Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die wollen nicht spielen

Glücksspiel, Drogen und Prostitution sind die drei Verhaltensweisen, die im bürgerlichen Rahmen anbsolut nicht zu akzeptieren sind. Oder besser: Nicht zu akzeptieren wagen. Gerade das Glücksspiel jedoch hat inzwischen Karriere gemacht, es glotzt von Werbebanden und schreit aus der Glotze. Höchste Zeit, ihm zu sagen, dass es einem nicht vorgestellt wurde, und auch nicht erwünscht ist.

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Es gibt Dinge, die klar und deutlich verboten sind. Nehmen wir nur mal Herrn Sarrazin und Frau Steinbach als Beispiel: Wären sie in meinem Umfeld aufgewachsen, hätten sie früh erfahren, dass man andere Leute nicht öffentlich schlecht macht oder beschuldigt, sie hätten aber angefangen. Das lernte man bei uns noch vor dem ersten Auftritt im Sandkasten, und, wie man jetzt angesichts der mehr oder weniger freiwilligen Abgänge sieht, auch aus guten Gründen. Es war verboten, zu Tisch zu gehen, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Es war verboten, Nachts zu lange zu lesen (aber dafür gab es Taschenlampen, und die Augen habe ich mir trotzdem nicht kaputt gemacht). Es war verboten, das Licht sinnlos brennen zu lassen. Es war verboten, mit den schmutzigen Strassenschuhen über die Perser zu laufen. All das wurde klar formuliert und durchgesetzt.

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Andere Dinge, drei an der Zahl, wurden nicht explizit verboten, sondern waren so undenkbar, dass ein Verbot gar nicht nötig erschien: Prostitution, Drogen und Glücksspiele. Niemand sagte, dass man das nicht tun dürfte; es war einfach keine Frage, dass, selbst wenn man diese reichlich unbekannten Dinge betreiben wollte, man mit allerübelsten Konsequenzen rechnen musste. Es gab da in meiner Schule welche, die nach Erhalt des Führerscheins mit des Vaters Auto in die Niederlande fuhren, um Drogen und Frauen zu kaufen. Natürlich wurden sie dabei erwischt. Und natürlich wusste dann jeder, dass das absolute und nicht ausgesprochene Verbot ausgesprochen absolute Folgen hatte. Noch schlimmer als die Folgen für die jungen Herrschaften, die sich ohne Führerschein eine nicht zugelassene Enduro kauften und damit glücklos versuchten, der Polizei in den Gassen der Altstadt zu entgehen.

Diese drei bürgerlichen Todsünden stehen im starken Kontrast zum Habitus des vorangehenden Feudalismus. Betrachtet man die Lebenswirklichkeit des Adels des 18. Jahrhunderts, dem das Bürgertum angeblich nacheifert, so waren dessen Hauptinteressen der Genuss aller bewusstseinserweiternden Stimulanzien, die man damals beziehen konnte, die Sonnenseiten einer lockeren Sexualmoral, und – man konnte sich damals ja nicht bei Spiegel Online Panorama verdummen lassen – das Glücksspiel als Zeitvertreib dazwischen. Lediglich die Opern bilden heute noch ein Band der Lustbarkeiten zwischen den Epochen und Herrschaftsschichten. Ein Mitglied des Westviertels jedoch, das sich täglich zum Glücksspiel niedersetzen und erhebliche Vermögenswerte  verschleudern würde, hätte bald keinen Ruf mehr, den zu verteidigen sich lohnen würde.

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Insofern gab es am staatlichen Glücksspielmonopol auch nichts auszusetzen. Der Staat – also, die Bürger – bieten jenen weniger klugen Bürgern, die glauben, das Schicksal betrügen zu können, die Möglichkeit dafür an, den Raum, das Ambiente, die Regeln und die Grenzen. Das dabei verlorene Geld geht an Menschen, die auch von etwas leben müssen, und an den Staat oder seine Institutionen. Der Rahmen ist so gewählt, dass er nicht diskriminierend wirkt, aber wer klug ist, macht es so wie unsereins: Er tauscht ein paar Jetons um, schaut sich das an und amüsiert sich über zu kurze Hosen bei den Männern und das Unwohlsein von Frauen in nicht gewohnten Abendkleidern, und geht wieder von dannen, nachdem er seinen Einsatz bis auf einen Jeton als Andenken wieder umgetauscht hat. Oder, wie ich es in Monaco gemacht habe, geht lieber Rennrad fahren. Kronleuchter ganz ohne Pressglas habe ich schliesslich selbst daheim, und Lösungsmittelfrabrikanten aus Herne muss ich nicht sehen. In dieser Art äussert man sich über den Komplex, und trägt somit von Generation zu Generation zu dessen Ächtung bei. Es darf gern sein, aber bitte nicht mehr, und ansonsten, sollte man meinen, bieten neubürgerliche Beziehungen ohne die Abhängigkeit der Frau genügend andere Anlässe, das Glück zu versuchen und das Geld zu verlieren.

