Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Fett in die feinen Töchter bringen,

Fett ist ungesund, behaupten Leute, die nichts daran finden, nächtelang über den Kursen ihrer Derivate und Aktien zu fiebern. Fett ist unattraktiv, sagen Frauen, die nicht essen, sondern Kalorienaufnahme bedarfsoptimieren. Fett ist unmodern, sagen Starköche und panschen teures Nichts in Reagenzgläsern, und schmierige Funktionseliten sagen Ah und Oh. Fett ist prima, sage ich, ich mag Fett, und wer es nicht mag, muss es eben so bekommen, dass er gar nicht merkt, was er da isst - ausser natürlich am Geschmack, diesem für viele inzwischen vollkommen unbekannten Erlebnis auf der Zunge, im Hirn und im Magen, das uns träge, zufrieden und angenehm werden lässt, und uns fern hält vom elenden Dasein der ins Nichts rennenden Hungerhaken.

oder auch genannt jener Beitrag, worin ein lange von der Leserschaft gefordertes Rezept gnädigst vorgestellt wird, mitsamt einer Randnotiz zu Bürgerglück und Eliteversagen am Leben.

Fleisch ist für Männer, Knochen sind für die Hunde
(trad.)

Die Geschichte der bürgerlichen Emanzipation ist untrennbar verbunden mit einer Veränderung der Essgewohnheiten: Zwischen der Adelskaste, die essen konnte, wonach ihr der Sinn stand, und den Unterprivilegierten, die essen mussten, was sie bekommen konnten, oder, falls das nicht möglich war, eben hungern mussten, bildete sich eine Schicht heraus, für die nicht alles, aber immer genug da war, und die niemals hungern musste. Ab dem 17. Jahrhundert feiern Stillleben und Küchenstücke zuerst in den Niederlanden und freien Reichsstädten, dann aber bald überall diese Befreiung von Not und existenzieller Gefahr; das Bürgertum gefällt sich in seiner Sattheit, kauft Porzellan und Tafelsilber, macht das Essen zum Höhepunkt des Tages, feiert den Genuss und die Abwesenheit von dieser elenden Bedrückung, nichts im Magen zu haben und auf absehbare Zeit nichts zu bekommen. Schaue ich in alte Kochbücher besserer Familien, steht dort allenthalben von der Butter, in die man dies und das braten und backen sollte, es tummeln sich fette Karpfen zur Fastenzeit und zum Hintergehen derselben auch Torten, mit denen man heute jeden Ernähringsberater schockieren könnte, und einen Abglanz dieser grossen, guten, alten Zeit findet man auch in meiner Küche, wenn ich Kürbistarte backe.

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Ich bin elend schlecht im Rezepteaufschreiben, denn ich mache das alles nach Gefühl, aber der Teig – jener braue Klumpen unter dem Käse – besteht aus Mehl, Salz und Safran, das wird gemischt und dann mit etwa zu gleichen Teilen mit Wasser und Öl gemischt und geknetet. Der Teig hat die richtige Konsistenz und kann für 2 Stunden in den Kühlschrank, wenn er sich leicht von den Fingern löst.

So leicht, wie sich die Bürgerlichkeit in den letzten Jahren vom Fett gelöst hat. Meines Erachtens begannen das grosse Übel der Umverteilung und der Abstieg des besseren Bürgertums zum Antrieb der Finanzmärkte in jenem Augenblick, da es begann, statt Butter Margarine zu nehmen, billiges, aber angeblich gesundes Pflanzenöl Einzug in die Küche hielt und die Wampe nicht mehr als Ausdruck eines guten irdischen Daseins galt, sondern als Zeichen des ungesunden Lebens. All die dünnen, gestählten und für den Weltmarkt fit gehaltenen Funktionseliten, die sich gerade anschicken, die  besseren Viertel zu dominieren, haben, sagen wir es deutlich, eigentlich immer Hunger und zu wenig auf den Rippen, vielleicht auch ein paar Essstörungen, und diese unerfüllte, unterbewusste Gier sucht sich dann eben andere, akzeptierte Formen, um sich auszutoben. Statt der Orgien gibt es Molekularküche, und die Unmässigkeit tobt sich zwischen Aktien und Derivaten aus.

