Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht.
So müssen sich zwei Esel beim Geschlechtsverkehr anhören; nichts Menschliches ist im gleichzeitigen Schreien, das die Gassen der Altstadt erfüllt. Es ist mir mehr als nur peinlich, aber selbst, wenn ich der Verursacher bin, so bin ich nicht schuld; das perverse Duett entspringt zwei gleichzeitig betätigten Bremsen, die sich auf das Schreien verlegen, statt das zu tun, was man von ihnen verlangt. Meine Bekannte, die sie zusammen mit einem Rad erworben hat, hat generell ein schlechtes Händchen bei der Auswahl fahrbarer Untersätze, aber während die Reparatur ihres Autos stets ein Vermögen kostet, ist der Preis für eine Fahrradeinstellung ein Telefonat und ein freundliches Lächeln in meine Richtung. Ein Lächeln, das gequält wirkt, wenn sie die Eselsbrut hört. Es ist kein Rad, mit dem man positiv auffällt, selbst wenn es ansonsten den Ansprüchen an ein Gefährt der Oberklasse entspricht: Es hat ein Körbchen mit Spitzendecke, einen Echtledersattel, eine altmodische Farbe und bei jedem Anhalten den perversen Klang eines Eselfreudenhauses.
Während ich die Bremsbeläge einstelle und die Züge justiere, plaudern wir über die farblose Saison, in der nichts passieren will; Alte Paare scheinen es noch bis zum Herbst miteinander aushalten zu wollen, neuere Paare sind selten geworden, und ansonsten – tut sich wenig. Der zweite Heiratsmarkt leidet ein wenig an Nachschub, und die anderen Kombinationen, die denkbar wären, sind aus diversen Gründen nicht machbar: Sie zu reinlich und er zu verkommen, er zu berufsfixiert und sie zu besitzergreifend, generell: Zu viele Forderungen bei geringer Leistungsbereitschaft. Ohne echte Marktteilnehmer kann kein Markt funktionieren. Allerdings, gebe ich zu bedenken und wundere mich über den Mangel an Lagerfett zwischen den Schrauben und Muttern, gibt es, also zumindest hört man, dass ein gemeinsamer Bekannter nun…
Ja, sagt die Fahrrad- und Eselsorgienbesitzerin, das hat sie auch schon gehört, und schlimmer, den Anlass auch schon im Vorfeld zu sehen bekommen. Der Anlass kommt aus einem anderen Bundesland und hat hier keine Familie, auf deren Ruf sie achten müsste, und hat sich zielstrebig in Richtung derer orientiert, die beste Möglichkeiten boten, und sich dort entsprechend offensiv dargestellt. So, wie man es vielleicht aus dem Fernsehen kennt, oder aus der Werbung. Aber nicht so, wie man das gerne sehen möchte. Nicht so, dass man von allgemeiner Waffengleichheit sprechen kann: Sehr sexy, aber auch ungeniert. Oder anders gesagt, sie hat öffentlich auf Mittel zurückgegriffen, die allenfalls nichtöffentlich denkbar wären.
Denn es ist, und da hat meine Bekannte recht, eine deutliche Diskrepanz zwischen der unverblümten Dreistigkeit, die allgemein in Sachen Annäherung abgebildet, vorgeschlagen und vorgezeigt wird, und dem, was man tun würde und sollte, wenn man nicht mehr 19, aber dafür klüger und erfahrener durch gescheiterte Beziehungen ist. Nur, weil ein Vorgehen wie hemmungsloses Ranschmeissen tatsächlich bei mittelalten Herren nach langweiligen, gescheiterten Beziehungen funktioniert, heisst es nicht, dass man es tun sollte. Nicht alles tun, was geht, sondern nur das tun, was sich schickt, ist die oberste Maxime bürgerlicher Sitte und Moral. Es gibt danach genug Betriebsunfälle der bürgerlichen Beziehung, mit denen man sich das Gerede einfangen kann, man muss nicht gleich zu Beginn sexuelle Annehmlichkeiten in das Zentrum der Partnersuche stellen.
