My love is like a high prison wall, but you could leave me standing so tall.
Spandau Ballet, Gold
Es gibt aus der guten, alten Zeit – jenen Tagen des Prinzregenten vor dem ersten Weltkrieg, dieser Zeit, in der Bayern liebenswert, weltoffen, charmant und vermögend gewesen sein soll – diese nette Geschichte von den reichen Kindern meiner dummen, kleinen Heimatstadt an der Donau, die bei ihren Vätern nicht mit Glaskugeln, wie andernorts üblich, Schusser spielen durften. Sie durften dafür Goldstücke nehmen. Es war eine gute Zeit für sie, alles entwickelte sich prächtig, es kam das elektrische Licht und das Motorrad, es kam der Prinzregent zum Jagen, und man hing die blauweissen Fahnen hinaus. Dann starb der Prinzregent, es kam der grosse Krieg, das Gold gab man nicht mehr für das Schusserspielen her, sondern für Eisen und patriotische Kriegsanleihen, die nach dem Krieg wertlos waren. Es kam die Inflation und die Rentenmark, es kam der Hitlerputsch und das Dritte Reich und der nächste Krieg, und dann der lange, beschwerliche Weg zurück an die Weltspitze, an der man sich vor 100 Jahren schon wähnte. Und bald, denke ich, werden Reiche wieder ihren Kindern Gold zum Schusserspielen geben können.
Es ist ja genug da. Gold wurde in den letzten Monaten in Münzen gekauft und in Zertifikaten mehr oder weniger gesichert, es gab angeblich enorme Engpässe bei der Versorgung mit dem seltenen Metall, Omas brachten die Zähne ihrer verstorbenen Männer zum Schmelzen, unverkäuflicher Schmuck der 70er Jahre wanderte aus Leihhäusern in die Scheideanstalten, Goldseiten im Internet stiegen zu gefragten Orakeln auf, und in den Talkshows fanden sich immer welche, die dem Goldanteil im Portfolio angesichts von Eurokrise und Schuldenmisere das Wort redeten. Das ist gerade mal ein paar Monate her. Inzwischen geht es Spanien und Portugal noch schlechter, ein läppischer Stresstest wurde vorgetäuscht, die Banken haben sich erfolgreich – nicht dass man es anders erwartet hätte – gegen höhere Eigenkapitalregeln gewehrt, in den USA droht weiterhin eine zweite Rezession, die Gelddruckerei läuft immer noch auf Hochtouren – und der Goldpreis ist vom Höchststand aus 15% abgestürzt. Oder anders gesagt: Wer in den letzten drei Monaten Gold kaufte, kann sich jetzt entscheiden zwischen Hoffen und Verluste realisieren.
Das Amüsante am Edelmetall und seiner Aura ist, dass es allein durch seine Existenz einen begehrlichen Glanz hat, der dem banalen Handel vollkommen abgeht. Das Fehlen von Gold auf dem Markt ist eine grosse Nachricht, als würde die Sonne nicht mehr aufgehen, die Knappheit eine Gefahr für Freunde von “Sicherheit”, aber mit Banalitäten wie einer geänderten Investmentstrategie durch die Auflösung von Handelskontrakten schafft man es kaum auf die Seite 1 von Boulevardgossen, und auch nur begrenzt auf Anlegerseiten etablierter Medien, Der Text hinter dem Link gesagt, dass das Metall jetzt wieder weniger begehrt ist, und man ohne Probleme kaufen kann, weil andere ihr Interesse daran verloren haben. Und diese Händler ohne Interesse sind enorm viel grösser, als der klassische Westviertelbewohner in seiner Angst vor dem Zusammenbruch, der nun im Staub des weiterziehenden Marktes zurückgelassen wird.
Auf seinem zunehmend entwerteten Goldhaufen. Andere Sachwertstrategien kann man irgendwie nutzen, von Silberbesteck kann man essen, ein klassisches Fahrzeug kann man fahren, ein Bild kann man betrachten, auf einem Biedermeiersofa kann man ruhig schlafen – aber was macht man mit ein, zwei, drei Kilo Gold? Man denkt vielleicht erleichtert an die noch ärmeren Betroffenen, die in diesem Wirtschaftsweltkrieg Geld für Zertifikate gaben, oder gar für Futures, und dennoch liegen die Barren bleischwer herum. 10% des Vermögens könnte und sollte man durchaus in Gold anlegen, tönten die üblichen Gazetten für Entscheider und Reiche. Da kommt auch bei einem ärmeren Millionär schnell ein ziemlicher Haufen zusammen. Warum also nicht in guter Tradition wieder den Kindern zum spielen geben?
