There are many things worth living for, a few things worth dying for, and nothing worth killing for.
Tom Robbins
Das mit der Atomkraft und der besseren Gesellschaft ist ja so eine Sache: Selbst die Befürworter in der zumeist konservativen Fraktion haben dazu ein Verhältnis wie zur Ostzone. Wir brauchten die Wiedervereinigung und wir brauchen billigen Strom, aber der Osten und die Kernkraft soll bitte nicht zu uns kommen, das passt hier nicht rein. Niemand wundert sich, warum Westviertel fern der Blocks, Mülldeponien und Durchgangsstrassen sind, und genauso verhält es sich mit den AKWs. Grafenrheinfeld, Niederaichbach, Ohu bei Landshut und Gundremmingen etwa sind seit jeher die strahlenden und dampfenden Haschibopperl der Bayerischen CSU, die bei den verbliebenen Anlagen möglichst unbegrenzten Betrieb wünscht. Keines davon liegt in jenem oberbayerischen Teil Bayerns, den man gemeinhin vor Augen hat, wenn man von den bevorzugten Wohnlagen des Landes spricht.
Das hier ist der den meisten Lesern dieses Blogs hinlänglich bekannte Tegernsee, eine der besten Wohnlagen in Bayern und, um es mit einem hier oft weilenden Ex-Ministerpräsident zu sagen, also im Grunde genommen ein das muss man schon sagen also ein riesiges Westviertel, Champions League sozusagen also. Man sollte schon schon Ex-Devisenbeschaffer der DDR sein, wenn man als Ossi hier dauerhaft wohnen will. Und der Strom für all die Halogenspots in den Zirbelholzdecken kommt bekanntlich aus der Steckdose.
Trotzdem wäre das hier ein famoser AKW-Standort. Nehmen wir nur die eher bescheidenen Wassertemperaturen des Tegernsees, der auch im Hochsommer wegen der Zuflüsse aus den Bergen empfindlich kalt sein kann: So ein AKW schafft locker 2 Grad mehr mit seinem Kühlwasserverbrauch. Hier ist es erdbeben- und terrorismussicher, denn die Araber machen hier Urlaub und nicht Glaubenskrieg. Den Atommüll könnte man gleich nebenan am Schliersee zwischenlagern, denn in Hausham sind noch alte Stollen vom Kohleabbau vorhanden. Gerade in Rottach etwa sehe ich noch viel Platz, auf halbem Weg zwischen dem Ort und dem Klausurgebäude der CSU in Kreuth, die damit ihre Nähe und den Willen zur Atomkraft eindrucksvoll unter Beweis stellen könnte. Sollte es einen GAU und Fallout geben, liegt im Westen und Süden die menschenleere Wüstnis der Tiroler Vorbalkans, und Österreicher standen hier noch nie unter Artenschutz.
Vielleicht, wer weiss, wenn man die CSU-Forderungen nach neuen Atomkraftwerken erfüllt, vielleicht spricht man hier beim Spaziergang auch über die neue Vermarktungsmöglichkeit der Immobilien, nämlich See-, Berg- und AKW-Blick. Tradition und Moderne vereint, kühne Architektur vor wildromantischen Bergen, ein Freeclimbingzentrum könnte man am Kühlturm einrichten – nein? Eher nicht. Es reicht vermutlich, wenn einige Immobilienbesitzer am See kräftig von den existierenden Anlagen profitieren, es reicht, wenn die Gewinne aus der Energie an den See kommen, und die weitern Gewinne des Emissionshandels, und die Atome andernorts gespalten werden – hier spaltet man lieber Scheite für Kachelöfen im Winter.
Man mag die Vorstellung eines Atomkraftwerks, eines Schnellen Brüters oder einer Plutoniumfabrik am Tegernsee erst mal für Satire halten, aber von diesen Extrembeispielen ausgehend kann man sich auch andere Gedanken machen. Eisenverhüttung? Niemals. Chemische Industrie? Kommt gar nicht in Frage. Firmenkomplexe? Gibt es. In Richtung Autobahn, beim schlechtesten Golfplatz der Region, wo nur Münchner sind. Man muss darum nicht kämpfen, es ist einfach so. Niemand versucht, den Westvierteln etwas zuzumuten, das sie nicht wollen. Nicht einmal von Rücksichtnahme kann man sprechen: Es wird einfach nicht in Erwägung gezogen. Man kann gerne an Demokratie und Gleichberechtigung aller glauben, aber bedrückende Baumassnahmen und unerfreuliche Bedrückungen finden immer irgendwo anders statt. Entschieden wird das von demokratisch legitimierten Politikern, und bejubelt von denen, die einen Arbeitsplatz und billige Wohnlagen in dessen Nähe brauchen. Jeder möchte Gewerbesteuereinnahmen, egal mit welchen Tricks sie minimiert wurden, ausser jenen, die auch durch das Minimieren so reich werden, dass sie es nicht brauchen.
