Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Tod kommt zurück in seine Heimat

Es hätte jede andere Stadt auch erwischen können, aber die vier Soldaten, die vor kurzem in Afghanistan getötet wurden, kamen vor allem aus Bayern, und waren teilweise in meiner Heimatstadt stationiert. Diejenigen, die an ihrer Trauerfeier bezteiligt waren, sperrten also die Innenstadt ab, bauten Kameras und Grossleinwände auf, probten und warteten auf die Prominenz, und hörten der Reden, übertrugen sie, halfen mit bei der Sinnsuche, was man halt so tut, wenn nichts mehr getan werden kann, an einem wunderbaren Frühlingstag in der bayerischen Provinz, in der nur noch wenig an die eigene, kriegerische Vergangenheit erinnert.

Das Militär hat die Stadt geprägt. Noch heute ist die Altstadt von einer mittelalterlichen Mauer und hundert Türmen umgeben, und davor legen sich weitere, abweisende Backsteingürtel übereinander. Der Stadtpark ist das frühere Schussfeld, das umlaufende Gewässer der Schutzgraben, und über dem grossen Fluss stehen die Türme der Landesfestung des 19. Jahrhunderts. Das hier residierende Teilherzogtum lag Zeit seiner Existenz im späten Mittelalter im Krieg mit anderen, das Herzogschloss ist eine Trutzburg, und die grosse Kirche wurde mit dem Geld finanziert, das ein Herzog in Frankreich während des 100-jährigen Krieges zusammenraubte. In meinem Haus starb einer der übelsten Schlächter des 30-jährigen Krieges, während Gustav Adolf die Stadt vergeblich belagerte. Man schoss ihm dabei das Pferd unter dem Hintern tot. Als “Schwedenschimmel” wird er heute den Schulkindern im Stadtmuseum vorgeführt, auch das ist in einer ehemaligen Festungsanlage. Die Industrialisierung kam mit der Geschützgiesserei in die Stadt.

Diese starke Verbindung von Stadt und Bewaffneten hatte erst mit dem zweiten Weltkrieg ihr Ende. Die alten Mauern hielten die Bombenflugzeuge nicht auf, und die amerikanischen Panzer schossen die letzten Verteidiger in die Gräben, die sie gerade gegen die Panzer ausgehoben hatten. Die Bewohner plünderten die Lager des Militärs und begruben ihre eigenen Toten. Erst später, und widerwillig ging man in die Kaserne in meiner Strasse, wo die hierher vor den Russen geflohenen Pfeilkreuzler aus Ungarn ihr Lazarett hatten. Typhus, Hunger und Tiefflieger hatten diese Truppe auf ihrem Weg an die Donau begleitet, und in der Kaserne waren sie in den letzten Kriegstagen wie die Fliegen gestorben. Ganz zum Schluss erst holte man ihre Leichen heraus, und meine Grossmutter erzählte mir, wie ihre Köpfe an jenem Frühsommmertag aus dem Pferdewagen heraushingen und schaukelten, als sie zum Friedhof in ein anonymes Massengrab gekarrt und vergraben wurden. Mit ihnen verliess der kriegerische Tod diese seine Stadt, nach all den Jahrhunderten, und man begann, erfolgreich Autos zu bauen. Nur im Sumpf über der Donau und gut verborgen, da baut man weiterhin Kampfflugzeuge.

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Jetzt ist der kriegerische Tod wieder da. Es war den Taliban, die jene vier Soldaten nahe einer hier vollkommen unbekannten Stadt namens Baghlan umbrachten, vermutlich egal, wen sie trafen, und was genau ihre Opfer in diesem Land taten, in dem unter amerikanischer Führung seit über acht Jahren gekämpft und gestorben wird. Brunnen graben, Schulen schützen, Demokratie bringen, Strassen sichern, Terror bekämpfen, sinnlosen Dienst verrichten, Bomben auf Terroristen oder Zivilisten werfen lassen, egal, genauso egal wie die Herkunft. Es ging um das Töten, es hätte jeden treffen können. Diesmal hat es eben Männer aus dieser Stadt getroffen. Die Stadt ist nicht sehr gross, man ist offen, ratscht gerne und kennt viele, und man hofft natürlich, dass niemand betroffen ist, den man kennt. Man würde das Leid fern halten wollen, aber ein Opfer war der Neffe einer Frau, die ich kenne. Man lebt drei, vier Tage in der Ungewissheit, und dann erfährt man es und weiss nicht, was man sagen soll. Inzwischen sind aber schon die Planungen angelaufen, dem kriegerischen Tod in dieser Stadt wieder willkommen zu heissen.

