Die bitteren Lager in diesem leidigen Haus,
sie wissen um mein nächtlich Leid
Sophokles, Elektra
Der einzig unangenehme Teil am Vermietergeschäft ist der Mieterwechsel. Jahrelang kommt Geld ohne Aufwand auf die Konten, ein paar ehrenwerte Taten sind ab und an zu verichten, man muss reden mit den Leuten, sagte meine Grossmutter immer, und sie hatte natürlich wie immer recht: Das schafft eine angenehme Athmosühäre im Haus, man versteht sich, löst die kleinen Probleme im Vorbeigehen, und immer ist jemand da, der für die anderen Post annimmt oder beim Tragen helfen kann, wenn ein Sofa kommt. Die glücklichsten Menschen sind in der Regel jene, die in guten Münchner Lagen ein grosses Haus besitzen, und auch in der kleinen, dummen Stadt an der Donau mit ihrem exzellenten Wirtschaftswachstum gibt es schlimmere Tätigkeiten, als sich um die eigenen Inmobilien zu kümmern. Allein der Mieterwechsel ist immer etwas schwierig, man muss die neuen, gestiegenen Mietpreise festlegen, ein paar Dinge an der Wohnung sind immer noch selbst zu machen oder bei der Gelegenheit zu verbessern, ein, zwei Monate Mietausfälle sind nicht auszuschliessen, und um manchen Mieter, der es nun selbst zum Hausbesitzer gebracht hat, ist es wirklich schade.
Scherzhaft – denn solche Luxussorgen schätzt man – wird dann immer diskutiert, ob man nicht einfach alles, wirklich alles verkaufen und sich mit dem Geld bis zum Ende aller Tage ein schönes, soweit möglich sorgen- und arbeitsfreies Leben machen sollte. Das ist ein nicht ernst gemeintes Ritual, denn wie meine immer Recht habende Grossmutter auch betonte: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Wie wenig ernst gemeint solche Überlegungen aber in Tagen wie diesen sind, zeigte sich, als bei einer anderen Immobilie – ein kleines, freistehendes Haus mit grossem Garten – ein Mieterwechsel im umgebenden Viertel herumsprach. Dann nämlich ertönte bei uns das Telefon, und auf der anderen Seite machte es der Herr kurz: Er habe Geld und wollte das Haus kaufen. Und das, lange bevor jemand auch nur daran gedacht hatte, den üblichen Vorschlag des Verkaufs und den Umzug in eine angenehmere Region – Meran, Gardasee, Südfrankreich, eventuell für den Winter sogar Rom oder die Maremma – auch nur anzudeuten.
Natürlich redet man auch mit solchen Leuten, selbst wenn man gar nicht daran denkt, zu verkaufen. Der Anrufer hat schlichtweg Angst um sein Geld. Die Frage, ob wir bald in einem deflationärem oder inflationären Umfeld leben werden, ist noch nicht entschieden, aber mit ein wenig Pech gibt es beides: Massive Inflation bei den normalen Lebenshaltungskosten zusammen mit einer Deflation bei den Dingen, die sich niemand mehr wird leisten können. In der Statistik sieht das nicht so schlimm aus, wie es in Wirklichkeit ist. Wer mehr Geld als nur die üblichen 100.000 hat, die bei den typischen schlechteren Kindern besserer Kreise bis zum 40. Lebensjahr angelaufen sind, sucht nach sicheren Anlagen. Da kann es sich lohnen, noch vor allen anderen bei Hausbesitzern anzurufen und Angebote zu machen. Was erst mal in so einem Haus steckt, kann keine Regierung wegnehmen, um es den Griechen zu geben, den Spaniern, den Italienern oder wem auch immer.
Und wer, so der verunsicherte Anrufer, garantiere einem eigentlich, dass der Euro nicht in zwei Währungen aufgeteilt werde, und sich dabei alle mit einer Währungsreform mitsamt Währungsschnitt von einigen Schulden trennten? Hat man die Finanzkrise gerade so mit Ach und Krach und 20% Buchwertverluste im Portfolio gerade so überstanden, konnte man sich gerade noch aus den Aktien retten, nur um jetzt dem Finanzmarkt erneut ausgeliefert zu sein, der auf den Untergang des Euros wettet? Die Reichen der Republik sind bislang gerade noch mal davon gekommen, weil der Staat die Banken rettete – aber werden die Banken nun die Staat und die Währungsunion retten, oder nicht doch jene, die ihnen das Profitieren durch Defizitvertuschung erlaubt haben, nun als Gegenstand neuer Wetten auffassen – nachdem sie noch selbst von den griechischen Finanztricks profitierten? Der Reiche mag in seinem Viertel, in seiner Stadt, in seiner Region als reich gelten, reicher als 100 andere, aber er ist Nichts gegen die Kraft der Märkte.