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Was eine spannende Frage aufwirft: Wird die Welt besser, wird die bessere Gesellschaft netter und nicht so erfolgsgeil, wenn man sie wieder fetter macht? Kann man eine bessere Tochter am Rande des Zusammenbruchs zwischen all ihren Schuhen und Aktienpaketen auffangen, indem man sie einfach dicker macht? Das ist natürlich keinesfalls so einfach in Zeiten, da auf Körperfettindizes geachtet wird, aber ich persönlich glaube, dass Fett tatsächlich etwas behäbiger, zufriedener und damit auch angenehmer macht. Allein, das fett muss erst mal in die gestresste Tochter kommen, und dazu verwende ich folgenden Trick.

Ich nehme rund 150 Gramm Scamorza, jenen hart geräucherten und intensiven Mozarella mit hohem Fettanteil, der jeden anderen Käse geschmacklich überdeckt. Dann greife ich nochmals zu 100 Gramm mildem, südtiroler Bergkäse (es geht so gut wie alles, was fett und wenig geschmacksintensiv ist), reibe alles zusammen und vermische es. In der Folge schmeckt die Mischung bei höherem Fettanteil durch mehr Käse nach weniger Scamorza, und ich kann sagen: “Da ist nur ganz wenig Käse drin”! Im Prinzip ist es der gleiche Trick, mit dem Bankster Subprimekredite gebündelt haben. Auch zwei dicke Eier aus bester Haltung gehen in dieser Mischung gnadenlos unter.

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Kürbis gilt gemeinhin als diätisch und gesund, weshalb er der perfekte Deckmantel für diese Fettbombe der neubürgerlichen Zufriedenheit ist. Bessere Töchter schwärmen von dessen schlank machender Wirkung, der Kürbis gilt als der Finger im Hals unter den Gemüsesorten, er besteht zu 90% aus Wasser, elend vielen Vitaminen, die kein Mensch wirklich braucht, und in Rohform aus praktisch 0% Fett und sehr wenigen Kohlehydraten. Kurz, der Kürbis ist beliebt bei allen, die schlank bleiben und ihren Geschlechtspartnern mit dem überstehenden Beckenknochen die Zähne ausschlagen wollen, er füllt den Magen mit wertlosem Zeug und geht wieder, ohne sich anzusetzen. Es sei denn, man kauft ihn angeschnitten und lässt ihn drei Tage im Kühlschrank liegen. Dann nämlich zeigt sich seine wässrige Konsistenz beim Reiben, denn Wasser, enorme Mengen Wasser sammelt sich in der Schüssel.

Für die Tarte jedoch braucht man einen Brei so zäh wie das Eingeständnis eines Bankvorstandes, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, unerfahrenen Anlegern Derivate von Pleitebanken anzudrehen, so dickflüssig wie das Gerinsel im Hirn einer mittleren Managerin, die einmal zu oft hektisch ihr Depot optimiert hat. Als Abkömmling einer Bäckerfamilie weiss man, wie das geht: Mehl. Viel Mehl. Immer nur rein damit und gut durchmischen, ja nicht sparen, man nerkt es später nicht, der Scamorza, die Zwiebeln, der Pfeffer und der Paprika erschlagen alles, was nach wenig schmeckt und aus dem faden Kürbis eine Kohlenhydratebombe macht.

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Danach wird der Teig dünn ausgewoigelt, damit er nach nichts, ganz federleicht aussieht und das Olivenöl gar nicht auffällt – so ein dünner Teig kann gar keine Kalorien haben – , in eine Backform gelegt und mit dem Kürbisbrei gefüllt. Man halte dabei die bessere Tochter aus der Küche; wenn die Masse in den Teig fällt, sieht es genauso fett und üppig aus, wie es später nicht erscheinen soll. Wichtig ist es zudem, die Tarte oben optisch etwas aufzulockern; so sieht das Auge weniger die fette Mischung, als vielmehr die ach so gesunden, roten Paprika, die sich in jenen rastlosen Kreisen ebenfalls grosser Beliebtheit erfreuen. Diese Tarte, sagen sie, kann man ruhigen Gewissens essen, sie ist gesund, diätisch, und das kleine Stück Scamorza, das man vielleicht herausschmeckt, ist doch nicht der Rede wert.

