Eine Hure am Abend ist genug für Sie, mein Herr.
Die Mätresse Nell Gwyn zum englichen König Karl II., als er sie bat, eine andere Frau, die ihm auch zusagte, zu einer Party einzuladen.
Es sind schlechte Zeiten für solide, bürgerliche Vorurteile im Süden. Früher wusste man, dass die Geschiedenen, die Bastarde, die gschlamperten Verhältnisse entweder in den schlechten Vierteln vorkommen, oder im Norden, wo die einzig wahre Partei und die einzig wahre Kirche nicht dafür sorgen, dass die einzig wahre Wahrheit der wahren Familie durchgesetzt wird. Heutigentags – heutigentags sind sintemalen der eigenen, dieser Region entstammenden Führungsschicht mit Berliner Nebenfrauen und Bischöfen dieser Region, über die man Schlimmes liest, auch im erzkatholischen Bayern die guten Tage des bösen Skandals der Anderen gezählt. Noch nicht mal über die privaten Verhältnisse und gescheiterten Ehen der Bundespräsidentenkandidaten kann man sich allzu laut äussern, schliesslich ist Scheidung heute auch hier nicht mehr selten. Also sagt man eingedenk der eigenen Schwächen nicht, was man sich denkt, was einige harte Worte der hiesigen Mundart beinhalten würde, als da wäre „Zuaschtänd wia bei de” und dann ein schlimmes Wort.
Man sagt es nicht.
Man kann es nicht sagen.
Jogreizgruzinesnbianbamundhollaschtaun. Sagt man es halt anders: Es isa Schand, eine echte Schande, und man muss sich wirklich nicht wundern, wenn die Ehen und die Familien nicht mehr halten, wenn die da, dedoh in Berlin Leute für das höchste Staatsamt vorschlagen, die selbst nicht dem Familienideal gerecht werden, das in der Verfassung steht. Und es stimmt natürlich, denn § 6 sagt: “Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.” Zusatz in Bayern: Gschiedne und gschlamperte Verhältnisse stehen deshalb unter besonders übler Nachrede. Aber wie, meine Damen und Herren, fragt man unter Kirchenportalen und in Konzertpausen, soll das gehen, wenn selbst das Oberhaupt dieses Staates keinen Bund für das Leben mehr praktiziert?
Und hier nun wäre der Moment, da man sich grundsätzliche Gedanken darüber machen muss, ob das Bürgertum überhaupt noch der Moderne gerecht wird, oder der Kern des Übels nicht das geschäftstüchtige und strebsame Bürgertum selbst ist, das sich zwar in den letzten 200 Jahren an die Macht putschte, und nun nicht bereit ist, die Folgen dieser langfristigen Emanzipation hinzunehmen. Der Sauhirte des 18 Jahrhunderts wollte genau so aus der Leibeigenschaft entlassen werden, wie nun die Tochter aus besserem Hause keine Lust mehr hat, als Putzfrau ihres Mannes herzuhalten, wenn der Tennislehrer der Tochter so hübsch anzusehen ist. Die bürgerliche Moral, die dem entgegen steht, war im vorletzten Jahrhundert nötig, um den Bürger zumindest moralisch dem verkommenen Adligen gleichzustellen. Heute jedoch zeitigt das gleiche Bürgertum eben jene Sittenlosigkeit, und schlimmer noch: Nach 22 Uhr sind im Fernsehen Dinge zu sehen, die kein heimlich in Amsterdam gedruckter und nach Frankreich geschmuggelter Sexroman je hätte öffentlich vorstellen können. So ätzt die bürgerliche Moralinsäure im Inneren der besseren Kreise ob der liberalen Möglichkeiten, die in Form beischlafbereiter, jüngerer Frauen oder gar Männer quer durch alle konservativ-bürgerlichen Führungsschichten anzutreffen sind. Das Bürgertum ist wieder auf dem sittenlosen Niveau des Adels angekommen, und es gibt diesmal keine Schicht, die von ihm Zurückhaltung fordern würde.
Und so stellt sich die Frage, ob man auf dieses Problem der neuen Eliten nicht vielleicht mit einer Lösung der alten Eliten antworten sollte, die ebenfalls gezwungen waren, private Sittenlosigkeit mit öffentlicher Tugend zu verbinden. Ehen wurden in Zeiten des Feudalismus nicht aus Zuneigung, sondern aus dynastischen Interessen heraus geschlossen; Liebe, Sex und Zuneigung war dagegen meist anderen Damen und Herren vorbehalten, die man bei Bedarf nahm, absägte oder vielleicht sogar doch irgendwann heiratete. In Frankreich gab es dafür sogar einen halboffiziellen Beruf bei Hofe: Die “Maîtresse-en-titre”, die oberste Geliebte, die im Schloss des Herrschers eigene Räumlichkeiten zugewiesen bekam. In wahrer jakobinischer Verachtung kann sich der heutige Bürger eigentlich nichts Schlimmeres vorstellen, als einen staatlich finanzierten Bundespräsidenten, der sich im Damenflügel von Schloss Bellevue eine staatlich finanzierte Geliebte hält – und dennoch darf hier der zurecht empörten Leserschaft ein kleines Gedankenspiel unterbreitet werden.
