Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Sparsamkeit von der Tugend bis zur Dummheit

Hätte früher jemand nicht sehr viel Geld angespart, gäbe es keine bessere Gesellschaft. Irgendwer hat verzichtet, um den Geldberg anzuhäufen, auf dem jene sitzen, die auf andere hinunterschauen. Die Frage jedoch ist: Wie sinnvoll ist eine weitere Anhäufung, wenn man am Ende nichts davon hat und vielleicht sogar Angst haben muss, dass schlechte Banker und Politiker den Geldberg auch noch zu verkleinern wissen? Eine Antwort habe ich auch nicht. Wie eigentlich niemand.

Ich ging ans Meer, langweilte mich, ich wusste, dass ich mich langweilte, und ging doch weiter ans Meer.
Luigi Malerba, Die Schlange

Neben den Verhaltensweisen, die so undenkbar sind, dass man sie gar nicht explizit verboten hat – Drogen, Glücksspiel, Prostitution – gab es in den Kreisen dieses Blogs auch Tätigkeiten, die so offensichtlich richtig waren, dass man sie nicht befehlen musste. Man hatte Vater und Mutter zu ehren, stets Bitte und Danke zu sagen, und zu sparen. Dafür gab es für die Kinder Sparschweine, Sparbücher, kleine Geschenke und ab und an auch Kinoverführungen, während die gleichen Banken den Eltern Fresspakete, Silbermünzen und, wenn sich herumgesprochen hatte, dass die bei den eher intellektuell veranlagten Rezipienten nicht so gut ankamen, auch Kunst aus den hauseigenen Kunstförderprogrammen zukommen liessen. Sparen, sagten diese Gesten, lohnt sich. Auf eine lange und gedeihliche Partnerschaft, vom Sparbuch über den Hauskredit bis zur späteren Vermögensverwaltung.

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Auf diesen, besonders bei der besitzenden Klasse üblichen Mechanismen beruht die wirtschaftliche Gesundheit der Bundesrepublik, das hohe Privatvermögen des Landes, und die Stabilität des hiesigen Banksystems, das nicht etwa wegen der Sparer an sich, sondern eher wegen dummdreister Zockerei mit ihrem Geld auf anderen Märkten beinahe vor die Hunde gegangen wäre. Vor etwas mehr als einem Jahr kam es dann zu einigen Bank Runs, manche, wie bei Northern Rock in England, offensichtlich und vom TV übertragen, andere, wie in Deutschland und Österreich, von einem Kartell aus Banken, Medien und Politik weitgehend verschwiegen. Darüber redet man auf beiden Seiten nicht; die Banken und die Politik sind froh, dass sie es überstanden haben, und die Anleger haben den Eindruck, dass sie gerade noch einmal davon gekommen sind. Vorerst.

Was aber in den Westvierteln geblieben ist, ist ein tiefes Misstrauen, dessen Grundlagen schon lange vor der Finanzkrise gelegt wurden: Da war der Niedergang der von der Politik als “Jobmaschine Internet” gefeierten New Economy, an der sich viele die Investorenhände verbrannten. Da waren all die Steuersparmodelle bei Schiffen, im Osten, für Filme und Gewerbeimmobilien, deren Ergebnisse weitgehend dem entsprachen, was in den Prospekten als Risiken aufgeführt wurde. Da waren Rentenangebote, deren Durchrechnung schnell zeigte, dass vor allem die Banken etwas davon hatten, aber wer konnte schon wissen, was in 30, 40 Jahren davon übrig blieb. Und dann, als Sahnehäubchen, die Finanzkrise mit all den Ängsten vor dem Staatsbankrott, der Hyperinflation, dem Währungsschnitt.

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Nun ist es in der besseren Gesellschaft nicht leicht, mit Traditionen und über Dekaden eingeübten Regeln zu brechen. Niemand sagt, dass die im Fernsehen üblichen Promiskuität tatsächlich einfacher und amüsanter als eine lebenslange Ehe ist, also könnte man es doch mit dem Begehr der Nächsten Partner und Kinder versuchen. Niemand zahlt heute mit grösserer Freude Steuern, weil Schlupflöcher und Steuerparadiese dicht gemacht werden, und Banken jede kleine Mietzahlung an die Finanzämter übermitteln. Aber, so mag mir scheinen, bei der Sparsamkeit ist der Punkt erreicht, an dem man tatsächlich von einem Paradigmenwechsel sprechen kann: Einerseits herrscht das Gefühl der Bedrohung vor, das Ersparte könnte einem weggenommen werden. Andererseits, und das besonders in der jüngeren Generation, stellt sich die Frage, wofür man eigentlich sparen sollte.