Werber, Frauenzeitungsartikelschreiber, Talkshowstoryerfinder und Filmer haben dagegen nur begrenzt Raum und vermutlich noch weniger Lust, Beziehungen in ihrem komplexen Entstehen zu zeigen, wie das in früheren Epochen der Bürgerlichkeit noch üblich war, von Jane Austen über Heinrich Heine und Balzac bis zu den seinerzeit als skandalös geltenden Werken von Pitigrilli. Da räkelt sich das Modell auf dem Bild ohne Vorspann in Wäsche auf dem Sofa, da hat keiner Zweifel, dass der andere in den nächsten 10 Minuten zu küssen und anschliessend zu beschlafen ist, und Attraktivität hat nichts mehr mit Bildung, Gemessenheit und guten Manieren zu tun, sondern allein mit sexuellen Codes: Blicke, Posen, Aufforderungen, dauernde Bereitschaft. Nichts jedenfalls, was einem die Erziehung im Westviertel frank und frei mitgeben würde. Niemand muss deshalb ein zartes Mauerblümchen sein, aber die kurzfristig effektivere und allgemein akzeptierte, weil verbreitete Variante der “on Demand”-Verfügbarkeit, der Dienst- und Leistungsgesellschaft macht klar das Rennen. Der Lustschrei hat zu kommen, wie das Quietschen der Bremse: Bei leichtester Betätigung. Alles eine Frage der Einstellung.
Und genauso, wie sich die miserable Werkstattarbeit verbreitet – weil es geht, bequem ist und alle anderen es genauso machen – verbreitet sich damit auch das Ranschmeissen anstelle der sorgfältigen Sondierung des Angebots auf dem zweiten Heiratsmarkt. Man sollte meinen, dass Menschen jenseits erster Fehlversuche gelernt haben, bei der letzten grossen Chance rationale Erwägungen zur Grundlage eines Handelns zu machen, dem mittelfristig aufgrund des körperlichen Niedergangs so oder so kaum mehr als eine gute Zweckgemeinschaft entspringen kann. Wer das erreicht, schafft zumindest eine Fortführung der bürgerlichen Art in seiner Beziehung und vielleicht sogar noch in neu entstehenden oder als Familienresten verbliebenen Kindern. Das backfischhafte Ranschmeissen und Anhimmeln, das Erfüllen von medial als normal dargestellten Praktiken mag generell der Neigung entgegenkommen, die eigene Jugendlichkeit bis zu einem Alter jenseits der 40 zu betonen – Erwachsen werden, Reifen ist vermutlich etwas anderes.
Mit etwas Glück wird es sich vielleicht etwas einbremsen, wie Felgen und Bremsbeläge. Vermutlich jedoch werden der Öffentlichkeit immer neue Offenheiten nahegelegt; man muss davon lesen, dass sich Menschen im Osten des Landes beim Sex filmen und dergleichen online stellen, ohne ein Schamgefühl, und allgemein verbreitete Konsumerwartungen sind einen langen Weg vom Fresskorb über das Mäntelchen bis zum Partyurlaub auf Mittelmeerinseln gegangen. Ein Weg, an dessen Rande die Zufriedenheit ausgesetzt wurde, weil sie nur bei neuen Bedürfnissen stört, man hört so gar nichts mehr von ihr, nur noch das bremsengleiche Gekreische nach immer neuen Sensationen, die man sich im Alter mehr wird leisten können, solange sie nicht das erfordern, was im Alter verlustig geht. Und dann, bestenfalls, der Hilfe des Schönheitsquacksalbers bedarf.
Das alles ist heute so möglich wie das öffentliche Bekenntnis zu Swinger Club und Peitsche, man gilt fast schon als spiessig, wenn die eigenen Interessen den virtuosen Umgang mit dem Kochlöffel im Topf höher als Verknotungen asiatischer Herkunft schätzen, wenn man fünf Gänge und nicht drei Partner decken möchte. Laut muss man sein wie schlecht eingestellte Bremsen und dreist wie ein Verkäufer strassenuntauglicher, aber schön blinkender Räder, und am Ende muss sich ein anderer mit den Trümmern auseinandersetzen und zu richten versuchen, was kaum passen mag, so billig und schäbig ist das Konstrukt, und immer wird es schräg klingen, als hätten Esel Geschlechtsverkehr. Zu alte Esel. Nicht guter Geschlechtsverkehr.