Das gut verborgene Fett dagegen macht sich schmelzend während der 40 Minuten bei 200 Grad im vorgewärmten Ofen überall breit, besonders aber im Geschmack des Muskatkürbis, und verstärkt dessen Arome. Es sieht aus, es schmeckt, es wirkt wie eine Tarte aus einem grandiosen, intensiven Kürbis, das Hirn freut sich, dass Diät so wunderbar schmecken kann, und die Rippen freuen sich, nicht mehr von hinten an der Haut zu reiben. Unmoralisch mag das durchaus sein, aber eine lässliche Sünde, da man andernorts mit Nahrungsmitteln spekuliert und Fonds auflegt, die auf die Sterblichkeit des armen Amerikaners und das Abkassieren seiner Lebensversicherung ausgerichtet sind. Ich dagegen verfette nur ein paar Kinder von Bekannten meiner Eltern, die ein wenig Entschleunigung brauchen können.

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Die Tarnung wird perfektioniert durch Unmengen gleissenden Silbers, durch die ein leichter Fettschimmer kaum in Erscheinung tritt, üppig geformte Dekore und natürlich des grössten Torten- oder Pastetenhebers, der sich im Haushalt findet. Ist das gerät über 35 Zentimeter lang, erscheint so ein Stück Kürbisfettbombe winzig klein. Am besten serviert man auf grossen Tellern von Rosenthal, die Forsanetti gestaltet hat – da gibt es eine Serie mit Ballons des 18. Jahrhunderts, die sich federleicht in die Lüfte erheben, und gar nicht an jene bleischwere Füllung erinnert, die ihr Werk an Hüften – echten Hüften! Nicht nur ein Übergang zwischen Beinen und Rücken! – erst vollbringt, wenn das Gehirn schon überzeugt ist, hier der Diät eine weitere Martyrerkrone gewonnen zu haben. Das ist fies und hinterhältig, aber so funktioniert auch jeder Prospekt für riskante Anlagen. Man muss sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Gesundheitsapostel werden nun sagen, dass Fett ungesund ist. Ich aber frage: Ist es gesund, in engen Flugzeugen schlechte Pampe zu essen? Ist es gesund, in angeblich modernen Restaurants unter lauter Erfolgsgeschichten zu sitzen, die kein anderes Thema ausser Rendite und Fortkommen kennen? Ist es gesund, auf einem Laufband schlechte Musik zu hören, um nirgendwo zu enden? Ist es gesund, ein Leben voller Hektik zu haben, nur um dann mit 40 einen Karriereknick zu erhalten, weil der Körper diesen Zustand nicht mehr erträgt? Ist es gesund, fit für eine Geschwindigkeit zu sein, die niemand nötig hätte, wenn nicht alle genauso rennen würden? Ist es gesund, sich als Profitcenter zu betrachten, aus dem mit einem Minimum an Kalorien ein Maximum an Leistung entsteht? Langfristig sind wir alle tot, aber der Bürger hat die historische Pflicht gegenüber meiner Klasse, eher an Verfettung zu sterben, denn an Hunger, Ärger und Überanstrengung, wie ein ausgemergelter Ackergaul auf den Feldern der Weltmärkte. Jener Hunger, zu dem früher die Unterschichten verdammt waren, und zu dem sich die Kinder der besseren Leute zu oft selbst wieder verdammen und damit schon den Abstieg zu den immer Hungrigen vorwegnehmen, der ihnen bei der grossen Umverteilung der Renditen und Profite im globalen Rahmen zugestanden wird, mit feinem Betrug und Einflüsterungen, gegen die meine Fettbomben wie harmlose Freundlichkeiten wirken. Ein wenig Fett dagegen bremst zumindest die Geschwindigkeit beim Laufen ins Verderben. Noch etwas Tee?