Sie nehmen natürlich die grosse, gotische Kirche, die jener Herzog mit seinen Kriegsgewinnen finanziert hat. Teams der ARD und anderer Anstalten reisen pflichtschuldig an, das ist fraglos “relevant set” und gehört in die Nachrichten, sie versorgen sich bei meiner Bäckerei mit Nussecken und freuen sich über die günstigen Preise der Provinz, und überall stehen die Lastwagen der Sender. Man kann so einen Event nicht aus dem Stegreif inszenieren, man muss die Lichtverhältnisse und Einstellungen überprüfen, und so stehen schon am Tag vor der Veranstaltung ein paar hundert Soldaten aller Waffengattungen vor dem Münster, rauchen, reden, schlagen die Zeit tot, sie sind nur Statisten, aber man braucht auch hier Menschenmaterial, damit morgen bei der Trauer auch alles richtig abläuft. Verloren in diesem Aufmarsch in  Uniformen sind die Fahrzeuge der angeheuerten Dienstleister für Leichentransport, Technik und Blumen mit ihren netten, bayerischen Namen, und  auch der weisse Bus des Wachbattalions mit seinen poppig-bunten Bildern salutiernder Soldaten wirkt seltsam fremd. Das alles jedoch ist hinter den Kulissen, am nächsten Tag wird das ganze Areal grossflächig abgesperrt und versteckt, denn es wird die Prominenz kommen, die Hauptpersonen bis auf den krisengeschüttelten und verhinderten Militärbischof, die Politik, die Kanzlerin, die präventiv schon verkündet habe, es der Einsatz im Afghanistan sei über jeden Zweifel erhaben. Und erhaben soll nun auch die Trauerfeier werden, alles muss sitzen, der Eindruck muss der richtige sein, gerade wenn nicht jeder diese Ansicht teilt.

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Auf dem Wochenmarkt, der zeitgleich stattfindet, ist man weitgehend doch anderer Meinung, nicht allein wegen der Sperrung der Altstadt. Kriegsmüdigkeit wäre ein beschönigender Ausdruck; man wünscht vielmehr die Verantwortlichen dort, wo die Betrauerten starben, und dergleichen mehr, was man im Münster als Stammtischparolen abtun würde. Der Wochenmarkt erdreistet sich sogar, dem Krieg in Afghanistan andere Interessen als die Wahrung der dortigen Demokratievortäuschung zu unterstellen, und ist der Meinung, dass man dort nichts verloren habe. Die Politiker sehen das anders, und der Verteidigungsminister erklärt es auch. In der Kirche, und über Grossbildschirme davor auf der Strasse, die man trotz des organisierten Events natürlich nicht im üblichen Massenerlebnisduktus als Trauermeile bezeichnet, und über Funk und Fernsehen. Der Verteidigungsminister sagt, dass der Tod der Soldaten “uns” auch in Zukunft begleiten werde, und es ist tatsächlich zu befürchten, dass er diesmal die Wahrheit bemüht.

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Draussen stehen ein paar hundert Menschen und schauen der Übertragung zu, wie Orden vorgezeigt und Särge mit Flaggen und Stahlhelmen präsentiert werden. Ein Reporter ist über der eher lichten Menge auf einem olivgrünen Armee-LKW mit Tarnnetzen und spricht von dort aus in eine Kamera, eine lächerliche und peinliche Figur, eine Okkupation zwischen all den bunten Bürgerhäusern der Stadt, die so gar nichts Militärisches haben. Irgendwo müssen auch Leute sitzen, die so etwas planen, inszenieren und die Kulissen besorgen, die sich überlegen, wie es wirken soll, was man braucht, damit in den Medien von ergreifenden Szenen schreiben. Trotz der implizierten Zusage des Ministers, dass sich die gleichen Leute ein paar Tage oder Wochen später schon wieder zu so einem Anlass treffen werden. Sicher seltener jedoch, möchte man beruhigend anmerken, als wenn man nach Frau Merkels Wunsch auch Soldaten in den Irak geschickt hätte. Das sind heikle Momente im Politikerleben, das muss sorgsam über die Bühne gebracht werden, und möglichst nicht zu oft, gewisse Schauspiele verlieren enorm schnell ihren Reiz, und an den Sinn der ganzen Angelegenheit glauben auch nicht mehr alle. Man wird die Musik auswechseln und die Location, man wird es etwas anders orchestrieren und andere Argumente aufsagen, die einen bezahlen es mit dem Leben, die anderen mit ihrem Samstag Mittag, und wir alle die Verkündung des Sinnes mit den Rundfunkgebühren.