Über 50 Jahre hinweg, tönte es aus den Bleilettern der Medien, sei Gold ohnehin preisstabil. Lange, sichere Anlagehorizonte, das wollte man doch in Zeiten kurzfristiger Unsicherheiten, da muss man nun eben etwas aussitzen. 50 Jahre sind eine lange Zeit, da kann man gar nicht früh genug anfangen, den Nachwuchs in die Geheimnisse der Vermögensverwaltung einzuführen, denn niemand weiss, ob das Gold in diesen 50 Jahren noch mal so hoch steigt – und falls es das tut, was der Auslöser sein wird. Es steht zu befürchten: Andere Dinge, die für die Vermögensverwaltung relevant sind. Im Moment jedenfalls weist Gold noch eine üppige Wertverlustrate auf, die jede befürchtete Turboinflation in den Schatten stellt, und noch ist Luft nach unten.
Überhaupt, so scheint es, hat das Verhältnis zwischen den Sicherheitssuchenden und Gold viel gemein mit einer überaus grossbürgerlichen Ehe in Zeiten des Prinzregenten: Geschlossen mit finanziellen Interessen und unter öffentlichen Fanfarenklängen und Gratulation, ein paar Wochen Begeisterung ob der zu erwartenden Beglückungen, Gewöhnung, Normalität und am Ende die schreckliche Erkenntnis, dass die Braut zunehmend unschön, warzenbehaftet und hinkend wird, und man dennoch noch 50 Jahre mit ihr wird aushalten müssen. Über so etwas redet man natürlich nicht, und darüber will man auch nichts in der Zeitung lesen, man beisst die Zähne zusammen und hofft auf bessere Tage. Derweilen sind die Hochzeitsarrangeure, die Kuppler, die Betschwestern und die Tortenlieferanten froh, wenn es auch noch andere Themen gibt, über die man reden kann, ohne als schlechter Ratgeber dazustehen. Ansonsten werden Schlafzimmer getrennt, und das einst so verlockende Funkeln kann irgendwo alleine liegen bleiben. Nur echte, grosse Krisenzeiten, Kriege, Katastrophen könnten wieder eine Zweckgemeinschaft formen. Derweilen überlegen schon die Puffmütter in Frankfurt, welche losen Dirnen des Finanzmarktes sie demnächst in die besseren Viertel schicken können, nachdem der Wunsch nach stabilen Verhältnissen so unbefriedigend endete.
Aber davon, wie vorerst üblich, redet man nicht mehr in der Öffentlichkeit. Niemand gibt gern öffentlich zu, dass er schlecht mit dem Geld umgehen kann, oder sich gar von Talkshows beeinflussen lässt. Das passt nicht wirklich ins Selbstbild, und zudem bleibt das Gold, es verschwindet und altert nicht. Es ist zwar totes Kapital, es ist vielleicht für viele Jahre und Generationen Verlust, aber es hätte immer noch schlimmer kommen können, man denke nur an gewisse Immobilienfonds. Oder Medienfonds. Oder gewisse Freunde Schifffahrt und ihre Anleger. Das sind die Dinge, über die man wirklich nicht jenseits des Anwaltsbüros reden kann. Gold ist eine erkaltete Liebe, die einmal heiss war, und noch weit, weit abkühlen kann. Aber sie wird nie blanker Hass werden.
Und spätestens die Erben werden froh sein, wenn sie dereinst einen Teil des Vermögens in die Jackentasche stecken und still davontragen können, ohne die Zugriffsfreude von Finanzministern und ihrer Schergen, vor denen man so viel anderes nicht mehr verstecken kann. So gesehen sind die bisherigen 15% Wertverlust seit den Höchstpreisen bei Gold immer noch zu verschmerzen. Das kann wieder steigen, aber was die Zähne der Steuereintreiber wegnagen, kommt nie wieder. Aber deshalb liebt man ja auch die Werte. Und nicht die Steuereintreiber, selbst wenn sie in 50 Jahren längst vergessen haben, dass 2010 viel Papier für Gold gegeben wurde, das noch irgendwo ist. Und bleibt.