Aber derartige Überlegungen scheinen bei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes keine Rolle zu spielen, der nun der staatlichen Ordnungsmacht die formale Waffe zur Durchsetzung des bürgerlichen Willens gegen Abweichler aus den Händen geschlagen hat. Das Monopol gelte nicht, wenn die Verantwortlichen selbst massiv für solche Verhaltensweisen Werbung mache. Private Anbieter sind sicher nicht die Letzten, die nun nal Liberalisierung rufen und darauf verweisen, dass schon heute über das Internet die Einsätze ausser Landes bringt, wo sie den Steuerbehörden entzogen sind und die Sucht im Stillen längst trefflich gedeiht, ohne dass sich jemand beim Gang durch Bahnhofsviertel ertappen liesse. Man möchte doch bitte nun auch sie zum Zuge kommen lassen, Globalisierung, Liberalisierung, Verwebungsisierung, Blablaisierung. Und wie so oft kennt auch diese Wirtschaft keine Rücksicht auf den Umstand, dass nicht sein darf, was nach unseren Vorstellungen nicht sein kann.

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Überhaupt ist es schon länger nicht mehr weit her mit der Moral. Die gleichen Sender, die mit Entwürdigungsformaten auffallen, haben es zu ihrer Aufgabe gemacht, den ohnehin schon schmierigen Ruf von Poker zu ihrem eigenen Zwecke zu fördern. Da hat sich ein nicht akzeptables Verhalten mitsamt seiner nicht akzeptablen Bagage aufgemacht aus den schlechteren Vierteln, und ist überall anwesend, man muss nur den Fernseher einschalten, oder ein Blog betreiben und die Spamkommentare anschauen: Sie sind überall. Gesichtslos wie eine TV-Anstalt oder auch ein Wettanbieter, nicht mehr wirklich vom Äusseren her stigmatisiert und mit der Ansicht, das gehöre dazu, das könne man tun, und irgendwelche Frauenredaktionen, denen die Schleichwerbung für Kosmetik nicht mehr genug einbringt, schreiben über Pokerabende für Frauen. Es geht längst nicht mehr darum, eine bürgerliche Ordnung zu haben, die ihren Willen durchsetzt. Es geht nur noch um eher schlechte Erfolgsaussichten, die Geldmacherei der Unbürgerlichen davon abzuhalten, Allgemeingut und allgemein akzeptiert zu werden. Aber auf welchen Staat soll man sich dabei verlassen, wenn dessen Institutionen 9Live und andere “Quizshows” zu verbieten nicht Willens sind?

Von jenen Tagen, da das alles “irgendwo” war, und man nichts darüber wusste und damit zu schaffen hatte, bis zur Gegenwart, in der für Politiker aller Parteien, Unternehmen, Medien und öffentliche Wahrnehmung das absolut Undenkbare vollkommen normal und gängig wurde, ein Geschäft, ein Verwaltungsakt, eine allgemein akzeptierte Realität mit erfundener “Coolness”, vom Stigma zur Normalität hat es keine zwei Jahrzehnte gedauert. Wenn über den Niedergang des Landes gesprochen wird: Hier hat sich eine gewisse Haltung mit einer Penetranz und Unbekümmertheit durchgesetzt, die mehr Unerfreulichkeiten erwarten lässt. Und das augenscheinlich mit Erfolg. Irgendwo müssen Menschen sitzen, die das System durch ihre Einsätze und Verluste fördern. Und es sind nicht nur die, über die man sagen könnte, dass sie es aufgrund ihrer Herkunft nicht anders kennen.

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Vielleicht rotten wir uns, wenn es so weiter geht, aber auch zusammen und machen dem Zockertum den Garaus, wie wir den Rauchern die Fluppen aus der Hand geschlagen haben, vielleicht machen wir unseren Politikern Druck und den Abhängigen Beine, dass sie in ihre miesen Viertel gehen und Hintertüren öffnen, vielleicht gibt es ja wieder einen Konsens der Mehreren, dass man so etwas einfach nicht tut. Was interessieren uns die Gehälter von Fussballspielern, die Bilanzen von Casinobetreibern und die Hütchentricks der TV-Sender, was kümmert uns der Verbleib abgehalfterter Pseudostars und Werbefiguren und, ja, auch der freie Wille anderer, die ihr Geld dergestalt verlieren wollen: Nichts. Ich denke nicht, dass wir spielen wollen.