlechteren Vorstädten ganze Wohnblocks mit blinkenden Weihnachtsmännern für die Öffentlichkeit illuminiert werden, finden sich tief verschneite Gabenbringer und Elfen, Katzen in Einkaufstüten, roadsterfahrende Bären und Elche und, für die jungen Damen, natürlich auch Froschprinzessinnen mit Perlenkettchen, alles klein, zart, zerbrechlich und nur für ganz bestimmte Innenräume geeignet. Denn dergleichen wäre, beleuchtet und an die Fassaden geklebt, vielleicht noch etwas mehr daneben als jene Las-Vegas-Flutlichter, die andernorts von der stillen Zeit und vollen Auftragsbüchern in China künden.

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Es sind dies die Innenansichten jener stilleren und scheinbar dezenteren Welt, die sich nicht so aufdrängelt – aber im direkten Erleben nicht weniger bunt und schräg, nicht weniger von unartigen Kindern gefordert, aber bei aller Verschwendungssucht und Gier eben auch die richtige, die jenen Kreisen angemessene Begeisterung ist; ein Wollen, das sich nur wenige leisten können und ganz einem selbst, und nicht dem Teilen mit der Allgemeinheit geschuldet ist. In dieser Hinsicht passt es auch, wenn sich diese sehr eigene Welt in einen kleinen Laden zurückgezogen hat, wo das Publikum zwischen Paris und Starnberg und ihr Nachwuchs ganz unter sich bleibt, mit ihren Wünschen und Vorstellungen von einem glücklichen, feenverzauberten Fest.

Natürlich hat das alles auf seine ganz eigene Art und Weise nur noch wenig mit Religion zu tun, auch hier feiert die Profanisierung fröhliche Urstände. Christkinder, Krippen und Ähnliches sucht man vergebens, die Globalisierung der Kinderfreuden kann offensichtlich bei diesen Preisen nur wenig mit Obdachlosigkeit und Behelfsgeburt in agrarischen Zusammenhängen anfangen. Solange die Väter nur genug verdienen, braucht man nicht zwingend einen Erlöser, und angesichts der real existierenden Folgen sind vielleicht zipfelbemützte Braunbären in offenen Sportwagen oder Pelze auch für Christbaumkugeln keine allzu schlechte Ideologie im Arsenal der kindlichen Prägung.

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Die aschblonde Französin hält es nicht mehr lange aus; sie wirft die halbfertig gerauchte Zigarette weg, atmet den Rauch in den Laden hinein aus, und belehrt ihre Kinder, dass sie vorsichtig sein müssen. Dann pflückt sie – höflich und acht gebend, kein Starnberger Kind zu behindern – dies und jenes von den  Bäumen und zahlt, bevor der Nachwuchs auf die Idee kommt, auch zur Decke zu schauen, wo noch mehr davon zu sehen ist. Die Starnberger Mutter dagegen beugt sich hinab zu ihrer Tochter und zeigt hinauf, und kein Stern von Bethlehem könnte die Augen grösser machen, als das Funkeln der mit Kugeln überladenen Kronleuchter, und kein vom Glühwein bezechter Provinzler stört das stille, nun gut, im ersten Moment stille Kinderglück. Sie wählt immer noch aus, als ich gehe; dieses noch und jenes auch, und die aschblonde Französin steht, kinderumwuselt, wieder vor der Tür und raucht die nächste Zigarette.

Von weiter vorne dringt der Lärm des allgemeinen Marktes herüber, die Stadt ist knallvoll und sehr fern von Dubai und London. Später werden sie alle heimfahren, und im Hasenbergl wird das Knistern der Plastikverpackungen in Kinderohren kaum weniger angenehm klingen, als das feine Rascheln des Papiers, in dem Elfen und Elche dem diskreten Fest entgegenträumen, vielleicht sogar in einem Alpendorf zwischen Garmisch und Chamonix, wo es wirklich Schnee gibt, und nicht nur städtischen Matsch, in dem sich Lichterketten aschfahl spiegeln.

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Begleitmusik: Überhaupt, wenn man schon auf den religiösen Inhalt verzichtet, könnte man auch von den üblichen Weihnachtsklängen zu dieser Jahreszeit absehen – auch in der Alten Musik wird man gerade wieder mit den üblichen Angeboten von Gregorianik bis Barock überhäuft. Der kontrastprogrammatische, roadsterfahrende Christbaumkugelbär könnte in meinen Augen die CD Olinto Pastore von Glossa sein, amüsante und leichte italienische Singspiele von eben jenem Händel, der in späteren Jahren jene Messen schrieb, denen der Klassikfreund in diesen Zeiten ebenso wenig entkommt, wie das amerikanische Hauskreditopfer den Jingle Bells, und der SPD-Abweichler den freundlichen Aufmerksamkeiten des begünstigten Ministerpräsidenten.