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Vielleicht aber ist in einem der Wagen auch einer, der profitiert, der das alles besonders vollendet inszeniert hat, und wenn die Umfrageergebnisse danach passen, und manche Leute im Kanzleramt und Bendlerblock die ganze Inszenierung auch mochten, wird man ihn vielleicht für seine Treue belohnen. Vielleicht war es doch nicht so gut, den Reporter auf den LKW zu stellen, vielleicht muss man Fehler machen, um es das nächste Mal besser zu können, neue Einfälle zu haben, es gab ja noch nicht so viele Gelegenheiten, das zu üben, Jahrzehnte des Friedens sind eine schwere Hypothek, wenn man sentimental definierte Werbefilme für den Krieg über Särgen drehen muss. Keiner ist hier, weil er hier sein möchte. Man muss darin zum Ausgleich einen Sinn finden, wie man im Tod an einer beliebigen Sprengfalle in einem unbekannten Kaff in Afghanistan einen Sinn findet. Jetzt schaut der Minister schön betroffen. Zoom auf ihn und seine Frau. So bleiben. Perfekt.

Ich gehe durch das zu bezeichnende Areal, das man aus Gründen der Pietät trotz der vielen Deutschlaaaaandfahnen nicht als Public Viewing bezeichnen sollte, und unter dem Film mit Minister und Särgen und Orden Richtung meines Hauses, das nur einen Block von der Kirche entfernt ist, werde aber aufgehalten und über einen grossen Bogen umgeleitet. Ich halte mich nicht ganz an die militärische Order, nutze ein paar Passagen aus, und gerate so an einen  Stau in einer Gasse. Ein Bus nach dem anderen steht dort, irgendwelche Menschenmengen müssen an der Kirche abgeholt und transportier werden. Die Fahrer sind schwarz bekleidet, aber die Aufkleber der Fahrzeuge verkünden anderes: “Unsere Bade- und Kurreisen im wöchentlichen Turnus: Rimini Jesolo Riccione Albano Terme”. Wohl kaum. Diesmal jedenfalls nicht.

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Es ist eine seltsame Stimmung in der Stadt, zu viel Absperrungen und Polizei und Militär an allen Ecken und Enden, das kennt man gar nicht mehr so in dieser Stadt, die reich ist und all das Bedrückende des Kriegerischen lange hinter sich gelassen hat. Man wird angeschaut und behindert, man muss Umwege gehen und kann nicht frei fahren, überall sind die Fahnen auf Halbmast, die Soldaten sind da und der Tod, und das in der warmen Frühlingsluft und unter dem Himmel der Bayern, so blau, dass man hineinbeissen möchte, alles will leben, und auch die Militärs, die gerade eine Pause haben und in voller Montur vollkommen unpassend unter all den normalen Menschen im Cafe sitzen, räkeln sich ich der Sonne, bestellen noch etwas und plaudern gar nicht betrübt, während von fern die Geräusche der öffentlichen Übertragung herüberwehen.

Jemand spielt Trompete, und dann fahren Autos weg.

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Dann heben sie die Sperrung der Strassen auf, und ich verlasse die Stadt über jene Strasse, auf deren Kopfsteinpflaster man 45 die toten, wackelnden Ungarn zum Friedhof brachte. Ich werde ein paar Tag in Italien und der Schweiz verbringen, etwas mehr leben und weniger denken, vielleicht. Ich will weg, der Wagen möchte brausen, und ich fahre vielleicht etwas zu schnell, fliege auf der Autobahn an Übertragungslastwagen auf dem Weg ins endlich wohlverdiente Wochenende vorbei, ziehe auch an ein paar schweren Limousinen mit dunklen Scheiben vorüber, und bremse erst in der Holledau ab, wo 120 vorgeschrieben ist. Nur ganz langsam nähere ich mich einem Bus des Bundeswehrfuhrparks an, der über die schadhafte, rechte Spur Richtung München rumpelt. Darin sitzen prächtige Soldaten mit Uniformen und Abzeichen, man frage mich nicht nach der Bedeutung, ich bin überzeugter Zivilist. Der Bus schaukelt über die Rippen im Beton, und ihre Köpfe wackeln hin und her, sie wackeln wie die Ungarn, sie können nicht anders. Der kriegerische Tod hat mit uns allen die Stadt verlassen.

Er ist wieder unterwegs. Aber ich bin gut in Italien angekommen.

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Nachtrag: Dieser Beitrag wurde ursprünglich nicht für dieses Blog geschrieben und hat auch inhaltlich und stilistisch wenig mit dem eigentlichen Thema zu tun. Aber ich mag diesen Beitrag sehr, und mich interessiert auch, wie er in diesem Rahmen ankommt.