Denn es ist doch so: Natürlich waren all die Mätressen der Herrscher zu ihrer Zeit Anlass für öffentliches Ärgernis. Ludwig XV. sorgte für einen Aufschrei, als er Diane-Adélaïde de Mailly-Nesle nicht nur zur Nebengeliebten machte, sondern sie auch mit ihren beiden älteren Schwestern, äh, empfing. Der gleiche Herr hätte heute einen Rücktrittsgrund erster Güte, würde man ihn derzeit mit einer 14-jährigen Marie-Louise O’Murphy im Bett erwischen. Und der Umstand, dass sich die Marquise de Montespan die Zuneigung von Ludwig XIV. mit vergifteten Liebestränken erhalten wollte, die bei schwarzen Messen gemischt wurden, entspricht auch nur bedingt dem angemessenen Empfinden heutiger Bewahrer guter Sitten. Selbst die liebevollsten und aufrichtigsten Verteterinnen der Zunft konnten intrigant, verschwendungssüchtig und heimtückisch werden, wenn sich dazu der geringste Anlass bot, kurz – es ging zu wie bei einer Gesprächsrunde zum Subventionsabbau im Kanzleramt.
Auf der anderen Seite musste – und muss man bis heute – die Vorteile dieser Regelung sehen. Sie erlaubte es dem Fürsten tatsächlich, sich im Fürstenberuf auf seine Herrschaft zu konzentrieren. Er konnte eine öffentliche Fassade wahren, er konnte eine offizielle Frau vorweisen und einen Nachkommen zeugen, er musste sich nicht scheiden lassen und diplomatischen Ärger riskieren, und alles Emotionale wurde keine Belastung für die eigentliche Aufgabe. Und hier nun sind wir wieder bei unserem Bundespräsidenten angekommen, der, egal wie die Wahl ausgehen wird, durch seine vorherige Trennung genau jenes Signal der Beständigkeit nicht aussendet. Vielmehr muss man sogar damit rechnen, dass sie auch diesmal, nach den Scheidungen mit neueren und jüngeren Frauen angetan, eine joschkafischrige Wankelmütigkeit unter Beweis stellen. Bei uns in Bayern wird Geschiedenen generell nicht mehr getraut, wir wissen schon, warum das so ist.
Insofern wäre es nur natürlich, wenn man unter diesen nicht wirklich schönen Zuständen Vorsorge träfe, dass es wenigstens bei dem einen, schon geschehenen Scheidungsdebakel bleibt. Ein Bundespräsident muss sein, seine Gattin sollte sein, und für alles andere wäre eine offizielle Staatsmätresse als Amt mit eigenem, kleinen Stab einzurichten, das dann vom Staatsoberhaupt je nach Neigung und Laune zu besetzen ist. Das garantiert dem diplomatischen Corps und der Politik ruhige Verhältnisse und eine sichere, repräsentative Erste Dame, die dann auch konsequent die öffentliche Moral vorzeigen kann, Kinder küsst, kluge Reden beim Landfrauenbund hält, und vom Papst gerne empfangen wird. Die Staatsmätresse, die dagegen von den offiziellen Feierlichkeiten fern gehalten wird, kann derweilen genau den Pomp und Freigeist verbreiten, den solche lockeren Damen zu allen Zeiten garantierten – schliesslich müssen sie den Liebhaber nach all den öden Empfängen, Reden, Preisverleihungen, Eröffnungen und Arbeitsessen mit Frau Merkel zeigen, wie schön das Leben doch sein kann.
Natürlich wäre es fein, wenn die Staatsmätressen nicht den alleruntersten Schichten entsprängen und nur geldgierig wären. In Frankreich erwählten sich die Herrscher zumeist gebildete junge Damen des niedrigeren Adels, was, auf unsere bürgerliche Herrschaftsform übertragen, in etwa der besseren Bürgerstochter mit niedriger Beschäftigung entspräche -WasmitMedienJournalistin, PR.-Fachfrau, Marketingassistentin, Verlegenheitsbetriebswirtin. Gerade Frauen, die jene modernen Aspekte der Bürgerlichkeit repräsentieren, könnten auch Verständnis bei älteren Herrschaften finden, deren Kinder ähnlich sinnlos durch ihr Leben treiben, und damit eine wirklich akzeptable Chance haben, moralisch akzeptabel “afgrrammt” zu sein, ja, vielleicht später sogar, nach dem Ende des Amtes, zur nächsten Frau eines Bundespräsidenten a. D. mit Pensionsansprüchen aufzusteigen. Nicht alles, was unmoralisch ist, muss auch schlecht sein. Sollte die Staatsmätresse dann aber durch eine andere ersetzt werden, kann man ihr immer noch einen Versorgungsposten und Nachehemann anbieten und sie nach Brüssel schicken.
Wie man sieht: Einige Bestandteile einer Staatsmätressenlösung wären schon in einer Art vorhanden, wie man sie im Rokoko nicht besser hätte gestalten können. Zudem könnte eine Staatsmätresse auch ein angenehmes Gegengewicht zur Bleischwere der Berliner Republik sein, Freigeister an ihren Hof holen, den ein oder andere hungrigen Literaten zu ihrem Kammerherrn bestellen, rauschende Gartenfeste geben, deren Notwendigkeit jeder versteht, der einmal im Biergartenkeller der Bayerischen Landesvertretung empfangen wurde. Kurz, die Staatsmätresse wäre vielleicht sogar etwas wie ein Gegenentwurf zur traurigen Realität Berlins, eine Förderin der Künste und der Moden, ein menschliches Antlitz eines steifen Amtes, ein Ausrufezeichen hinter der real existierenden Bürgerlichkeit des Landes, und zugleich eine Garantie dafür, dass keiner in einem bayerischen Kirchenkonzert nachfragen muss, was denn diese Patchworkfamilien sind, mit denen sie nun auch ganz an der Spitze des Staates konfrontiert werden.
(Das Schöne an unbesetzten Ämtern ist, dass man vor den nicht existierenden Amtsinhabern keinen Respekt haben muss)