Die Rolex? Bekommt man zum 18. Geburtstag. Das Auto und der Führerschein? Spätestens zum Studienbeginn. Die eigene Wohnung? Moderne Eltern sind froh, wenn die Kinder sich Balkone und Quadratmeter in bester Lage wünschen, andere, so hört man, bevorzugen eher Kokain, Alkoholexzesse und teure Verhältnisse zu wenig passenden Partnern. Für später? Das “Später” vielleicht, jenes Alter 60plus, wenn man ohne eigene Kinder geerbt hat und ohnehin nicht weiss, wohin mit dem Geld? Was bei den klassischen Einzelkindern der Westviertel definitiv fehlt, ist der schlüssige Grund für die Sparerei der Eltern und Grosseltern. Alles, was man sich früher erspart hat, das Geschirr, das Tafelsilber, die Perserteppiche, die umfangreiche Ausstattung mit Damasttischdecken und heute wieder beliebten, handbestickten Bettüberzügen, der Zweitwagen und Drittklassiker – das alles ist da, und dank der Erbgänge in mehrfacher Ausführung. All die Villen der Vorstädte mit ihren 300 Quadratmetern Wohnfläche, den Pools im Keller und den Einliegerwohnungen im Dach sind viel zu weitläufig für das normale Einzelkind und seinen Lebensentwurf. 

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Das ist die positive Seite des Versagens, die Werte der Elterngeneration selbst schaffen zu können: Es gibt keinen Grund mehr dafür, es ist schon alles da. Nur Unterprivilegierte geben mit ihrem selbst ersparten Haus, ihrem Auto, ihren Boot an: Wer ohnehin schon hat, muss sich eher mit der Frage auseinandersetzen, wo das ganze Zeug sinnvollerweise so verteilt wird, dass es einen beim angenehmen Leben nicht zu sehr stört. Ein Haus ginge ja noch, aber wenn zwei Grosstanten ohne direkte Nachkommen sterben und man sich auch noch um die Drittvilla kümmern müsste, hat man wenig Spass und viel Arbeit. Sparsamkeit wird dadurch irrelevant bei jener Gruppe, für die Wohlleben etwas anderes als ein möglichst grosses Depot bei einer Bank ist. Und die spiessigen Fresskörbe und Silbermünzen der Banken könnte man sich auch selber kaufen, wenn man sie bräuchte. (Kleiner Ratschlag an eine hier vielleicht mitlesende deutsche Bank: Versuchen Sie es mal mit Dingen, deren Preise man nicht einfach herausfinden kann. Wenn das Pesto zu billig war, kommt diese Wertschätzung bei den Kunden auch dann nicht an, wenn der Korb direkt an die studierenden Kinder weitergereicht wird. Dito der Blumenstrauss beim Geburtstag der Gemahlin.)

Ich wüsste auch nicht, wie sich diese veränderte Auffassung umkehren lassen könnte: Niemand hat heute noch Angst vor den räuberischen Armen, vor denen man das Geld bei der Bank verstecken müsste. Verschwunden ist auch weitgehend die Angst vor dem sozialen Abstieg, denn selbst im schlimmsten Fall kommen klassische Einzelkinder mit dem Besitz der Eltern und einer kleinen Nebenarbeit bis zum Ende ihrer Tage durch, und an die Rente glaubt man ohnehin schichtenübergreifend nicht mehr. Und die Banken gelten nach den Krisen und ihren schrägen Produkten – jeder kennt eine Lehman-Oma und einen Filmfondsonkel – auch nicht mehr als sicherer als Versprechen eines gewissen Herrn Blüm. Der enorme Werbeaufwand, mit dem Banken versuchen, ihrem Treiben einen Sinn für das Leben der Wohlhabenden zu unterstellen, zeigt das Dilemma auf: Die Wohlhabenden selbst haben die Argumente für das Sparen – zumindest in meiner Generation – auf dem Weg ins Erwachsenendasein verloren, also muss man ihnen neue Argumente einreden, um jenes Geld zu bekommen, das man an arme Leute mit Bedürfnis für neueste Plasmafernseher zu extremen Überziehungszinsen verleiht.

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Es gibt anderes in dieser Schicht, das ebenfalls seine Existenzberechtigung mehr oder weniger verloren hat, und das nur noch aus Tradition oder gar Gedankenlosigkeit betrieben wird: Die Tischdecke etwa, die Ärmelknöpfe am Sakko, das in Ehren gehaltene Sonntagsgeschirr von Tante Gertrud. Es ist eben so, man kennt es nicht anders, und der Aufwand, es zu betreiben, hält sich in engen Grenzen. Sparen jedoch ist auch Entsagung und Aufwand, bedeutet Termine und Gespräche mit Leuten, die nicht wirklich so wirken, als wüssten sie, was sie einem verkaufen, es heisst Verzicht und langfristiges Denken in einer Welt, die selbst nur noch hektisch in Quartal und Saison denkt. Es bedeutet Mühsal ohne greifbare Ergebnisse bei recht hohen Risiken, es steht dem angenehmen Leben damit diametral gegenüber – ich wäre gar nicht überrascht, wenn es in den nächsten paar Jahren offiziell wegen Sinnlosigkeit und Kontakt mit unerfreulichen Menschen von der Liste der bürgerlichen Tugenden der neuen Generation gestrichen werden  würde.

Es bleibt ja immer noch das Verbot von Drogen, Glücksspiel und Prostitution, am besten genossen in einer Region, wo es das nicht gibt und die Quadratmeterpreise dank all der anderen Möglichkeiten erst gar keine Sparsamkeit zulassen.

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