Und im Fall von Griechenland, möchte man ergänzen, wollte man den Preis für das kleine Haus nach oben treiben, sieht man jetzt erst die Schäden, die die Kräfte über all die Jahre in den Fundamenten der Währung schon angerichtet haben. Wer weiss, was da alles noch kommt und kommen wird, wenn nach den Griechen den Spanier die Hand aufhalten werden – vielleicht haben die ja auch Hilfe der Banken bei der Vertuschung von Schulden erhalten, ausserdem hört man Spannendes über die Bilanzierung dort, also, vielleicht 150.000 mehr, und vielleicht käme man ins Geschäft.
Niemand will hier verkaufen, sollen doch jene, die jahrelang über die geringen Renditen des Vermietergeschäfts lachten, ihr Geld in griechische Bonds stecken, die sind gerade billig zu haben, oder in britische Peseten oder den Dollar jener transatlantischen, vereinigten Kolonien der Chinesen, wenn sie mit den Finanzmarktwölfen heulen wollen. Ich jedoch, der ich oft unter alten, reichen Menschen auf dem Berg oberhalb des Sees sitze und zuhöre, welche Themen beliebt sind, höre gerade nur vom Immobilienkauf, nie aber vom Verkauf. Alle suchen. Niemand bietet an, zumindest nicht in den Regionen auf der Sonnenseite dieses Landes auf der – relativ betrachtet – Sonnenseite des finanziellen Zusammenbruchs, der sich von schlechten amerikanischen Häusern im Mittelwesten über marode Banken und kriminelle Wallstreetzocker nun in die Grundlagen von Staaten und Föderationen gefressen hat, immer entlang der alten Sünden, die jetzt offenbar werden. Für den kleinen Mann auf der Strasse, der längst wieder vor der Glotze den nächsten Unterhaltungsmüll begafft, spielt das keine Rolle, aber der grosse Mann in der Villa ahnt, dass es um mehr als nur die griechischen Ölbäume und griechische Rentner gehen wird.
Und so kommt er zurück von den breit aufgestellten Anlageformen, die von allen Entwicklungen auf der Welt profitieren sollten, zu den engen Gassen seiner Heimat, klopft an den Türen und fragt, ob man nicht für den internationalen Tand und Glasschmuck nicht ein Haus der Väter haben könnte, das möglichst entkoppelt sein sollte von den Umwälzungen, die erst möglich wurden, weil sein Geld sie anheizte. Er schwört den Banken ab und dem Vermögensberater, zumindest bis zum nächsten Anfall der Gier, er ruft an und offeriert, und wird er abgewiesen, lauscht er auf den nächsten Mieterwechsel bei alten Leuten, die vielleicht gar nicht mehr die Kraft haben, um sich um ihre Anwesen zu kümmern. Manchmal muss er erfahren, dass ein Sohn in der Sache so denkt wie die Generationen vor ihm, manchmal hat er vielleicht sogar Glück und gibt die Roulettekugeln und Karten des Finanzkasinos an andere weiter.
Draussen im Netz jedoch wird Poker und Roulette gespielt und auf Fussballer gewettet, es wird in Neu York die Marge nach oben getrieben, und in Preussens Hauptstadt fragt man sich, wem man das alles aufbürden soll, die Schulden, die Ausgaben und die Bankgewinne zur Finanzierung von Politikerreden. Es ist einfach nicht mehr da, als eben da ist, man wird es immer irgendwie nehmen müssen, aber soweit, dass man ein Haus zersägt, ist man noch nicht gekommen. Später dann, wenn vielleicht ein Mieter verschwindet und der Badboden durchweicht ist, wenn der Efeu das Dach durchbohrt oder die Heizung krepiert, wird sich der neue Traditionalist doch fragen, ob ein wenig mehr Mut in finanziellen Dingen nicht besser gewesen wäre – zumal, wenn alles gut gegangen sein wird, die Griechen gerettet und die Spanier gestützt wurden, und die Zocker mit jenen Papieren reich wurden, die er damals für das Haus aufgegeben hat.
Wenn oben über dem See wieder über das Hausverkaufen gesprochen wird, und die Adressen der Vermögensverwalter die Runde machen, wird es wieder soweit sein. Aber im Moment regiert die Angst in den Villen, eine untergeordnete Rolle in einer griechischen Tragödie zu spielen, in der der Chor nicht die letzten Strophen singt, sondern ausgeblutet auf den Brettern von Börsen und Ministerien liegt.