Entschuldigen Sie bitte, wenn ich derartige wenig gebildete Banalitäten und Selbstverständlichkeiten ausbreite, natürlich sind wir hier am See und andere woanders, natürlich ist bei mir die Alm vor der Terrasse und bei Ihnen vielleicht der Schlot, der Autobahnzubringer oder gar ein Stück Berliner Slumareal, dessen Bewohner noch weniger Tischmanieren als die Kühe bei uns haben, aber zu meinem Unglück bin ich auf ebenso einer vor Miesbacher Fleckvieh strotzenden Almwiese mit meinem Mountainbike in eine Regenablaufrinne geknallt und über den Lenker abgegangen. Es geht gerade alles etwas langsamer, auch das Denken und das Verdrängen, und dann merkt man erst, dass nicht nur mit den Rippen, sondern auch mit dem System etwas nicht stimmt. Ich konnte auf einer wunderbaren Wiese einen doppelten Salto machen und im weichen Gras landen, weil niemand beabsichtigt, hier etwas anderes als Wiese, Weg und gottver******* Regenablaufrinne sein zu lassen. In Garzweiler wäre ich in ein Loch gestürzt, in Neckarwestheim hätte ich einen Bogen um das AKW mit angeblich harmloser Reststrahlung fahren müssen, hier bin ich jedoch Mensch, hier darf ich sein, liegen und wieder aufstehen, solange der Lenker nicht zu tief eindringt. Ich bin gerade etwas dumm und mitgenommen und spreche in mir fremden Stoiberzungen, da dauert es etwas, bis sich die Selbstverständlichkeiten wieder als das präsentieren, was sie eigentlich nicht sind.
Jedenfalls wird es hier nie ein Atomkraftwerk geben. In gewisser Weise ist das auch eine Subvention, denn damit wird der Wert meines Besitzes gesteigert, wie die Regierung eben auch die Kernenergiewirtschaft mit verlängerten Laufzeiten anderswo subventioniert. Es ist ungleich, aber alle haben etwas davon, die geschmierten Gutachter und die Wartungsfirmen, die Konzerne und angeblich auch die Stromkunden, es ist alles in Ordnung, sage ich mir, als ich den Berg wieder nach oben strample, es ist nichts passiert, alles geht noch, auch wenn sie mich entsetzt anschauen, als käme da ein leibhaftiger Castortransporter von der Alm, und nicht nur ein blutender, dreckverschmierter Radler. Man kann Risiken nicht ausschliessen, und vielleicht finden Arzt und Nachkommen auch unerfreuliche Spätfolgen, aber es geht schon. Es ist von selber gekommen, es wird von selber gehen, ist die Devise meiner Familie bei Krankheiten und der Atomindustrie bei der Cäsium-137-Belastung anderer Leute.
Aber die CSU und ich, wir sind ja alle am Tegernsee, und ich, da habe ich keinen Zweifel, werde keinen dauerhaften Dachschaden oder eine krankhafte Persönlichkeitsstörung davontragen. Ich werde wieder durch den Wald gehen und Blaubeeren essen, obwohl davor immer noch gewarnt wird. Nur auf den Wiesen, da werde ich mich an meine Kindheit zurückerinnern und an die Omeletts aus frischen Wiesenchampignons, die einzigartig schmecken, ganz anders als das Zuchtzeug, das ich heute nehmen muss, weil die echten Schwammerl auch nach all den Jahrzehnten nach Tschernobyl nicht gegessen werden sollen. Erstaunlicherweise war es nämlich der Gedanke, den ich vor dem Überschlag hatte: Da müssen tolle Pilze wachsen, in den dunkelgrünen Flecken auf der Wiese. Aber das geht nicht mehr, ganz im Gegensatz zu den Halogenspots in den Zirbelholzdecken am lieblichen Tegernsee.